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Sparen oder Investieren auf Pump
Die Schuldenfrage im Wahlkampf

Wegen der Pandemie musste der Finanzminister tief in die Schatulle greifen: Es wurden Firmen gerettet, Händler unterstützt, Impfstoffe angeschafft. Nun ist der Schuldenberg weiter gewachsen. Die Frage ist, wie der abgetragen werden kann. Im Wahlkampf präsentieren die Parteien konträre Ideen.

Von Caspar Dohmen | 04.09.2021
Blick auf die sogenannte Schuldenuhr, die am Eingang vom Bund der Steuerzahler Deutschland e. V. hängt.
Schuldenuhr: Der deutsche Staatshaushalt hängt im ersten Halbjahr 2021 tief im Minus. (dpa)

Ausgangslage

Die Schuldenbremse wurde für die Jahre 2020 und 2021 ausgesetzt, so wie es das Grundgesetz für Notlagen vorsieht. Die nächste Bundesregierung steht vor einem Schuldenberg und muss gleichzeitig wichtige Aufgaben schultern, die den Staat viel Geld kosten werden. Dazu zählen vor allem der Aufbau einer klimaneutralen Wirtschaft, die Sanierung maroder Infrastruktur sowie der Aufbau neuer Infrastruktur wie schnelles Internet für jeden Bürger und Betrieb.

Vorstellungen der Parteien

Die Frage ist, wie kann der Schuldenberg abgetragen und gleichzeitig Geld für anstehende Aufgaben mobilisiert werden. Im Wahlkampf präsentieren die Parteien unterschiedliche Vorstellungen für den Umgang mit Staatsschulden. Union, FDP, SPD und AfD wollen an der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse festhalten. Unionskandidat Armin Laschet hat aber vorgeschlagen, einen Fonds einzurichten, der nicht der Schuldenbremse unterliegen würde. Die Grünen wollen die Schuldenbremse reformieren, um Investitionen vor allem für die Klimawende zu erleichtern. Die Linke fordert als einzige im Bundestag vertretene Partei, die Schuldenbremse komplett aus dem Grundgesetz zu streichen.

Konflikt

Die Debatte dreht sich um die Frage, ob eine höhere Schuldenaufnahme des Staates eine Chance für den Umbau Deutschlands bietet oder ein großer Fehler wäre, weil höhere Schulden eine Hypothek für die Zukunft wäre. Unbestritten ist, dass die Kreditaufnahme für den deutschen Staat sehr günstig ist. Wegen der Niedrigzinsen muss der Finanzminister Gläubigern kaum noch Zinsen für neue Kredite überweisen. Bisweilen akzeptieren die Kreditgeber sogar Negativzinsen. Offen ist, ob das in Zukunft so bleibt. Für fast jeden zweiten Wähler ist es ein Kriterium für die Wahl, wie die Parteien mit Staatsschulden umgehen möchten. Aber es gibt Unterschiede zwischen Wählerinnen und Wählern, je nachdem welche politischen Präferenzen sie haben oder wie sie wirtschaftich dastehen.
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Das Wichtigste zur Bundestagswahl im Überblick (Deutschlandradio / imago images / Alexander Limbach)

Schuldenbremse für 2020/21 ausgesetzt

Zur Bewältigung der Coronakrise hat der Staat viel Geld in die Hand genommen. Er finanzierte Schutzmasken und Schnelltests, schaffte außerdem Impfstoffe an. Und er sorgte auch für einen teilweisen Ausgleich der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie, etwa durch Kurzarbeitergeld oder Corona-Hilfen für Selbstständige. Die Ausgaben lagen weit über den Steuereinnahmen. Deswegen kassierte die Bundesregierung die Schwarze Null, also die Prämisse eines ausgeglichenen Haushalts, und setzte die Schuldenbremse für die beiden Jahre 2020 und 21 aus. Die Schulden des Staates erhöhten sich immens. Gleichzeitig warten auf die nächste Bundesregierung Aufgaben, die zusätzliches Geld kosten werden, etwa für den Klimaschutz.
Wie soll man mit Schulden umgehen? Die Antworten der Politiker, die sich um die Nachfolge von Angela Merkel bewerben, fallen unterschiedlich aus. SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz:
"Steuersenkungen für Unternehmen mit sehr, sehr hohen Gewinnen, über die hat Herr Laschet gesprochen und für Bürgerinnen und Bürger mit sehr, sehr hohen Einkommen, über die sind auch gesprochen worden, sind nicht drin. Das kann man bei 400 Milliarden Euro Schulden nicht machen."
Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock:
"Wir müssen die Schuldenbremse ergänzen durch eine Investitionsregel, damit wir in Infrastruktur in Zukunft auch investieren können und da wir gerade Niedrigzinsen haben ist das auch eine Rechnung, die über die Jahre aufgeht."
Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet:
"Rotgrüne Konzepte, Steuererhöhungen, neue Schulden, neue Beschränkungen für die Wirtschaft, werden genau diesen Weg unmöglich machen. Und das ist der Grund, warum wir uns jetzt so anstrengen müssen."

