Mittwoch, 01. Mai 2024

Landtagswahlen
Wie die Demokratie gegen Rechtsextreme gestärkt werden kann

Die AfD könnte bei den nächsten Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg stärkste Kraft werden. Experten empfehlen in Thüringen unter anderem eine Verfassungsänderung, um die Demokratie zu sichern.

18.04.2024
    Ein Demonstrant hält ein Plakat mit einem durchgestrichenen Porträt von Björn Höcke (AfD) hoch, darunter steht "Kein Raum für Nazis" (Demo gegen Rechtsextremismus in Göttingen am 16.3.2024)
    Eine wehrhafte Demokratie ist eine vorbereitete Demokratie, schreiben die Autoren des Verfassungsblogs und schlagen Maßnahmen vor, um den Einfluss von Rechtsextremen zu mindern. (IMAGO / Müller-Stauffenberg / IMAGO / Müller-Stauffenberg)
    Laut Umfragen könnte die AfD bei den nächsten Landtagswahlen im September in Thüringen auf 29 Prozent der Sitze kommen, in Sachsen sogar auf 34 Prozent, in Brandenburg liegt sie bei derzeit 26 Prozent. Die AfD könnte also in allen drei Landtagen erstmals stärkste Kraft werden. In Thüringen und Sachsen stuft der Verfassungsschutz die Partei als „gesichert rechtsextremistisch“ ein, in Brandenburg wird sie als Verdachtsfall geführt.
    Zwar will derzeit keine der demokratischen Parteien mit den Rechtsextremen eine Regierung bilden, aber auch wenn die AfD ein Drittel der Sitze gewinnt, könnte sie starken Einfluss nehmen. Die Erfahrungen mit Rechtsaußen-Parteien in anderen Ländern wie Polen, Ungarn, der Slowakei und Russland zeigen, dass dadurch Demokratie und Rechtsstaat ausgehöhlt werden – und zwar mit legalen Mitteln.
    Die Autoren des Projekts „Verfassungsblog“ haben nun Handlungsempfehlungen herausgegeben, wie sich der Rechtsstaat in Thüringen autoritär-populistischen Strategien stärken lassen kann.

    Inhalt

    Welche Gefahren bestehen, wenn die AfD über ein Drittel der Sitze im Landtag hat?
    Traditionell wird ein Abgeordneter der größten Landtagsfraktion zum Landtagspräsident gewählt. Sollte ein autoritär-populistischer Abgeordneter Landtagspräsident werden, könnte er das Amt missbrauchen, um unliebsame Gesetze zu blockieren. Denn der Landtagspräsident hat ein Prüfungsrecht, mit dem er das Inkrafttreten von Gesetzen um Monate verzögern kann. Außerdem hat er maßgeblichen Einfluss auf die Verwaltung.
    Er könnte zudem „eine Art neurechte Nebendiplomatie betreiben, völkische Ideologinnen und Ideologen für Vorträge ins Parlamentsgebäude einladen und im Namen des Landtages Beziehungen zu autoritären Populistinnen und Populisten in Europa pflegen“, heißt es in dem Bericht des Verfassungsblogs.
    Eine starke Rechtsaußenfraktion könnte auch Auswirkungen auf den Verfassungsgerichtshof haben: Der Landtag wählt die Thüringer Verfassungsrichter mit einer Zweidrittelmehrheit. Wenn eine Partei mehr als ein Drittel der Sitze im Landtag hat, verfügt sie dabei über eine Sperrminorität und könnte die Wahl neuer Richter blockieren.

    Was könnte bei einer Regierungsbeteiligung der AfD drohen?

    Da die AfD in den Umfragen in allen drei Ländern die stärkste Partei wird, würde sie im Falle einer Regierungsbeteiligung vermutlich auch den Ministerpräsidenten stellen.
    In Thüringen hat AfD-Spitzenkandidat Björn Höcke in einem Fünf-Punkte-Plan für diesen Fall bereits einige konkrete Schritte angekündigt: Er möchte den Verfassungsschutz in seinen Kompetenzen beschneiden, verfassungsfeindliche Bestrebungen zu überwachen, die Medienstaatsverträge kündigen und „den Kampf gegen rechts“ einstellen, also Fördermittel für Demokratie streichen.
    Und als Ministerpräsident von Thüringen hätte er dazu tatsächlich einige Kompetenzen. Der Ministerpräsident kann bestimmte politische Beamte ohne Angabe von Gründen ersetzen, dazu zählen Polizeipräsidenten, der Verfassungsschutzpräsident und der Landtagsdirektor.
    Der Ministerpräsident kann auch Staatsverträge ohne Einbindung des Landtages kündigen. Das könnte den Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrag betreffen und die bundesweite Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks beeinträchtigen. Auch die Landeszentrale für Politische Bildung ist beim Ministerpräsidenten, also der Staatskanzlei angesiedelt und könnte abgeschafft werden, ohne das Parlament einzubinden.

