Dienstag, 23. April 2024

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Schulze vor Südamerika-Besuch
"Für das Weltklima ist es ganz entscheidend, was in Brasilien passiert"

Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) will Brasilien nach dem jüngsten Regierungswechsel beim Schutz des Regenwaldes unterstützen. Das Weltklima könne man nur zusammen voranbringen. Daher habe sie für einen Amazonien-Fonds zusätzliche Mittel zugesagt.

Svenja Schulze im Gespräch mit Friedbert Meurer | 27.01.2023
Svenja Schulze (SPD), Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
Der Amazonas-Regenwald in Brasilien sei die Lunge der Welt, sagte Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) im Dlf. Deswegen sei es für alle eine Herausforderung, wenn die Lunge der Welt Probleme kriege. (dpa / picture alliance / Ute Grabowsky)
Die Bundesregierung will nach dem Amtsantritt des neuen Präsidenten Lula da Silva eine Aufbruchstimmung in den deutsch-brasilianischen Beziehungen erzeugen. Dabei gehe es insbesondere um die Rettung des Amazonas-Regenwaldes in Brasilien, der eine immense Bedeutung für das Weltklima habe, sagte Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) im Dlf.
Dabei stellte die SPD-Politikerin heraus, dass Präsident Lula da Silva die zahlreichen Herausforderungen in Brasilien, wie den Klimawandel, die Energiewende und die soziale Spaltung der Gesellschaft nicht alleine bewältigen könne, sondern er hierfür die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft benötige. "Er hat das in seiner vorherigen Amtszeit ja schon mal gezeigt, dass er das kann, dass er auch weiß, wie Waldschutz und damit auch Klimaschutz geht", sagte Schulze im Dlf.
Die SPD-Politikerin kündigte im Interview an, finanzielle Mittel, die in der Regierungszeit von Ex-Präsident Jair Bolsonaro eingefroren worden seien, nun wieder freizugeben. Insgesamt handelt es sich dabei um 35 Millionen Euro für den Schutz des Amazonas-Regenwaldes. Die Bundesregierung hätte aber auch zusätzliche Gelder für einen Amazonas-Fonds zugesagt.
Schulze reist am Freitag (27. Januar) nach Brasilien. Am Samstag (28. Januar) bricht Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zu einer Südamerika-Reise auf und besucht Argentinien, Brasilien und Chile.

Das Interview in voller Länge:

Friedbert Meurer: Über Silvester war schon der Bundespräsident da bei der Amtseinführung. Jetzt der Bundeskanzler und Sie. Ist das eine Charmeoffensive?
Svenja Schulze: Man sieht eine deutliche Aufbruchsstimmung in der deutsch-brasilianischen Zusammenarbeit und das ist auch wichtig. Da ist ein wirklich sehr, sehr großes Land, was sich jetzt sehr stark verändert, wo die Chance besteht, dass wieder mehr für den Klimaschutz getan wird, wo die Chance besteht, auch die starken sozialen Spaltungen in diesem Land zu überwinden. Daran haben wir ein Interesse und deswegen wollen wir auch möglichst schnell Beziehungen aufbauen.

"Brasilien wird das nicht alleine schaffen"

Meurer: Lula will bis 2030 die Abholzung auf null zurückfahren, von 10.000 Quadratkilometer auf null. Kann er das schaffen? Glauben Sie das wirklich?
Schulze: Ja! Das ist ein sehr starkes Signal, was Präsident Lula da gibt, und er hat das in seiner vorherigen Amtszeit ja schon mal gezeigt, dass er das kann, dass er auch weiß, wie Waldschutz und damit auch Klimaschutz geht. Deswegen bin ich sehr zuversichtlich. Er braucht natürlich Unterstützung und Hilfe, weil das ist eine wirklich große Aufgabe, die er sich da vorgenommen hat. Brasilien wird das nicht alleine schaffen. Es wird die Unterstützung der Welt da brauchen.
Meurer: Lula hat ja nun auch einige Gegner im Land, wie wir gerade gesehen haben – der Sturm auf die Regierungsgebäude. Er hat keine Mehrheit im Parlament. Und dann sagen einige, die letzte Amtszeit von ihm, er hat Staudämme gebaut. Wie viele Fragezeichen muss man dahinter setzen, dass 2030 kein Baum mehr abgeholzt wird?
Schulze: Das ist sicherlich kein Selbstläufer und es wird darauf ankommen, wie wir als internationale Gemeinschaft das auch schaffen, Brasilien zu unterstützen. Für das Weltklima ist es ganz entscheidend, was in Brasilien passiert, und deswegen werden wir da helfen. Wir haben einen Amazonien-Fonds, wo wir jetzt schon zusätzliche Mittel zugesagt haben. Es gibt aber auch sehr viele der Mittel, die in den letzten Jahren eingefroren werden mussten, weil man mit der letzten Regierung darüber gar nicht reden konnte, weil wir nicht unterstützen und helfen konnten. Diese Mittel will ich wieder freigeben.
Ich will, dass wir nicht nur beim Klimaschutz helfen. Es gibt sehr viel Bedarf, auch die Energiewende noch weiter voranzutreiben. Da ist Brasilien schon weit, aber will jetzt die nächsten Schritte gehen, um mehr Energie zu produzieren, als sie selber brauchen, um dann zum Beispiel Wasserstoff auch herzustellen. Oder aber auch die Frage der sozialen Spaltung der Gesellschaft. Die Wirtschaft muss nach vorne gebracht werden. Es braucht mehr Arbeitsplätze. Es braucht mehr auch Rechte für die Gewerkschaften zum Beispiel, damit auch die soziale Spaltung endlich mal angegangen wird und zurückgedrängt wird, und auch da werden wir unterstützen.

