Archiv

Tiefsee
Kraken nutzen warme Quellen als "Kindergarten"

In der Tiefsee vor der kalifornischen Küste entdeckten Meeresforscher 2018 einen Krakengarten: Tausende von Tiefseekraken, die an den Spalten eines erloschenen Unterwasservulkans über ihren Eiern brüteten. Nun scheint enträtselt zu sein, warum sie sich dort sammeln: Der Ort ist einfach perfekt.

Von Dagmar Röhrlich |
Coconut Octopus
Kraken verbringen einen Großteil ihres Lebens damit, ihre Eier auszubrüten (imago/allOver-MEV)
Grapefruitgroß war die Kugel, zu der sich das Krakenweibchen über seinem Gelege zusammengerollt hatte. Es klammerte sich an einem Felsen in der Tiefsee. Neben ihr war noch ein brütendes Weibchen und daneben noch eines und noch eines. Die Bilder, die der Tiefseeroboter in den Kontrollraum an Bord der Nautilus übertrug, zeigten an der Ostflanke des erloschenen Tiefseevulkan Davidson Seamount in der Bucht von Monterey einen regelrechten „Krakengarten“:

„Die Forscher fanden Tausende brütende Tiefseekraken der Art Muusoctopus robustus, und nicht nur das: Sie sahen um sie herum schimmerndes Wasser, dort musste also warmes Wasser aus dem Fels kommen.“

Viel wärmeres Wasser im Krakengarten

So beschreibt der Meeresbiologe Jim Barry vom Monterey Bay Aquarium Research Institute in Moss Landing die Entdeckung. Er war 2018 zwar nicht selbst an Bord des Forschungsschiffs, leitet jedoch seitdem die Forschungen im Krakengarten. Damals konnte der Roboter nicht nah genug an die Felsen gesteuert werden, um die Wassertemperatur zu messen. Das ist inzwischen passiert:

„Während das Tiefseewasser dort eine Temperatur von 1,6 Grad Celsius hat, ist das, was in diesem Krakengarten aus dem Fels sickert zehn bis elf Grad warm. Und die Sauerstoffkonzentration ist nur halb so groß wie im Bodenwasser drumherum.“

Die Forscher wissen nun auch, dass sich an der Vulkanflanke erwachsene Tiere versammeln, Männchen, aber vor allem sind es Weibchen, die meisten von ihnen in der typischen Brutposition.

„Die Frage ist, warum sie diese warmen Quellen nutzen. Was ist das Besondere? Ist es einfach so, dass sie in den Weiten der Tiefsee einen Sammelplatz haben? Dass sie sich an nackten Fels klammern können? Oder liegt es an der Temperatur?“

600 Tage statt zwölf Jahren Brutzeit


Die Temperatur scheint der entscheidende Faktor zu sein. Denn Forschungen haben gezeigt, dass die Brutperiode eines Oktopusses direkt von der Wassertemperatur abhängt. Die Dauer wächst exponentiell mit der Kälte des Wassers. Bei einer Wassertemperatur von drei Grad konnten die Forscher des Instituts beobachten, dass es mehr als vier Jahre dauerte, ehe die kleinen Oktopusse schlüpften.

„Diese Tiere dort unten leben in 3,2 Kilometern Tiefe, und bei einer Wassertemperatur von 1,6 Grad würde es mehr als zwölf Jahre dauern, ehe die Jungen schlüpfen. Aber alle Weibchen, bei denen wir die Wassertemperatur gemessen haben, brüteten in Temperaturen zwischen fünf und 10 Grad Celsius. Den Berechnungen zufolge müsste die Brutdauer dann rund 600 Tage betragen – und genau das haben wir auch gefunden. Die Jungen schlüpfen in etwa 600 Tagen aus ihren Eiern.

Dass es sich bei den Müttern um immer ein- und dasselbe Weibchen handelt, ließ sich anhand von Narben feststellen. Das sauerstoffarme Wasser scheint ihnen nichts auszumachen: Ihre Atemfrequenz ist nicht erhöht.  

Das sauerstoffarme Wasser scheint ihnen nichts auszumachen

„Was hat es nun mit dem schnelleren Brüten auf sich? Warum hat sich dieses Verhalten entwickelt? Nun, wenn man sich vorstellt, dass man 100 Eier legt, von denen jedes Jahr 10 Prozent sterben und man sitzt zwölf Jahre auf dem Nest, dann ist fast niemand mehr übrig, der schlüpfen kann. Wir wissen nicht genau, wie hoch die Sterblichkeitsrate bei den Eiern ist, die sich unter diesen Weibchen entwickeln. Aber wir wissen, dass sie nicht gleich Null ist, weil es Infektionen gibt, Raubtiere oder auch thermischen Stress, wenn die Temperatur an den Quellen einmal zu hoch steigt.“

Dass die Gefahr besteht, hat eine andere Forschungsfahrt gezeigt, vor Costa Rica. Auch dort brütet Muusoctopus robustus an warmen Quellen. Allerdings ist die Temperatur des ausströmenden Wassers höher – und die Eier entwickelten sich nicht. Sie wurden im wahrsten Sinne des Wortes gekocht.