Das Erbe liegengebliebener und neuer Aufgaben

Die nächste Bundesregierung wird eine komplizierte Gemengelage übernehmen: eine angespannte Kassenlage vor allem durch die Coronakrise sowie liegengebliebene und neue Aufgaben. Dazu gehört etwa der Aufbau einer klimaneutralen Wirtschaft.
"Wir haben einen hohen Investitionsbedarf und dieser Investitionsbedarf ist mit dem bisher budgetierten und projektierten Beträgen nicht abzuarbeiten," sagt der Ökonom Michael Hüther vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft.
"Da kommt man auf hohe Beträge. Wenn man das machen will ist dazu kein Spielraum im Haushalt."
Er veranschlagt die zusätzlichen Verschuldungsmöglichkeiten des Bundes im Haushalt nach geltender Rechtslage auf gerade einmal vier Milliarden Euro. Die notwendigen Investitionen beziffert der Ökonom dagegen für die nächsten zehn Jahre auf jeweils jährlich knapp 50 Milliarden Euro. Die nächste Bundesregierung mag auf andere Summe kommen. Aber fest steht, sie braucht Geld für Investitionen. Aber woher nehmen? Die Debatte, wie mit Schulden und Steuern umzugehen ist, spielt auch im derzeitigen Bundestagswahlkampf eine Rolle – denn die Parteien verfolgen bei diesem Thema völlig unterschiedliche Ansätze: Es ist eine Frage der politischen Überzeugung, ob eher an der Steuerschraube gedreht werden soll, um die staatlichen Einnahmen zu erhöhen, ob neue Schulden aufgenommen oder öffentliche Ausgaben reduziert werden können. Die Antworten der Parteien sind sehr unterschiedlich.
"Das ist natürlich ein breites Spektrum."
Rehberg (CDU): "Schuldenbremse weiter Bestandteil des Grundgesetzes"
Der Bundeshaushalt 2021 sieht neue Schulden in Milliardenhöhe vor. Ziel der Union sei es nun, die Schuldenbremse ab 2022 wieder einzuhalten, sagte der haushaltspolitische Fraktionssprecher Eckhardt Rehberg (CDU). Eine schwarze Null werde man bis 2025 aber wohl nicht mehr erreichen.

"Investitionsorientierte" Schuldenbremse oder gar keine mehr

Der Ökonom Achim Truger ist einer der sogenannten Wirtschaftsweisen. Er wurde auf Vorschlag der Gewerkschaften in den unabhängigen Sachverständigenrat berufen, der die Bundesregierung in Wirtschaftsangelegenheiten berät. Truger vertritt in ökonomischen Fragen eher linke Positionen.
"Das Spektrum reicht ja von so schnell wie möglich zurück zur Schuldenbremse und keine Änderung an der Schuldenbremse bei FDP und CDU oder Union, hin zu 'man überlegt, wie man im Rahmen der Schuldenbremse oder im Rahmen des Grundgesetzes Investitionen besser finanzieren kann'. Das will die SPD. Und dann bei den Grünen ist es so, dass sie sich dazu bekennen, dass sie die grundgesetzliche Schuldenbremse ändern möchten, in eine investitionsorientierte Schuldenbremse, wo Investitionen ausgenommen werden, insbesondere Klimainvestitionen natürlich. Und die Linke hat gesagt, sie möchte die Schuldenbremse abschaffen."

