Montag, 29. April 2024

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Unternehmen und Ethik
Das Ringen um Moral in der Wirtschaft

Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine haben sich reihenweise westliche Konzerne aus Russland zurückgezogen. Bekommt die alte Frage nach der moralischen Verantwortung von Unternehmen ein neues Momentum?

Von Caspar Dohmen | 26.07.2022
Die US-Café-Kette Starbucks am Columbus Shopping Center in Moskau
Die US-Café-Kette Starbucks hat sich komplett aus Russland zurückgezogen. (pa/dpa/TASS/Vyacheslav Prokofyev)
Im Osten von Nicaragua. Ein Arbeiter lässt Kakaobohnen durch seine Hände rieseln. Es sei konventioneller Kakao, gute Qualität, erzählt er. Dutzende Jutesäcke stehen in der Halle. "60 Kilogramm - Kakao aus Nicaragua für Rittersport", steht darauf blau gedruckt.
Kakaobohnen werden zum Transport in Jutesäcke verpackt
Die begehrten Kakaobohnen werden nach der Ernte zum Transport in Jutesäcke verpackt (pa/Photoshot)
Die Schokoladenindustrie wird seit langem wegen der Ausbeutung von Kakaobauern kritisiert. Der schwäbische Mittelständler baute seit 2012 eine eigene Plantage in Nicaragua auf, übernahm direkt Verantwortung für 400 Beschäftigte. Außerdem kauft er rund 3000 Kleinbauern die Bohnen ab. Nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine sah sich die Firma nach eigener Lesart mit einer schwierigen moralischen Entscheidung konfrontiert. Sollte sie weiter Schokolade in Russland verkaufen oder sich zurückziehen und damit möglicherweise auch den Kleinbauern in Nicaragua schaden?
"Ja, es ist für uns ein moralisches Dilemma, absolut ja." Sagt Thomas Seeger, Leiter der Abteilung Kommunikation und Recht bei Rittersport. Das Unternehmen entschied sich, sein Russlandgeschäft beizubehalten.

Geschäfte mit Autokraten und Menschenschindern

Westliche Unternehmen machen seit jeher auch Geschäfte mit autokratisch regierten Ländern. Gleichzeitig pochen in den westlichen Gesellschaften viele auf die Einhaltung von Menschenrechten. Oft nimmt man den Widerspruch hin. Ein Großteil der politischen und wirtschaftlichen Entscheider in Deutschland war sogar felsenfest überzeugt, durch Handel könne die Demokratisierung in Russland befördert und der Frieden gesichert werden, auch der frühere SPD-Parteivorsitzende und Außenminister Sigmar Gabriel.
"Wir dachten wir hätten so etwas wie eine magische Formel für den Umgang mit autoritären Regimen wie in Moskau gefunden." Bemerkte der Politiker im Juni selbstkritisch bei einer Veranstaltung der Atlantikbrücke, deren Vorsitzender er mittlerweile ist. Spitzenverantwortliche im Westen schlagen inzwischen neue Töne an, auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg: "Freiheit ist wichtiger als Freihandel, und Werte zu schützen ist wichtiger als Profite."

Sagte der Norweger der versammelten Wirtschaftselite im Mai in Davos ins Gesicht. Bekommt mit dem russischen Angriffskrieg die alte Frage nach der moralischen Verantwortung von Unternehmen ein neues Momentum?
NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg 2022 auf dem World Economic Forum im schweizerischen Davos.
"Freiheit ist wichtiger als Freihandel - und Werte zu schützen ist wichtiger als Profite", sagte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg 2022 auf dem World Economic Forum im schweizerischen Davos. (pa/dpa/BELGA/Eric Lalmand)

Profite erwirtschaften - um welchen Preis?

"Ganz grundsätzlich, Profite sind was Gutes. Profite sind super, die Frage ist nur um welchen Preis?" Bemerkt Peter Seele, Wirtschaftsethiker an der Universität Lugano. "Die Themen sind eigentlich immer die Fragen danach wie Profit erwirtschaftet wird und wir sehen es ja dramatisch beim Thema Umwelt und Nachhaltigkeit, dass es eben einen Preis hat, Umweltrisiken nicht zu fakturieren, niemanden dafür haftbar machen zu können. Der Krieg ist nur eine Kontrastfolie, der das ewig alte Thema - wie werden Profite erwirtschaftet - auf besonders dramatische Art und Weise ans Licht bringt."