"Wenn die Lunge der Welt Probleme kriegt, ist das für uns alle ein Problem"

Meurer: Das ist alles eine riesige Aufgabe. Bevor wir über die Hilfe reden, von der Sie gerade gesprochen haben, Frau Schulze: Was wäre, wenn es nicht gelingt, das Abholzen im Regenwald einzustellen?
Schulze: Ja, das wäre für das gesamte Weltklima ein riesiges Problem. Man muss sich das Amazonas-Gebiet vorstellen, davon hat Brasilien unglaublich viel, dass das die Lunge der Welt ist, und wenn die Lunge der Welt Probleme kriegt, ist das für uns alle ein Problem. Den Klimaschutz weltweit voranzubringen – und das müssen wir weltweit tun -, das geht nur gemeinsam mit Brasilien. Deswegen bin ich so froh, dass sich da endlich was ändert und dass wir da wieder was nach vorne bringen können.
Meurer: Sie haben 35 Millionen Euro im Gepäck. Das ist das Geld, von dem Sie gerade gesprochen haben, das eingefroren war unter Präsident Bolsonaro. Da gibt es die Kritik, angesichts dieser gigantischen Aufgabe, die Sie uns ja auch beschrieben haben. Was können da 35 Millionen bewirken?
Schulze: 35 Millionen – das war das, was wir jetzt sehr schnell am 1. Januar schon zugesagt haben. Das ist für den Amazonien-Fonds. Das ist ein Fonds, den wir zusammen mit Norwegen befüllen und der sehr schnell jetzt helfen kann. Ich will mit der Regierung dort ein erstes 100 Tage Programm vereinbaren, was wir in den ersten 100 Tagen tun können. Das was wir insgesamt in der Zusammenarbeit mit Brasilien gerade haben, sind über eine Milliarde Euro, und da kann jetzt sehr viel Geld sehr schnell auch mobilisiert werden, wenn wir auch schnell mit der Regierung die ersten Vereinbarungen treffen können.

"Wir müssen das gemeinsam als Welt schaffen"

Meurer: Die Menschen in Brasilien und auch Ihre Gesprächspartner – Sie treffen sich mit Gewerkschaftern, mit Vertretern der indigenen Einwohner – werden Sie wahrscheinlich fragen, was bitte kriegen wir von euch, dass wir das Weltklima retten.
Schulze: Na ja, sie sollen das Weltklima nicht alleine retten. Wir machen in Deutschland gerade auch sehr viel, um unsere Treibhausgase zu reduzieren. Europa macht sehr viel. Wir müssen das gemeinsam als Welt schaffen, dort etwas voranzubringen. Was Brasilien gewinnt, wenn sie den Wald schützen, ist auch Unterstützung, internationale Mittel, die mit dazu helfen. Das wird Brasilien nicht alleine finanzieren können, aber mit unserer Hilfe schon, weil es braucht ja Perspektiven für diejenigen, die heute von der Entwaldung leben. Für die etwas Neues aufzuzeigen, vor allen Dingen für die vielen landwirtschaftlichen Betriebe dort, da können wir helfen und da gibt es auch schon Ideen aus der Vergangenheit, wie das funktioniert hat, die wir jetzt noch mal wieder nach vorne bringen können.
Meurer: Eine Hilfe könnte auch sein der Handelsvertrag mit den Mercosur-Staaten. Das ist ja offenbar der Reise von Bundeskanzler Olaf Scholz. Zu den Mercosur-Staaten gehören unter anderem Brasilien, Argentinien und andere. Aber wie das so ist mit Handelsverträgen: Die einen sagen, das bringt dem Land viel; die anderen behaupten das genaue Gegenteil. Ist dieser Handelsvertrag geeignet, Brasilien sozial und wirtschaftlich wirklich stärker zu machen?
Schulze: Na ja, der Handelsvertrag wäre jedenfalls ein ganz wichtiger Baustein, der dazu helfen könnte. Die Gespräche, die ich bisher mit brasilianischen Kolleginnen und Kollegen geführt habe, zum Beispiel auf der Weltklimakonferenz, da haben sie uns eindeutig signalisiert, wir wollen so einen Vertrag und wir wollen auch das, was für Europa so ein großes Problem war, nämlich die Frage der Entwaldung, die kann man regeln, da können wir weitere Vereinbarungen treffen, weil das ja das Ziel von Brasilien selber jetzt ist, die Entwaldung zu stoppen.

"Mit der Bolsonaro-Regierung war in diese Richtung überhaupt nichts zu bewegen"

Meurer: Steht das im Handelsvertrag dann drin, Schutz des Waldes?
Schulze: Nee, das war die Kritik an diesem Handelsvertrag, dass dazu keine Vereinbarungen in dem Handelsvertrag getroffen wurden und dass der Kampf gegen die Entwaldung darin kein Thema ist. Für uns ist das in Europa aber ja wichtig. Wir legen ja Wert darauf, dass unsere Lieferbeziehungen nicht zu weiteren Entwaldungen führen. Das auch klar miteinander zu vereinbaren, das ist mit dieser neuen Regierung in Brasilien möglich, und deswegen setzen sie alle auch sehr darauf, dass wir weiterkommen, dass wir darüber ins Gespräch kommen. Das ist ein wichtiges Thema, was wir auf der europäischen Ebene jetzt voranbringen müssen.
Meurer: Wird das eine verbindliche Klausel?
Schulze: Na ja. Wir können Zusatzvereinbarungen machen. Wir haben dafür die Grundlagen und das könnte mit Mercosur zusammen auf den Weg gebracht werden. Solche Ideen und Gespräche gab es auch schon mit der vorherigen Regierung von Bolsonaro. Da war aber in diese Richtung überhaupt nichts zu bewegen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.