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Vor 250 Jahren
Wielands Berufung nach Weimar hallt bis heute nach

Die Weimarer Klassik mit Goethe und Schiller kennt jeder. Weniger bekannt ist der, durch den sie erst möglich wurde: Christoph Martin Wieland, einer der geistreichsten und witzigsten Dichter deutscher Sprache. Am 28. August 1772 wurde er an den Weimarer Hof berufen.

Von Christoph Schmitz-Scholemann | 28.08.2022
Denkmal des Dichters Christoph Martin Wieland auf dem Wielandplatz in Weimar, Thüringen
Denkmal des Dichters Christoph Martin Wieland auf dem Wielandplatz in Weimar, Thüringen (imago images / Schöning )
Selten hat die Unterschrift unter eine Ernennungsurkunde so weitreichende Folgen für die Kulturgeschichte gehabt wie die der Herzogin Anna Amalia von Sachsen-Weimar am
28. August 1772.  
„Von Gottes Gnaden Wir / Anna Amalia …/ Urkunden hiermit … (dass Wir) Christoph Martin Wieland unter dem Charaktére eines Obervormundschaftlichen Hofrathes … in Unsere Dienste … nehmen …“
Der somit zum Herzoglich-Weimarischen Hofbeamten aufgestiegene Herr Wieland war zu der Zeit ein knapp vierzigjähriger Dichter. Er stammte aus dem schwäbischen Biberach und hatte sich mit dem ersten deutschen Entwicklungsroman „Die Geschichte des Agathon“ einen großen Namen gemacht – und mit erotischer Lyrik jede Menge Feinde.

Wieland und Zögling Carl August

1769 war er als Professor für Philosophie nach Erfurt gewechselt. Im benachbarten Weimar lernte er die verwitwete Herzogin Anna Amalia kennen. Man sprach über dies und das und auch über die Erziehungsprobleme der Herzogin mit ihrem 15-jährigen Sohn Carl August, wie der Literaturwissenschaftler Jan-Philipp Reemtsma im Park vor Wielands Villa in Oßmannstedt bei Weimar verrät.
„Carl August sollte ihre Nachfolge antreten, sollte Herzog werden. Und er war ein Adoleszenter zu dieser Zeit, und Adoleszente machen Schwierigkeiten, und sie suchte jemanden, der einen guten Einfluss auf ihn haben könnte, und - was zu der Zeit ein völlig extravaganter Gedanke war - sie suchte den damals in Deutschland bekanntesten Schriftsteller, dessen Name auch für Aufklärung stand, und meinte, das wäre der richtige Mann, ein intellektuelles Gesprächsgegenüber für den Sohn zu bilden, damit der sich vorbereiten kann auf eine so verantwortungsvolle Tätigkeit.“
Der Literatur-Wissenschaftler und Mäzen Jan Philipp Reemtsma steht im Juni 2005 vor dem Wielandgut in Oßmannstedt bei Weimar. Wielandforscher Reemtsma hatte die 1,8 Millionen Euro teure Sanierung unterstützt. Neben einem Museum beherbergt das Wielandgut eine Wieland-Forschungsstelle und eine Bildungsstätte
Der Literatur-Wissenschaftler und Mäzen Jan Philipp Reemtsma steht im Juni 2005 vor dem Wielandgut in Oßmannstedt nahe Weimar. Wielandforscher Reemtsma hatte die 1,8 Millionen Euro teure Sanierung unterstützt. Neben einem Museum beherbergt das Wielandgut nun eine Forschungs- und Bildungsstätte (picture-alliance / dpa / dpaweb / Martin Schutt)

Was Wieland mit Weimar vorhatte

Christoph Martin Wieland seinerseits hatte neben der gesprächsweisen Erziehung des künftigen Herzogs noch ein weiteres Projekt im Sinn, weiß Jan-Philipp Reemtsma: „Wieland kam nach Weimar mit der Absicht, aus dieser Stadt etwas zu machen, was sie vorher nicht war, wir würden heute sagen Kulturhauptstadt des damals deutschen Reiches.

Wie Wieland Weimar zum Kultur-Hotspot machte

Es war ein mutiges Ziel, aus der eher bäuerlich geprägten Landresidenz Weimar einen Ort erschaffen zu wollen, der sich neben Wien und Berlin als kulturelles Zentrum zu behaupten hätte. Wieland ging sein Vorhaben unverdrossen an und schrieb für das kleine Weimarer Hoftheater zusammen mit dem Komponisten Anton Schweitzer eine der ersten deutschsprachigen Opern, „Alceste“. Und, so Jan-Philipp Reemtsma: „Das zweite war, dass er eine literarisch-politische Zeitschrift gründete, „Der Teutsche Merkur“, die etwa 30 Jahre lang dann manchmal die, manchmal eine der wichtigsten deutschen Zeitschriften war. Und mit diesen beiden Dingen machte er Weimar zu einem Ort, wo das ganze kulturell interessierte Deutschland hinsah. Und als Goethe dann nach Weimar kam, kam er an einen Ort, der schon etwas war. Beide haben dann zusammen Herder geholt, Schiller kam dann später dazu. Wir nennen das die Weimarer Klassik, und sie beginnt mit der Ankunft Wielands in Weimar.“


Eine Explosion literarischer Produktivität

Wielands Zögling Carl August förderte, als er 1774 Herzog wurde, das große Kulturprojekt nach Kräften. Und so stand in Weimar für einige Jahrzehnte die Politik im Bunde mit einer regelrechten Explosion literarischer Produktivität, zum Segen für die deutsche Literatur.
Wieland wurde 79 Jahre alt. Bis zu seinem Tod 1813 schrieb er Romane, die in ihrer Mischung aus Heiterkeit und Tiefsinn bis heute ihresgleichen suchen. Wie schon in seinen frühen Jahren kam er darin auch auf ein Thema zu sprechen, das ihm immer wichtig blieb: Die Liebe. Dazu Jan-Philipp Reemtsma: „Wenn wir über den Erotiker Wieland sprechen würden, was sich zweifellos lohnen würde, dann würden wir damit beginnen müssen, dass er sagt, man kann Amor nicht in einer Gestalt abbilden.“
Und wie Wieland nicht an die eine und einzige Idealform der Liebe glaubte, so glaubte er auch sonst nicht an alleinseligmachende Wahrheiten, sondern an die bewegliche Vielfalt der Dinge und die anregende Kraft des Gesprächs, an dem sich jeder beteiligen kann, wenn und solange er möchte.