Bereits in der Antike stellte der griechische Philosoph Aristoteles die Frage nach dem gerechten Preis. Die katholische Kirche lehnte die längste Zeit ihres Bestehens Zinsen ab. Adam Smith, der im 18. Jahrhundert lebende Gründer der Nationalökonomie war Moralphilosoph. Moral und Wirtschaft waren für ihn eng miteinander verflochten.

Sehnsucht nach Moral und Verantwortung in der Wirtschaft

Andreas Suchanek lehrt in Leipzig an einer privaten Managementschule und ist Vorstandsmitglied des Wittenberg-Zentrums für Globale Ethik. Auch für ihn ist Moral ein integraler Bestandteil der Wirtschaft: "Das geht auch gar nicht anders, weil wir ja alle, ob wir es bemerken oder nicht, ständig moralische Einschätzungen, Urteile, Erwartungen haben und auch teilen und auch ausdrücken, ganz egal, ob es sich um Politik, um Wirtschaft, um den Nachbarn, um einen selbst handelt. Man bewertet permanent jetzt nicht nur, ob man das ästhetisch schön findet oder ob es funktional ist oder sonst etwas, immer wieder sprechen wir auch und tauschen uns dazu aus und erwarten auch von einander und auch von Unternehmen, dass sie Dinge verantwortlich machen, dass sie andere nicht schädigen, dass sie nicht korrupt sind, das sind alles, wenn sie so wollen, moralische Urteile und da ist die Wirtschaft mittendrin."

Shareholder Value dominiert

Es ist schnell gefordert, Unternehmen sollten sich verantwortlich verhalten. Wer würde dagegen etwas einwenden? Entscheidend ist aber, was man unter unternehmerischer Verantwortung versteht. Der Ökonom Milton Friedman postulierte in den 1970er- Jahren: Die soziale Verantwortung von Unternehmen bestehe in der Maximierung ihrer Gewinne. Mit anderem moralischem Gesäusel solle man die Unternehmen verschonen. Tatsächlich orientiert sich ein Großteil der Unternehmen nun am Gewinn der Eigentümer, dem Shareholder Value. Zuvor hatte in den westlichen Gesellschaften nach der Weltwirtschaftskrise und dem Zweiten Weltkrieg eine Stakeholder-Orientierung dominiert, also eine Ausrichtung von Unternehmen an den Interessen von Eigentümern, Kunden, Mitarbeitern und von ihrem wirtschaftlichen Handeln betroffener Bürger.
Charles Boeddinghaus
Wall-Street-Broker an der New York Stock Exchange (pa/AP/Richard Drew)

Valla: "Unternehmen müssen immer einen Freiraum haben"

Die Ökonomin Natacha Valla, die an der Science Po in Paris lehrt, bricht eine Lanze für die unternehmerische Freiheit: "Die Unternehmen müssen immer einen Freiraum haben, um ihre neuen Aktivitäten zu entwickeln. Es ist wichtig, diesen Freiraum zu schützen." Allerdings mache es wenig Sinn, darauf zu vertrauen, dass die Unternehmen aus moralischen Erwägungen freiwillig auf alle ökologischen und sozialen Problemlagen reagieren würden. "Es wäre wahrscheinlich naiv zu sagen, dass Unternehmen alle guten Dinge der Welt verinnerlichen müssen. Ich denke, das würde nicht funktionieren."
Apple-Reseller im Moskauer Kaufhaus GUM
Moskauer Kaufhaus GUM: Apple hatte nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine alle Produktverkäufe im Land eingestellt. (pa/dpa/TASS/Artyom Geodakyan)

Moralischer Druck seit dem Ukraine-Krieg erhöht

So beuten viele Unternehmen weiter Mensch und Natur aus. Unter erheblichem moralischen Druck stehen westliche Unternehmen in Russland seit dem Krieg. Vier renommierte Wirtschaftsethiker plädierten in der Wochenzeitung "Die Zeit" für einen Rückzug der Firmen. Es gebe keine richtigen Geschäfte im falschen Krieg, erklärten sie, darunter Peter Seele: "Unsere Position war vielmehr zu sagen, es gäbe eine moralische Verantwortung der Komplizenschaft. Das war das Argument, das wir stark gemacht haben und natürlich gibt es da auch andere Argumente."
McDonald's in Moskau
Geschäft oder Moral? Das Logo des geschlossenen McDonald's Restaurants im Einkaufszentrum Aviapark in Moskau. Der US-Konzern hat nach dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine den Rückzug angetreten. (pa/dpa)