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Schuldenabbau und Generationengerechtigkeit

Die FDP schreibt in ihrem Wahlprogramm, sie stehe, Zitat: "Zur im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse." Um auf künftige Krisen vorbereitet zu sein, müssten die Corona-Schulden so schnell wie möglich abgebaut werden. Nur so bleibe Deutschland handlungsfähig. Auch im Wahlprogramm von CDU und CSU heißt es, man wolle "so schnell wie möglich ohne neue Schulden auskommen. Das sei "praktizierte Generationengerechtigkeit". Für die Partei gehört die Schuldenbremse gewissermaßen zu ihrem Markenkern. Für Aufsehen sorgte deswegen CDU-Kanzleramtsminister Helge Braun, als er Anfang des Jahres öffentlich dafür warb, die Schuldenbremse noch länger auszusetzen. In einem Gastbeitrag für das Handelsblatt schrieb Braun:
"Die Schuldenbremse ist in den kommenden Jahren auch bei ansonsten strenger Ausgabendisziplin nicht einzuhalten. Deshalb ist es sinnvoll, eine Erholungsstrategie für die Wirtschaft in Deutschland mit einer Grundgesetzänderung zu verbinden, die begrenzt für die kommenden Jahre einen verlässlichen degressiven Korridor für die Neuverschuldung vorsieht und ein klares Datum für die Rückkehr zur Einhaltung der Schuldenregel vorschreibt."
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Schuldenbremse beibehalten und trotzdem Schulden machen

Der Aufschrei in der Union war groß und die Wortmeldung von Helge Braun, einem engen Vertrauten der Kanzlerin, wurde als persönliche Einzelmeinung abgestempelt. Der Vorschlag war schnell vom Tisch. Allerdings machte CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet drei Monate später einen Vorschlag, mit dem die kommende Bundesregierung gleichzeitig die Schuldenbremse beibehalten und trotzdem deutlich mehr Schulden machen könnte. Er sprach von einem "Deutschlandfonds", an dem sich neben dem öffentlichen Sektor auch der private Sektor beteiligen könne.
Dafür hatte zuvor bereits der Ökonom Michael Hüther geworben: "Eine Art Deutschlandfonds, der das aufnimmt, der eine eigene Rechtsposition hat, und das wäre rechtlich gesehen mit der Schuldenbremse kompatibel."
Denn die Schuldenbremse gilt nicht für Institutionen mit eigener Rechtspersönlichkeit wie die Sozialversicherung oder Universitäten. Solche Institutionen könnten auch für andere Aufgaben geschaffen werden, sagt Ökonom Achim Truger:
"Das heißt, man könnte Investitionsgesellschaften gründen, wenn die dann auch noch eine wirkliche Zukunftsaufgabe haben, wie beispielsweise Klimaschutz oder Wohnungsneubau, Infrastrukturausstattung. Das wäre aus meiner Sicht sinnvoll und ökonomisch auf jeden Fall gerechtfertigt. Ich würde das dann auch nicht als Umgehung der Schuldenbremse werten."

Schuldenverlagerung in Sonderfonds - wie einst die DDR-Schulden

So könnte die Bundesregierung beispielsweise die immensen Summen für die Klimapolitik in eine Art Sonderfonds auslagern wie einst die Schulden der DDR. Dann würden Subventionen für den Aufbau einer grünen Wirtschaft etwa mit Strom aus regenerativen Energien und Stahlherstellung mittels Wasserstoff den Bundeshaushalt nicht belasten.
"Aus meiner Sicht die schönere Lösung wäre tatsächlich, die investitionsorientierte Reform gleich ins Grundgesetz zu schreiben. Aber wenn es da politische Vorbehalte gibt, dann fände ich es gut, wenn die Politik so pragmatisch ist, dass sie da dann andere Lösungen findet. Notwendig ist es auf jeden Fall. Denn ich bin überzeugt davon, dass es nicht möglich sein wird, die ganzen Investitionsbedarfe so nebenbei zu finanzieren."
Wie genau der Deutschlandfonds aussehen könnte, ist unklar. Kritik an der Idee kam aus den eigenen Reihen. So lehnte der Wirtschaftsflügel der CDU die Idee ab. Nach der Flutkatastrophe sagte im Juli dann CSU-Chef Markus Söder, man müsse - Zitat - "generell überlegen, wie wir Klimaschutz als Daueraufgabe mit der Schuldenbremse in Einklang bringen können". Ökonom Achim Truger:
"Also da scheint das letzte Wort auch noch nicht gesprochen zu sein."
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Keine Reform der Schuldenbremse im SPD-Wahlprogramm

