Nach langem Ringen ist es der Ampel-Koalition gelungen, sich auf die nächsten Schritte der Regierung zu einigen. Die Pläne für klimafreundlichere neue Heizungen wurden im Grundsatz bekräftigt, aber auch Grundlagen für den Wasserstoffbetrieb geschaffen. In der Verkehrspolitik soll der Ausbau der Schiene mit der Erhöhung der Lkw-Maut finanziert werden. Gleichzeitig sollen Autobahnen gebaut oder ausgebaut werden. Auf den anliegenden Flächen sollen Solaranlagen entstehen.
Annalena Baerbock von den Grünen ist der Ansicht, dass für die Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze mehr hätte beschlossen werden müssen. „Das haben wir noch nicht erreicht und deswegen werden wir uns in einigen Bereichen auch weiter den Kopf darüber zerbrechen müssen, wie wir die Emissionen deutlich runter bekommen“, sagte die Außenministerin im Dlf.
Lob und Kritik an den Koalitionsplänen
Wirtschaftswissenschaftler loben die Kompromisse, die SPD, Grüne und FDP in der 30 Stunden andauernden Koalitionssitzung ausgehandelt haben. Doch die Kritik an den Ergebnissen scheint zu überwiegen. Rainer Dulger, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände kritisiert das Ergebnis jedoch, da zentrale Forderungen der Arbeitgeberseite nicht umgesetzt worden seien und die Energieexpertin Claudia Kemfert bezeichnete Olaf Scholz als Klimakatastrophenkanzler.
Baerbock verteidigt die beschlossenen Pläne der Bundesregierung und weist die Kritik von sich. Sie ist überzeugt, dass nur durch die Änderungen die Wettbewerbsfähigkeit von Deutschland erhalten bleibt und das Land viel schneller werden müsse, um sowohl bei der Klimakrise als auch wirtschaftlich mit anderen Nationen mithalten zu können.
Das Interview in voller Länge:
Christoph Heinemann: Frau Baerbock, wer grün wählt, bekommt neue Autobahnen. Was ist daran grün?
Annalena Baerbock: Daran ist vor allen Dingen vieles falsch, weil wir in Deutschland keine neuen Autobahnen bauen. Wir haben ein flächendeckendes Autobahnnetz. Sondern was wir diskutiert haben, ist vor allen Dingen die Sanierung von Brücken, ist vor allen Dingen den Ausbau der Schiene und ist, dass wir in Teilabschnitten – da, wo wir Engpässe auf Autobahnen haben – wir da mit der Finalisierung der Ausbaumaßnahmen schneller vorankommen.
Und der Beitrag, den Sie eingespielt haben, macht, glaube ich, auch deutlich, wie kontrovers in unserem Land diskutiert wird vom Arbeitgeberpräsidenten, über die Wissenschaftler, über die Industrie, zu den Jugendlichen. Und diese inhaltliche Kontroverse, die hat sich auch in unseren nächtlichen Gesprächen dann in der Ampelkonstellation von drei verschiedenen Parteien ausgedrückt.
Heinemann: Frau Baerbock, 144 Autobahnprojekte beschlossen, eine Woche nach dem Alarm des Weltklimarates. Wie passt das zusammen?
Baerbock: Indem wir die ganze Nacht und auch noch den Folgetag intensiv darüber gerungen haben, wie wir auf der einen Seite bei uns Dinge, die seit Jahren, um nicht zu sagen Jahrzehnten, liegengeblieben sind, weil sich einfach nichts bewegt hat in unserem Land, wie wir das beschleunigen können.
Es nützt ja niemandem etwas, wenn wir über Monate, über Jahre Baustellen haben und auf der anderen Seite aber, das haben Sie ja auch mitberichtet, den Windausbau, den Solarausbau massiv voranbringen und auch, dass dort nicht Anträge über Jahre liegenbleiben und sich nichts bewegt, sondern dass wir endlich zu einer Modernisierung und vor allen Dingen endlich zu einer Beschleunigung von Planungen kommen. Und das haben wir versucht zusammenzupacken.
Es ist ja bekannt, und wir haben ja auch deutlich gemacht, dass es aus unserer Sicht, aus meiner Sicht, für den Klimaschutz noch hätte mehr sein müssen, damit wir auf den 1,5 Grad-Pfad auch in Deutschland wirklich kommen. Das haben wir noch nicht erreicht und deswegen werden wir in einigen Bereichen eben auch weiter uns den Kopf darüber zerbrechen müssen, wie wir die Emissionen deutlich runter bekommen.
Keine zusätzlichen Kosten für Bürgerinnen und Bürger
Heinemann: Wer zahlt, bleiben wir noch beim Verkehr, am Ende die Zeche für die höhere Lkw-Maut?
Baerbock: Auch da würde ich um Differenzierung bitten. Wir haben ja allgemein in unserer Gesellschaft, in ganz Europa, eigentlich auf der ganzen Welt, die Amerikaner machen das ja ähnlich, deutlich gemacht: Wenn wir diesen riesengroßen Umbau unserer Industriegesellschaften in der ganzen Welt – weil da habe ich einen großen Widerspruch zum Arbeitgeberpräsidenten – es ist keineswegs so, dass Deutschland hier irgendwas macht, was der Rest der Welt nicht macht.
