
Der Strompreis in Deutschland liegt laut dem Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) auch Mitte 2025 bei rund 40 Cent pro Kilowattstunde - also etwas niedriger als im Vorjahr, aber noch deutlich über dem Niveau vor der Energiekrise 2022. Und: Überall in Deutschland kostet Strom gleich viel. Dabei wird er nicht überall in gleich hohem Maße produziert. Im Norden zum Beispiel gibt es viel Windstrom, im Süden deutlich weniger. Das sorgt für Kritik: Wäre es nicht fairer und vielleicht sogar günstiger, wenn sich der Preis mehr am Angebot in der jeweiligen Region orientieren würde?
Wie entstehen Strompreise in Deutschland
Was Strom kostet, hängt stark von der Strombörse ab. Dort richtet sich der Preis nach Angebot und Nachfrage. Besonders wichtig ist der sogenannte Spotmarkt, auf dem Strom kurzfristig, meist für den nächsten Tag, gehandelt wird. Die Preise schwanken hier stark, je nachdem, wie viel Strom gerade produziert wird. Bei viel Wind oder Sonne sinken sie. Dann kaufen Betreiber günstig ein und speichern Strom, um ihn später teurer zu verkaufen, wenn das Angebot knapper ist.
Das hat auch mit einer technischen Besonderheit des Stromnetzes zu tun: Es darf immer nur so viel Strom entnommen werden, wie gleichzeitig eingespeist wird. Ist das Gleichgewicht gestört, droht ein Netzzusammenbruch. Bei Stromüberschuss oder -mangel braucht es daher Speicher, die kurzfristig Strom aufnehmen oder einspeisen können
Neben dem Spotmarkt gibt es den Terminmarkt, auf dem Strom langfristig, bis zu zehn Jahre im Voraus, gehandelt wird. Stromversorger können sich dadurch gegen Preisschwankungen absichern und langfristig planen. So lassen sich stabile Preise für ihre Kunden kalkulieren, weil schon früh klar ist, was der Strom künftig kosten wird.
Für Haushalte macht der eigentliche Strompreis an der Börse nur einen Teil des Endpreises aus. Mehr als die Hälfte entfällt laut Bundesnetzagentur auf Netzentgelte, Steuern und Abgaben. Hinzu kommen äußere Faktoren wie Kriege oder politische Entscheidungen. Sie treiben die Kosten zusätzlich in die Höhe, erklärt etwa der Energieversorger EnBW.
Warum gibt es aktuell Probleme mit der Verteilung des Stroms?
Ein zentrales Problem ist der ungleiche Ausbau der Erneuerbaren Energien: Im Norden Deutschlands wird viel Windstrom produziert, vor allem an der Küste und auf See. Im Süden spielt Solarstrom zwar eine große Rolle, Windkraft hingegen kaum. Gleichzeitig reicht das Stromnetz nicht aus, um den überschüssigen Windstrom aus dem Norden in den Süden zu transportieren. Die Kapazitäten der Übertragungsnetze sind zu klein. Das Problem: Im Norden gibt es dann zu viel Strom, der nicht verbraucht werden kann, und im Süden gibt es zu wenig. Trotzdem zahlen Verbraucherinnen und Verbraucher in Flensburg genauso viel wie in München, denn Deutschland bildet eine einheitliche Strompreiszone.
Damit das Stromnetz stabil bleibt, müssen Netzbetreiber regelmäßig eingreifen. Das nennt man auch Redispatch. Dabei wird zum Beispiel ein Windpark im Norden abgeschaltet, weil der Strom nicht abtransportiert werden kann, und gleichzeitig wird im Süden ein Gas- oder Kohlekraftwerk hochgefahren, um den Bedarf dort zu decken. Beide Betreiber – der eine für das Abschalten, der andere für das Zuschalten – bekommen eine Entschädigung. Das ist teuer: Allein 2024 kostete der Redispatch rund 2,78 Milliarden Euro. Diese Milliarden werden auf die Netzentgelte umgelegt, die jeder Stromverbraucher zahlt.
Was würde sich mit regionalen Strompreisen ändern?
Der Ökonom Achim Wambach vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung kritisiert, dass derzeit so getan werde, „als ob es einen Strommarkt gäbe in ganz Deutschland“, obwohl das Netz den Strom nicht überall hin transportieren könne. Teure Eingriffe wie der Redispatch ließen sich seiner Ansicht nach vermeiden, wenn sich Strompreise regional unterscheiden würden.
Was das konkret bedeuten würde, hat das europäische Stromnetzwerk ENTSO-E im Auftrag der Regulierungsbehörde ACER untersucht. Demnach würden sich die Strompreise bei einer Aufteilung Deutschlands in mehrere Gebotszonen stärker am regionalen Angebot und Bedarf orientieren.