Olaf Scholz hat zwar als Finanzminister der großen Koalition in der Pandemie die Schuldenbremse ausgesetzt. Ein wichtiger Grund, warum sich linke Sozialdemokraten mit ihm als Kanzlerkandidaten anfreunden konnten. Allerdings will Scholz die Schuldenbremse 2023 wieder in Kraft setzen. Auch im Wahlprogramm der SPD findet sich keine Reform der Schuldenbremse. Aber die Partei will für den Aufbau einer klimaneutralen Wirtschaft mehr Mittel über die staatliche Kreditanstalt für Wiederaufbau bereitstellen. Außerdem soll der Bund besonders hoch verschuldeten Kommunen Altschulden abnehmen. Dann könnten diese Kommunen auch wieder mehr investieren. Mancher Parteilinke würde allerdings gerne die Schuldenbremse beseitigen, um mehr Investitionen finanzieren zu können. Offiziell vertritt diese Haltung in ihrem Wahlprogramm als einzige im Bundestag vertretende Partei Die Linke. Sie schreibt - Zitat: "Die Schuldenbremse ist volkswirtschaftlich unsinnig und gehört abgeschafft."
Ökonom Achim Truger: "Ich denke, also, dass man ganz ohne Regeln für Staatsverschuldung auskommt, halte ich für unwahrscheinlich und wahrscheinlich nicht sinnvoll. Eine investitionsorientierte Reform ist aus meiner Sicht etwas, was sehr sinnvoll ist und was seit langem diskutiert wird, also ein uralter finanzwissenschaftlicher Konsens, dass das sinnvoll ist."

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Grüne sehen "hohe Rendite öffentlicher Schulden" bei Niedrigzinsen

Finanzwissenschaftler bewerten Staatsschulden unterschiedlich, je nachdem, wofür der Staat das zusätzliche Geld ausgibt. Die sogenannte goldene Regel der Finanzpolitik besagt, dass die öffentliche Verschuldung nur in dem Umfang steigen sollte, wie zugleich mindestens das öffentliche Netto-Vermögen steigt. Dieser Idee folgte das Grundgesetz mit seiner früheren Schuldenbremse in Artikel 115. An diese Tradition knüpfen Bündnis 90/Die Grünen in ihrem Wahlprogramm an:
"Bei konsumtiven Ausgaben bleibt es bei den derzeitigen strikten Regelungen; bei Investitionen, die neues öffentliches Vermögen schaffen, erlauben wir eine begrenzte Kreditaufnahme in Höhe der Netto-Investitionen. So schaffen wir öffentliches Vermögen, das uns allen gehört, denn die Rendite öffentlicher Investitionen ist hoch, während der Bund keine Zinsen für seine Kredite bezahlt."
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Staatsverschuldung - wichtiges Kriterium bei der Wahlentscheidung

Das Thema Staatsverschuldung ist für viele Bürger bei der Wahlentscheidung wichtig, was eine Umfrage des renommierten Meinungsforschungsinstituts Allensbach signalisiert. Die Demoskopen fragten:
"Was muss eine Partei erfüllen, damit sie bei der diesjährigen Bundestagswahl für Sie in Frage käme? Wonach bewerten Sie die Parteien vor allem?"
45 Prozent der Befragten entschieden sich für die Antwortmöglichkeit "Wie die Partei mit den Staatsschulden umgehen möchte". Dieses Kriterium hielten die Befragten ungefähr für genauso wichtig, wie die Frage, ob eine Partei soziale Sicherungssysteme ausbauen oder wie sie mit dem Klimaschutz umgehen will. Untersuchen Wissenschaftler einen längeren Zeitraum und verschiedene Länder mit Blick auf das Thema Staatsschulden bei Wahlen, ergibt sich allerdings ein geteiltes Bild.
"Es gibt eine Gruppe von wissenschaftlichen Studien, die zeigt, dass sich die Wähler sehr wohl um das Thema überhaupt Sorgen machen und dass die gegen eine öffentliche Verschuldung sind. Aber es gibt auch genauso viele Studien, die das Gegenteil behaupten."