Ich bin ja viel im Ausland unterwegs. Es gibt Länder wie zum Beispiel Kenia, die bis 2030 ihr Land komplett auf Erneuerbare umgestellt haben wollen. Also dieser Umstieg auf grüne Technologien in allen Bereichen, das ist die Wettbewerbsfrage unserer Zeit. Und da wollen wir als deutscher Industriestandort, als führender Industriestandort, mit dabei sein.
Deswegen, komme ich zu Ihrer Frage zurück, haben wir ja deutlich gemacht, dass der Verbrauch fossiler Energie auch seinen Preis haben muss, den er gesellschaftlich hat. Das gilt auch jetzt für die Lkw-Nutzung, für die Lkw-Maut.
Und das bedeutet, dass für die gefahrenen Lkw-Strecken in Zukunft eben mehr bezahlt wird. Das Geld nutzen wir dann – und das braucht richtig viel Geld – der Bedarf beim Ausbau der Bahn ist 45 Milliarden Euro. Und ein Großteil wird dann aus der Lkw-Maut kommen.
Heinemann: Und die Kosten werden wohl auf die Preise umgelegt werden? Das heißt, am Ende zahlen Verbraucherinnen und Verbraucher diesen Preis, also einen Beitrag zur Inflation?
Baerbock: Nein, das sehe ich nicht so. Sondern wir sehen ja auch im LKW-Bereich, dass bereits deutlich damit begonnen wurde, andere Antriebe zu benutzen. Wir haben überall dort gesehen, wo der CO2-Preis angestiegen ist, dass sich damit die sauberen Technologien durchsetzen können, weil es einen finanziellen Anreiz gibt.
Natürlich gibt es am Anfang immer den Punkt, dass wenn es höhere Preise gibt, dass das weitergegeben wird. Das muss aber nicht in jedem Fall so sein, sondern manche Unternehmen fangen es auch dadurch auf, dass sie sagen, wir geben es nicht weiter, weil wir dann für unsere Produkte einen entsprechenden Wettbewerbsvorteil haben.
Aber das Gute ist ja: Die Alternative ist da. Das heißt, wir beschleunigen den Wechsel, den es auch im LKW-Bereich sowieso gegeben hätte. Auch der soll schneller werden. Alles in unserem Land muss schneller werden. Nicht nur damit wir die Klimaziele erreichen, sondern dass wir bei der internationalen Wettbewerbsfähigkeit weiter dort liegen, wo wir bisher liegen – nämlich sehr, sehr weit vorne.
Der Heizungsbeschluss ist technologieoffen
Heinemann: Was Rainer Dulger bezweifelt. Kommen wir noch mal zu dem Heizungskompromiss. Ihre Parteifreundin, Frau Baerbock, Katharina Dröge, bezweifelt, dass Heizungen künftig mit Wasserstoff betrieben werden. Und sie argumentiert so. Erstens, weil es niemand anbietet, die Infrastruktur dafür also erst noch zur Verfügung gestellt werden müsste, und zweitens, weil es im Hinblick auf Effizienz deutlich sinnvoller sei, eine Wärmepumpe zu nutzen. Also, wie viel heiße Luft beinhaltet der Heizungskompromiss?
Baerbock: Der Heizungskompromiss, auch da bitte ich um Präzision, der Heizungskompromiss basiert ja darauf, dass wir in Deutschland massiv die Wärmepumpen einbauen. Das ist ja der ganze Sinn und Zweck dieses Gesetzes. Übrigens, Sie hatten ja angesprochen, wo mein Wahlkreis ist, wo ich mit meiner Familie lebe. Bei mir in Potsdam wird gerade das weltweit mit am größten Geothermie-Projekt für einen ganzen neuen Stadtteil in die Wege geleitet.
Auch hier sieht man, dass wir, wenn wir da jetzt richtig rein investieren, weltweit nicht nur Standards setzen können, sondern damit auch die Technologie, wie wir das jahrzehntelang in anderen Bereichen auch getan haben, in die Welt exportieren können. Deswegen ist das, was Robert Habeck hier vorgelegt hat, so wichtig für den Industriestandort Deutschland.
Es basiert darauf, dass vor allen Dingen Wärmepumpen eingebaut werden. Aber, da für uns alle wichtig ist, dass wir nicht den Eindruck erwecken, dass wir irgendwas kategorisch, prinzipiell ausschließen, haben wir auch hier deutlich gemacht, dass ist technologieoffen. Und falls jemand die Heizung erfindet oder bereits hat und sagt, sie wird ein Massenprodukt, die anders genutzt werden kann, zum Beispiel über Wasserstoff, dann wäre das auch möglich.