Die Folgen: Weniger Strom müsste von Nord nach Süd fließen, das Stromnetz wäre seltener überlastet, Leitungen und Netzbetreiber müssten nicht mehr so oft eingreifen. Teure Maßnahmen wie der Redispatch würden also seltener gebraucht. Laut der ENTSO-E-Studie könnten dadurch bis zu 339 Millionen Euro pro eingespart werden. Die größte Wirkung hätte eine Aufteilung in fünf Zonen: eine südliche (Bayern, Baden-Württemberg, Hessen), eine östliche, eine westliche (NRW, Rheinland-Pfalz, Saarland), eine nordwestliche (Niedersachsen, Hamburg, Bremen) und eine eigene Zone für Schleswig-Holstein.
Andere Länder in der EU haben ihre Zonen bereits aufgeteilt und der Druck auf Deutschland seitens der EU nimmt zu, dies auch zu tun. Die EU hat der Bundesregierung ein halbes Jahr Zeit gegeben, auf die Studie zu reagieren.
Wer wäre besonders betroffen – und wer würde profitieren?
Bei regionalen Strompreisen könnten die Preise im windreichen Norden Deutschlands sinken. Laut Schleswig-Holsteins Energieminister Tobias Goldschmidt (Grüne) um etwa 0,8 Cent pro Kilowattstunde. Davon würden vor allem „die heimische Industrie und auch die Produktion von grünem Wasserstoff“ profitieren. Der Grund: Im Norden gibt es besonders viel Windstrom, der bisher nicht vollständig genutzt werden kann.
Im Süden Deutschlands würden die Preise laut ENTSO-E-Studie dagegen steigen, in Hessen um rund drei Prozent. Hessens Wirtschaftsminister Kaweh Mansoori (SPD) warnt vor „spürbaren Mehrbelastungen für Unternehmen“ und sieht die Gefahr von Wettbewerbsnachteilen. Aber auch im Norden gibt es Verlierer: Denn niedrigere Preise bedeuten geringere Erlöse für Windpark-Betreiber, so Schleswig-Holsteins Energieminister Goldschmidt. Besonders Investoren in Offshore-Anlagen müssten mit Verlusten rechnen.
Carsten Pflanz vom Übertragungsnetzbetreiber Tennet sieht zusätzlich ein Risiko für die gesamte Branche. Das bestehende System sei eingespielt. Eine Umstellung auf regionale Preise könne Unruhe und Unsicherheit schaffen, was wiederum Investitionen hemmen könnte. Außerdem brauche es Zeit, bis sich ein solcher Schritt wirtschaftlich rechne.
Kleinere Strommärkte, höhere Kosten?
Auch die Liquidität des Strommarktes könnte leiden. Aktuell gilt der deutsche Markt als besonders liquide, weil sehr viele Anbieter und Käufer gleichzeitig aktiv sind. „Wenn Sie sehr viele Händler am Markt haben, steigern Sie die Effizienz des Marktes. Die Preissignale, die Sie bekommen, sind sehr gut. Die Einschätzung der Händler, wie viel der Strom wert ist, wird immer besser“, erklärt Maximilian Rink vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft.
Dadurch sinken die Kosten, die durch den Handel entstehen und die die Käufer tragen müssen. Auch das spart letztendlich Geld für die Stromkunden. Wenn der Markt durch mehrere Gebotszonen kleiner würde, dann wären diese Märkte nicht mehr so liquide und die Transaktionskosten würden steigen. Das macht auch den Strom für die Verbraucher wieder teurer.
Für die Sicherheit des Netzes sieht es wieder anders aus. Eine Aufteilung in mehrere Gebotszonen könnte das Netz sicherer machen, denn die Zonen würden sich daran orientieren, wo Strom tatsächlich fließen kann. Fachleute sagen, die Zonen würden die Netzphysik besser abbilden. Dadurch käme es seltener zu Engpässen oder Überlastungen im Stromnetz.
Was plant die schwarz-rote Koalition zum Thema Strompreise?
In ihrem Koalitionsvertrag hat sich die Bundesregierung zur einheitlichen Gebotszone, also einem gemeinsamen Strompreis für ganz Deutschland, bekannt. Doch im Stromsektor bewegt sich viel: Neue Windparks entstehen, auch im Süden. In den kommenden Jahren sollen außerdem große Nord-Süd-Gleichstromleitungen mit mehreren Gigawatt Übertragungsleistung in Betrieb gehen. Dadurch kann mehr Windstrom aus dem Norden in den Süden fließen. Die Hoffnung: Weniger teure Eingriffe ins Netz wie beim Redispatch und am Ende niedrigere Strompreise für alle.
„Das deutsche Stromsystem muss dringend effizienter werden“, sagt Energieökonom Thilo Schaefer vom Institut der deutschen Wirtschaft. „Wir brauchen mehr erneuerbare Energien, Speicher und regelbare Kraftwerke, aber auch das Ausbautempo muss zur Entwicklung der Nachfrage passen. Wenn das Zusammenspiel effizient gelingt und wir auf teure Lösungen wie Erdkabel, wo immer möglich, verzichten, gehen die Preise nachhaltig nach unten.“
Ob einheitliche Gebotszone oder regionale Strompreiszonen: Netzbetreiber fordern vor allem Klarheit, wie es nun weitergeht. Und die soll kommen. Bis zum 11. Juli will die Bundesregierung einen Plan vorstellen, wie die Strompreise für alle Verbraucher gesenkt werden können.
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