    Welche Gegenmaßnahmen werden vorgeschlagen?

    Die Autoren des Verfassungsblogs schlagen zunächst eine Änderung der Thüringer Verfassung vor. Die Verfassungsrichter sollen zukünftig anders gewählt werden. Der Verfassungsgerichtshof soll selbst Kandidaten vorschlagen können und der Landtag könnte mit einer einfachen Mehrheit über die Kandidaten entscheiden. Zudem sollen die Richter nicht wiedergewählt werden können, dafür sollen ihre bisher siebenjährigen Amtszeiten verlängert werden.
    Um politische Neutralität von Polizeipräsidenten, Verfassungsschutzpräsident und Landtagsdirektor zu gewährleisten, sollen sie von der Liste der politischen Beamten gestrichen werden. Damit soll der Gestaltungsspielraum einer Regierung eingeschränkt werden, damit die jeweiligen Beamten nicht nach politischer Ausrichtung, sondern nach Recht und Gesetz entscheiden.
    Die Kündigung von Staatsverträgen soll künftig nur mit der Zustimmung des Landtags erlaubt sein, außerdem soll die Landeszentrale für politische Bildung eine gesetzliche Grundlage bekommen.

    Neues Wahlprozedere für den Landtagspräsidenten

    Zudem könnte die Geschäftsordnung des Landtags zur Wahl des Landtagspräsidenten angepasst werden. Aktuell ist es üblich, dass der Landtagspräsident aus der stärksten Fraktion vorgeschlagen wird. AfD-Kandidaten standen öfters schon als Vize-Präsidenten zur Wahl, meist sind sie in mehreren Wahlgängen gescheitert. Nur in Sachsen und Brandenburg haben es AfD-Mitglieder in das Amt geschafft.
    Für den Fall, dass bei der Wahl des Landtagspräsidenten die Kandidaten der stärksten Fraktion keine Mehrheit erhalten, soll jede Fraktion Kandidaten vorschlagen können. In Thüringen hat sich der Ältestenrat des Landtags auf Anregung der Landtagsverwaltung bereits im März geeinigt: Wenn der Kandidat der stärksten Fraktion nicht gewählt wird, schlägt die zweitstärkste Fraktion einen Kandidaten vor.

    Wie wahrscheinlich ist eine Verfassungsänderung in Thüringen?

    Der Jurist und Journalist Maximilian Steinbeis vom Verfassungsblog hält es für „möglich und nötig“, diese Punkte umzusetzen. „Wir können nur immer wieder unterstreichen, dass wir es für sehr dringlich und sehr wichtig halten und dass wir natürlich sehen, wie schwer das jetzt ist, das so kurz vor der Landtagswahl noch umzusetzen“, sagt er.
    Theoretisch wären diese Änderungen noch möglich, praktisch gelten sie aber als sehr unwahrscheinlich. Denn dafür ist die Zeit knapp, vor der Sommerpause gibt es nur noch drei Plenarsitzungen und es sind auch schon geringere Verfassungsänderungen blockiert worden. Eine Sondersitzung wäre möglich, das bräuchte aber politischen Willen.

    Wie ist die Lage in Brandenburg?

    Der Spitzenkandidat der AfD in Brandenburg ist Hans-Christoph Berndt, laut Verfassungsschutz ein "erwiesener Rechtsextremist". Sollte die AfD dort stärkste Kraft werden, sorgen sich Beobachter wie der Jurist und Journalist Heribert Prantl ebenfalls um eine Blockade des Landesverfassungsgerichts, die zu einer Beschlussunfähigkeit reichen könnte.
    Landespolitiker der SPD, CDU und der Linken sehen jedoch keine Gefahr. „Zum einen, glaube ich, bin ich zuversichtlich, dass das Wahlergebnis dafür sorgen wird, dass so eine Situation nicht eintritt", sagt SPD-Fraktionschef Daniel Keller. "Zweitens ist es aber so, sage ich ganz deutlich: Wir sind da nicht verpflichtet, auf Zwang nachzubesetzen. Bleibt eine Stelle unbesetzt ist das Landesverfassungsgericht trotzdem noch handlungsfähig."
    Auch der Jurist und CDU-Fraktionschef Jan Redmann will nicht glauben, dass es so weit kommt. Für ihn "führen solche angstgetriebenen Diskussionen noch zu einer Stärkung der AfD". Bei den Linken heißt es, man könne entspannt sein, weil die nächsten Richter am Landesverfassungsgericht erst im Jahr 2028 neu gewählt würden.
    Der Verfassungsgerichtsexperte Werner Reutter warnt jedoch davor, dass Richter jederzeit auch aus gesundheitlichen und beruflichen Gründen ausscheiden können. Um beschlussfähig zu sein, braucht es acht Verfassungsrichter. Stellvertreter gibt es in Brandenburg nicht. Sollte die Nachbesetzung blockiert werden, wäre das Gericht beschlussunfähig, so Reutter.

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