Al Hilal gegen Al Nassr, das Derby von Riad ist das wohl wichtigste Fußballspiel Spiel in der saudi-arabischen Profiliga. Mehr als 50.000 Zuschauer verfolgen das Spiel Anfang Dezember im König-Fahd-Stadion. Die überwiegend jungen Fans singen, schwenken Fahnen, zünden Leuchtraketen. Wenige von ihnen tragen den traditionellen Thawb, das weiße knöchellange Gewand, das in Riad sonst allgegenwärtig ist. Auch einige Frauen sind im Stadion.
Vor zehn Jahren war das in Saudi-Arabien noch undenkbar, sagt der saudische Nahostexperte Aziz Alghashian: „In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat sich unter den jungen Menschen viel Frust ausgebreitet. Sie wussten nicht, wie sie ihre Energie sinnvoll nutzen konnten. In Riad gab es kaum Freizeitmöglichkeiten. Es war zwar viel Geld vorhanden, aber das wurde nicht investiert. Das ändert sich nun. Es gibt nun viele Investitionen in diese Generation.“
Ronaldo hilft mit großer Reichweite
Die jüngere Generation kann mit den alten Eliten aus Religion und Stammesnetzwerken immer weniger anfangen. Die Jüngeren wollen sich freier und kreativer entfalten. Und die neue milliardenschwere Sportindustrie, unter anderem im Fußball, in der Formel 1 und im Golf, biete dafür eine Plattform, sagt Aziz Alghashian: „Saudi-Arabien diversifiziert seine Wirtschaft. Die hohen Öl-Einnahmen sollen langfristig in den Aufbau anderer Industrien fließen. Dabei geht es um Tourismus und die Öffnung für ausländische Investitionen. Auch Fußballer wie Ronaldo mit ihrer großen medialen Reichweite erzeugen Öffentlichkeit dafür.“
Laut Weltbank liegt die Jugendarbeitslosigkeit in Saudi-Arabien bei 24 Prozent. Jedes Jahr drängen mehr als 250.000 Menschen auf den Arbeitsmarkt. Immer mehr saudische Staatsangehörige müssen Jobs übernehmen, die Jahrzehnte lang von Migranten aus Südasien ausgefüllt wurden. Um die Identifikation mit der Transformation zu stärken, schürt das Königshaus einen saudischen Nationalismus. Auch der Sport soll neue Freizeitangebote und neue Jobs schaffen, sagt der Islamwissenschaftler Sebastian Sons: „Und da spielt eben natürlich Fitness und Gesundheit eine gewisse Rolle, gerade auch vor dem Hintergrund, dass gerade viele junge Menschen extrem in Anspruch genommen werden, die Erwartungshaltung extrem hoch ist, im Job auch wirklich zu performen und Leistungen zu erbringen, die ihre Eltern niemals erbringen mussten. Weil es damals eben nicht notwendig war. Aber mittlerweile ist der Konkurrenzkampf enorm auf dem Arbeitsmarkt, für Frauen wie für Männer.“
Frauen bei den Saudi Games
Bis Anfang Dezember fanden in Riad die „Saudi Games“ statt, ein großes Sportfestival. Ein zentraler Ort war die „Fan Zone“, ein Campus mit Sporthallen, Beachsoccer und Basketballcourt. Zudem Zelte für Esports und Filmvorführungen. Daneben eine Konzertbühne und Infostände für gesunde Ernährung. Bereits zum zweiten Mal nahm Amira in einem Kraftsport an den „Saudi Games“ teil. Sie ist Mitte 30, ihren richtigen Namen möchte sie nicht nennen: „In meiner Jugend gab es keinerlei Sportangebote für Mädchen und Frauen. Es gab nicht mal Fitnessstudios. Ich habe immer gedacht, dass ich das Land verlassen muss, um sportlich erfolgreich zu sein.“
Über Jahrzehnte prägte in Saudi-Arabien der Wahhabismus den Alltag, eine streng konservative Auslegung des sunnitischen Islam. Kinos und Konzerte waren untersagt. Frauen durften kein Auto fahren, mussten separate Eingänge benutzen und benötigten für viele Anliegen die Erlaubnis eines männlichen Vormunds. Auch Amira wurde von der Religionspolizei gestoppt und darauf hingewiesen, wenn ihr Kopftuch verrutscht war: „Noch 2017 war es so, dass ich nicht in Saudi-Arabien leben wollte. Aber jetzt ist das anders. Unsere Regierung gibt uns das Gefühl, dass wir Frauen eine wichtige Rolle bei der Transformation spielen. Und ich möchte dieses Gefühl in den sozialen Medien weitergeben. Ich möchte Mädchen und junge Frauen für Sport inspirieren.“
Sport als Gesundheitsförderung
Die zentrale Figur in der Transformation ist der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman. Im Westen gilt er als brutaler Herrscher, der sogar Journalisten wie Jamal Khashoggi ermorden lässt. In Saudi-Arabien beschreiben ihn Jüngere wie Amira als Reformer, der die Religionspolizei entmachtet hat. Und dabei stets die Wirtschaft im Blick hat: 1990 waren nur elf Prozent der Frauen in Saudi-Arabien erwerbstätig. Mittlerweile sind es dreimal so viel. Die Aufhebung des Fahrverbots für Frauen 2018 soll die Wirtschaftsleistung laut Bloomberg jährlich um 90 Milliarden Dollar gesteigert haben.
Zahlen wie diese sind wichtig für die Monarchie, sagt der Islamwissenschaftler Sebastian Sons. Denn mit einem hohen Wohlstandsniveau sinkt auch die Wahrscheinlichkeit für Proteste: „Eine zunehmende Demokratisierung Saudi-Arabiens wird es nicht geben. Was man aber in Saudi-Arabien durchaus erlebt, ist ein breiter gesellschaftlicher Diskurs zu Themen, die der Staat erlaubt. Es gibt rote Linien, und die müssen eingehalten werden, aber es gibt eben auch Themen, die durchaus in Saudi-Arabien kritisch diskutiert werden. Beispielsweise mangelnder bezahlbarer Wohnraum, fehlender öffentlicher Nahverkehr. Zum Beispiel auch den Mangel an Sportlehrern.“
Im Februar findet in Riad zum dritten Mal ein Marathon statt. Fast 20 Prozent der Bevölkerung in Saudi-Arabien leben mit Diabetes, rund 50 Prozent mit Übergewicht. Die Regierung möchte die Zahl der Menschen, die mindestens einmal pro Woche Sport treiben, bis 2030 von 13 auf 40 Prozent steigern. Das würde das Gesundheitssystem entlasten und die wirtschaftliche Produktivität stärken. Und so lange diese Produktivität wächst, so lange ist wohl auch die Stabilität der Monarchie gesichert.