Bisher haben wir das noch nicht flächendeckend am Markt gesehen. Aber deswegen haben wir das Gesetz so formuliert, dass das, was naheliegend ist, worein die zuständige Branche bereits massiv investiert hat, nämlich die Wärmepumpe, der Standard wird. Und wir unterstützen vor allen Dingen die Menschen, das war ja die große Debatte in unserem Land und das haben wir jetzt endlich geeint, die Menschen, die ein sehr geringes Einkommen haben, ein mittleres Einkommen haben, die sich natürlich den Kopf darüber zerbrechen, wenn eigentlich die Heizungen bisher einen gewissen Preis gekostet haben, wie soll ich mir das dann leisten können, wenn es jetzt einen Ticken teurer wird? Wie gesagt, zu Beginn immer, wenn der Umstieg ansteht.
Und genau diese Menschen unterstützen wir. Und es ist gut, dass wir das endlich in dieser gemeinsamen Sitzung festgeschrieben haben, dass der soziale Ausgleich natürlich Teil des Wärmegesetzes mit ist.
"Vorgabe fürs Heizen muss aber sein, dass der Großteil erneuerbare Energien ist"
Heinemann: Nochmal konkret: Wenn ich das jetzt richtig verstanden habe, kann man sich ab 2024 doch nur Wärmepumpen neu einbauen lassen? Denn wasserstofffähige Heizungen gibt es überhaupt gar nicht.
Baerbock: Also wie gesagt, Politik ist ja nicht dazu da, zu sagen, welche Technologien könnte es irgendwann mal geben.
Heinemann: Aber die Bürgerinnen und Bürger fragen sich doch, was können wir denn einbauen im nächsten Jahr?
Baerbock: Naja, die Bürgerinnen und Bürger bauen ja auch ihre Heizung nicht selber, sondern so wie wenn man ein Auto kauft, auch schaut, was es auf dem Markt gibt und sich dann entscheidet, nämlich das, was mir am schönsten aussieht oder nehme ich das, was am günstigsten ist oder was am klimafreundlichsten ist.
Und hier ist es so, dass halt festgeschrieben wird, und zwar festgeschrieben wird, damit wir nicht das gleiche erleben wie beim Kohleausstieg. Wenn wir zu spät anfangen, den Transformationspfad zu beschreiten, dann kostet das den Staat und damit die Menschen in diesem Land massiv Geld.
Wir mussten beim Kohleausstieg die Unternehmen, die Regionen entschädigen, damit wir gemeinsam als Land auf den Klimapfad kommen. Diesen Fehler wollen wir bei den Heizungen nicht wiederholen. Deswegen machen wir deutlich, wenn man sich eine neue Heizung einbaut, dann baut man sich in Zukunft gleich eine saubere Heizung ein. Die sauberen Heizungen sind entsprechend definiert und dann können sich die Menschen aussuchen, was angeboten ist.
Also in der vorgesehenen Regelung ist es jetzt so, dass weiterhin Gasheizungen eingebaut werden können, wenn sie mit 65 Prozent klimafreundliche Gase oder in Kombination mit einer Wärmepumpe betrieben werden.
Es gibt also mehrere Möglichkeiten mit verschiedenen Technologien. Die Vorgabe fürs Heizen muss aber sein, dass der Großteil erneuerbare Energien ist. Und das ist im allermeisten Verfall dann die Wärmepumpe. Und deswegen zielt das Gesetz eben zentral auf die Wärmepumpe.
Fortsetzen, was die große Koalition begonnen hat
Heinemann: Auch mangels Alternative, beziehungsweise weil Gas- und Ölheizung verboten bleiben.
Baerbock: Also die Ölheizung, die hat ja die große Koalition verboten. Und auch darum wundert mich so ein bisschen die Debatte etwas. Und das ist das vielleicht auch, Robert Habeck hat das ausgedrückt, wo wir ja dann manchmal nicht nur verwundert sind oder ein bisschen genervt sind, dass diejenigen, die noch vor einigen Jahren selber beschlossen haben, dass keine neuen Ölheizungen eingebaut werden, 2019, wenn ich mich recht erinnere, CDU, CSU und SPD, und zwar zu Recht, weil sie auch gesagt haben, wenn wir irgendwie diese Klimaziele erreichen wollen, die ja alle unsere Sicherheitsziele sind, weil uns ansonsten wirklich Schlimmes droht, wenn wir die erreichen wollen, dann werden keine neuen Ölheizungen eingebaut.
Damals gab es keinen Aufschrei im Land, weil wir damals Opposition waren und das nicht populistisch instrumentalisiert haben. Jetzt ziehen wir das gleiche mit den Gasheizungen nach, weil Gas auch ein fossiler Energieträger ist und plötzlich, weil einige denken, da kann man jetzt ein super Spaltungsthema in der Gesellschaft draus machen, plötzlich wird gesagt, das geht ja alles gar nicht.
Also das, was wir bei den Ölheizungen geschafft haben, das werden wir auch bei den Gasheizungen schaffen. Ich erlebe unser Land größtenteils nicht nur so, dass wir sagen, wenn wir Aufgaben vor uns haben, wir schaffen das, sondern dass dann auch diejenigen zusammenkommen, die das Umsetzen auch wirklich angehen wollen und nicht nur…
Hinweis der Redaktion: An dieser Stelle ist die Leitung zu Annalena Baerbock zusammengebrochen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.