Beim Thema Steuererhöhung fällt die Bürger-Zustimmung rapide

Der Politikökonom Björn Bremer forscht am Max-Planck-Institut für Gesellschaftswissenschaften in Köln. Mancher Befragte überdenke aber seine Haltung zu Staatsschulden, wenn man ihn mit den Folgen konfrontiere.
"Was ich in meiner eigenen Forschung zeige ist, dass, wenn wir im Prinzip die Wähler fragen, ob sie für eine geringere Staatsverschuldung sind, dann würden sie dem immer zustimmen. Aber wenn wir dann sie darauf hinweisen, dass dies ja Kosten hätte, dass die Reduzierung der Staatsschulden nicht umsonst ist. Also dass das bedeutet, dass man entweder die Steuern erhöht oder die Staatsausgaben senkt, dann fällt die Zustimmung zu der Fiskalkonsolidierung oder der Abbau der Staatsschulden rapide ab."
Unterschiede gibt es auch je nach politischer Präferenz.
"Einerseits können wir sehen und das spiegelt sich über die meisten Studien hinweg, dass es hier eine Links-Rechts-Unterscheidung gibt. Also, dass eher die rechten Wähler oder konservative Wähler und Wählerinnen sich Sorgen machen um die Staatsschulden und gleichzeitig, das korrigiert natürlich auch, dass es eher gut situierte Bürger und Bürgerinnen sind, die für einen Abbau der Staatsschulden sind."
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Präferenz: geringere Staatsausgaben gegenüber höheren Steuern

Das gleiche Bild zeigt auch die im Juli veröffentlichte Umfrage von Allensbach. Demnach finden Anhänger von Union, FDP und AfD das Thema Staatsschulden deutlich wichtiger als die Anhänger von SPD, Grünen und Linken. Wenn es darum geht, die Staatsschulden abzubauen, bevorzugten Wähler geringere Staatsausgaben gegenüber höheren Steuern, sagt Björn Bremer und erklärt dies mit der unterschiedlichen Betroffenheit der Bürger von solchen Reformen. Während die Kürzung der Staatsausgaben oft nur einzelne Gruppen zu spüren bekommen, treffen vor allem allgemeine Steuern im Prinzip jeden. Anders bewerten Bürger Steuererhöhungen, die nur einen Teil der Gesellschaft belasten.
"Wenn es darum geht, ob man zum Beispiel Staatsschulden mit progressiveren Steuern, also mit einer höheren Steuer für die reicheren Schichten abbauen könnte, dann gibt es da eigentlich eine sehr hohe Zustimmung."
Häufig hört man in der öffentlichen Debatte das Argument, Bürger irrten sich bei der Bewertung von Staatsschulden, weil sie den öffentlichen mit dem privaten Haushalt verglichen.
"Das kennen wir in Deutschland unter dem Schlagwort Schwäbische Hausfrau," sagt der Politikökonom Lukas Haffert von der Universität Zürich.
"Das gibt es aber genauso in anderen Ländern auch, wo eben gesagt wird, so wie der Privathaushalt sich nicht übermäßig verschulden sollte, soll das der Staat auch nicht. Das ist die gängige Erklärung."
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Die Schwarze Null und der Zeithorizont

