„Ich reiste durch das Ruhrgebiet. Auf dem Essener Bahnhof standen verlassene Züge im Regen, die Franzosen konnten nicht mit dem komplizierten Weichensystem umgehen. Und sie wurden mit den sabotierenden deutschen Eisenbahnern nicht fertig.“
So der ungarische Romancier Sándor Márai. Er beschrieb im Februar 1923 seine Fahrt nach Paris, die ihn durch das besetzte Ruhrgebiet führte. Am 11. Januar jenes Jahres waren fünf französische Divisionen, vermehrt um einige belgische Einheiten, in die rechtsrheinische [*] Region vorgerückt und hatten Quartier zwischen Duisburg, Essen und Recklinghausen genommen.
Folgen des "Versailler Vertrags"
Deutschland war in Rückstand geraten mit seinen Reparationen an die Sieger des Weltkriegs. Vor allem Holz- und Kohlelieferungen hatten Frankreich nicht erreicht. Für das Land, das gemeinsam mit Belgien die Hauptlast des Weltkrieges getragen hatte, war dies ein klarer Verstoß gegen den Friedensvertrag von Versailles.
Namentlich die im Artikel 231 festgeschriebene alleinige deutsche Schuld am Ausbruch des Weltkriegs eröffnete der französischen Regierung unter dem Ministerpräsidenten Raymond Poincaré einige Repressionsmöglichkeiten. Gerade darum warnte der um Ausgleich bemühte Harry Graf Kessler im Gespräch mit dem deutschen Außenminister Frederic von Rosenberg vor jeder nationalistischen Geste: „Dann würde sich fast das ganze französische Volk wie ein Block hinter Poincaré und seine Ruhrpolitik stellen; der bisher aus losem Sand bestehende Poincaré Block werde sich zu Eisenbeton verhärten.“
Versuch, den industriellen Kern vom Reich zu trennen
Fest stand aber auch: Kam Deutschland in Verzug mit den Reparationsleistungen, so drohten harte Sanktionen. Was allerdings mit der Ruhrbesetzung begann, war nichts weniger als eine militärische Operation, letztlich ein kriegerischer Akt, mit dem versucht wurde, das industrielle Kernland Deutschlands vom Reich zu trennen.
In einem Bericht des „Berliner Tageblatts“ vom 12. Januar 1923 hieß es über den Einmarsch in Essen: „Voran einige Radfahrer, ihnen folgend Infanterie und anschließend einige tausend Mann Kavallerie im Trab. Langsam ratterten drei schwere Panzerautos durch die Straßen, ihnen folgte Infanterie und Artillerie, auch Maschinengewehre sah man.“
Breiter passiver Widerstand
Die große Mehrheit der Einwohner im Ruhrgebiet antwortete mit passivem Widerstand. Von den Unternehmern über die Zechen- und Eisenbahnarbeiter bis zur Beamtenschaft - alle machten mit. Eine Zeitzeugin berichtete, was mit den Wohnungen von Eisenbahnern geschah, die sich verweigerten: „Zu diesem passiven Widerstand gehörte, dass die Lokomotivführer die Züge nicht gefahren haben. Und die Franzosen kamen und haben die zwingen wollen zu fahren. Und sie haben nicht gefahren. Da hat man die Wohnung ausgeräumt, die Möbel auf die Straße geschmissen.“
Zwischen "Ruhrkampf" und Hyperinflation
Die Unterstützung für den passiven Widerstand war weit verbreitet. Doch bald zeigte sich - der „Ruhrkampf“ war von Deutschland nicht durchzuhalten. Vor allem finanziell nicht. Die Inflationsschraube begann sich von neuem zu drehen.
Nach Einstellung des passiven Widerstands im September 1923 brachte der im August 1924 beschlossene Dawes-Plan alle Beteiligten einer Lösung näher. Er regelte die Reparationszahlungen neu, stellte aber auch ein Ende der Ruhrbesetzung in Aussicht.
Wie Gustav Stresemann zu einer Politik des Ausgleichs fand
Am 3. September 1924 ordnete die interalliierte Rheinlandkommission die wirtschaftliche Räumung des Ruhrgebietes an. Das hieß: Wirtschaft und kommunale Verwaltung kamen wieder unter deutsche Leitung. Eine Amnestie wurde erlassen, und im öffentlichen Erscheinungsbild verschwand die Besatzung weitgehend. Zu verdanken war das auch dem nationalliberalen Politiker Gustav Stresemann. Zunächst als Reichskanzler, dann als Reichsaußenminister versuchte er, die Krise zu beheben. Ihm gelang es, die Einheit der Republik zu wahren und nicht zuletzt eine Politik des Ausgleichs mit Frankreich in die Wege zu leiten. „Die Aufgabe unserer Gegenwart ist nicht, in starre Opposition zu treten gegenüber dem, was geworden ist, sondern Hand ans Werk zu legen, um ein neues Haus zu bauen, das die guten Grundsteine der Vergangenheit benutzt.“
Es sollte allerdings noch bis zum August 1925 dauern, bis die französischen und belgischen Truppen endgültig aus dem Ruhrgebiet abgezogen waren.
[*] An dieser Stelle haben wir eine geografische Angabe korrigiert.