Aber es gibt eben einen großen Unterschied: Anders als Privatpersonen ist der Staat theoretisch unsterblich, was ihm einen ganz anderen Zeithorizont gibt. Empirische Untersuchungen zeigten, dass Menschen unterschiedlich auf das Argument reagierten.
"Es scheint eher so zu sein, dass diejenigen, die ohnehin schon davon überzeugt sind, dass der Staat möglichst keine Schulden aufnehmen sollte, dann auf solche Argumente reagieren und sagen, ja, ja, das stimmt, so sehen wir das auch, als dass es wirklich möglich ist mit dieser Argumentation noch Leute zu überzeugen, Leute für eine bestimmte Fiskalpolitik zu gewinnen."
Es gibt weitere Effekte, die den Blick der Bürger auf die Staatsschulden beeinflussen. Lukas Haffert nennt etwa den lang anhaltenden und bis in die 1980er-Jahre zurückgehenden öffentlichen Diskurs über zu hohe Schulden und die letzten politischen Konstellationen im Bund.
"Wenn man auf die Politik den Deckel der Schwarzen Null drauflegt, dann werden sehr, sehr viele Debatten über Steuersenkungen, über größere Investitionsprogramme und so, gleich sehr, sehr stark gedämpft."
Ganz besonders, wenn sich alle Beteiligten dazu bekennen würden, dass neue Ausgaben durch Kürzungen an anderer Stelle finanziert werden müssten.
"Sowohl für eine politisch dominante Union, der so ein bisschen die eigenen politischen Projekte abhanden gekommen sind – als auch für eine große Koalition, die eben notwendigerweise eigentlich davon lebt, dass sie politische Konflikte so ein bisschen stilllegt, ein sehr attraktives politisches Instrument."
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Staatsschuldenquote nach der Pandemie weit über Vorgabe

Um Staatsschulden einzuordnen, müssen mehrere Faktoren betrachtet werden. Wichtig ist die Staatsschuldenquote. Sie misst das Verhältnis von Staatsschulden und jährlicher Wirtschaftsleistung, gemessen am Bruttoinlandsprodukt. Der Maastricht-Vertrag erlaubt den EU-Staaten eine Quote von 60 Prozent. Deutschland hielt 2019 die Vorgabe ein. Aber in der Pandemie sind die Staatsschuldenquoten in den EU-Staaten um 20 bis 30 Prozentpunkte gestiegen und liegen nun weit über der Vorgabe. Auch die Zins-Steuer-Quote ist entscheidend für die Beurteilung von Staatsschulten. Sie misst den Anteil der Zinsausgaben an den Steuereinnahmen und ist damit ein Gradmesser dafür, wie sehr der Haushalt durch die Schuldentilgung belastet ist. Im Jahr 2010 betrug die Quote fast elf Prozent, musste der Bund von hundert Euro Steuereinnahmen also fast elf Euro als Zinsen an seine Gläubiger überweisen. Mittlerweile hat sich die Zins-Steuer-Quote aber mehr als halbiert. Ökonom Michael Hüther:
"Die ist heute mit unter vier Prozent niedriger als Anfang der 70er-Jahre."

Niedrigzinsen als Chance zur Finanzierung von Investitionen

Grund ist die anhaltende Niedrigzinsphase. Eine entscheidende Rolle bei der Bewertung von Staatsschulden spielt zudem das Verhältnis von Zins und Wachstumsrate. Liegt der Zinssatz unterhalb der Wachstumsrate, sinken die Schulden des Fiskus quasi automatisch. So wie in den vergangenen Jahren in Deutschland. Zeitweise bekam der deutsche Fiskus sogar Geld von den Kreditgebern geschenkt, weil diese Negativzinsen akzeptierten. Eine Riesenchance, um die Zukunftsaufgaben zu finanzieren. Ökonom Moritz Schularick von der Universität Bonn.
"Ich denke, wir sollten viel mehr über die Chancen reden, die sich gegenwärtig ergeben und das wird nicht für ewig so sein. Es kann gut sein, dass die Zinsen wieder steigen. Aber zurzeit ist die Situation so wie sie ist und da müssen wir über die Chancen reden, die darin liegen für eine oder zwei Generationen dieses Land wie es oft in den Sonntagsreden heißt, wirklich zukunftsfest zu machen. Und wir können das gerade zu einem Spottpreis realisieren."

Keine Klimainvestitionen ohne Kürzungsorgien

Nach der Bundestagswahl dürfte es also eine lebendige Debatte geben: über Staatsschulden und Steuern, Schwarze Null und Schuldenbremse. Der Ökonom Achim Truger:
"Meine Vorstellung ist, dass selbst, wenn man am Ende keine Mehrheit findet für eine Grundgesetzänderung, dass man doch im bestehenden Rahmen versucht alle Spielräume die es gibt zu nutzen, um nicht zu stark auf die Bremse zu treten und vor allen Dingen um Investitionen zu finanzieren, gerade die Klimainvestitionsbedarfe sind groß und da sehe ich nicht, wie man das aus dem laufenden Haushalt ohne Kürzungsorgien an anderer Stelle finanzieren möchte."