Korruption und Kompromisse in China, Indien, überall

Der Wirtschaftsethiker Andreas Suchanek erklärt, was ein ethisch integres Verhalten sei, sei aber abzuwägen. Er verdeutlicht dies am Beispiel der Korruption: "Integrität heißt zum Beispiel, dass man nicht korrupt ist." Trotzdem seien korrupte Handlungen für weltweit tätige Unternehmen nahezu unvermeidlich, weil Korruption beispielsweise auf großen Märkten wie China, Indien und in vielen Ländern Lateinamerikas eine große Rolle spiele: "Ich könnte dann sofort meine Taschen packen, wenn ich sage ich bin hundert Prozent integer und ich mache nie irgend ein kleinstes Zeichen von Korruption. Wenn sie also dann vor Ort sein wollen und Geschäfte machen wollen werden sie Kompromisse machen müssen. Integrität heißt dann, dass man weiß, welche Kompromisse kann ich noch machen, ohne meine Werte aufzugeben und welche Kompromisse mache ich nicht mehr. Ganz wie im richtigen Leben."
IKEA Khimki: Das schwedische Möbelhaus hatte am 15. Juni 2022 alle Mietverträge gekündigt und den Verkauf seiner vier Werke in Russland beschlossen.
IKEA Khimki: Das schwedische Möbelhaus hatte am 15. Juni 2022 alle Mietverträge gekündigt und den Verkauf seiner vier Werke in Russland beschlossen. (pa/dpa/TASS/Artyom Geodakyan)

Firmen-Exodus aus Russland, einige aber blieben

Reihenweise zogen sich in den vergangenen Monaten westliche Konzerne aus Russland zurück. Ikea, Apple, VW, Lego, Starbucks, McDonald‘s, Coca Cola. Andere Unternehmen setzen dagegen ihre Geschäfte in Russland fort und argumentieren unter anderem mit ihrer Verantwortung für Beschäftigte oder Kunden. Rittersport begründet sein Festhalten am Russland-Geschäft auch mit der Lage der Kakaobauern in Nicaragua. Angesichts eines gesättigten Kakaomarkts könne man deren Ernte nicht einfach woanders verkaufen, argumentiert der Mittelständler. Und wenn man stattdessen auf Kakao aus Westafrika verzichten würde, bekämen Kleinbauern dort Probleme. Das könne auch keine Lösung sein. Nach der Entscheidung des Unternehmens brach ein Sturm der Entrüstung in den sozialen Medien los. Schließlich entschied das Unternehmen, den Gewinn aus dem Russland-Geschäft für humanitäre Zwecke zu spenden.
Alfred Ritter
Alfred Theodor Ritter, Inhaber des Schokoladenherstellers Ritter Sport. Der Hersteller hat sich entschieden, sein Russland-Geschäft beizubehalten - trotz des moralischen Dilemmas. (picture alliance / Sebastian Gollnow/dpa)

Hohe Opportunitätskosten, moralische Opfer

Ob die Argumente ehrlich gemeint oder vorgeschoben sind, lässt sich von außen nicht beurteilen. Das Beispiel zeige, dass man es nicht einfach mit Schwarz oder Weiß zu tun habe, sagt der Wirtschaftsethiker Peter Seele: "Das zeigt doch auf exzellente Weise, welche Grauzonen da sind und welche Möglichkeiten der Nutzung von Grauzonen da sind. Wenn Profite also nicht selber genossen werden, sondern eben zurück verteilt werden. Ich will das selber nicht einschätzen, ob das konsequent ist, das müssen diejenigen, die die Entscheidungen getroffen haben, die mit den Entscheidungen letztlich leben müssen. Aber es zeigt nur, dass wir es nicht mit einer ganz einfachen Schwarz-Weiß-Welt zu tun haben und ja, es ist ein moralisches Dilemma und das heißt in erster Linie, es gibt keine einfach positive Lösung. Es gibt nur Lösungen, die mit hohen Opportunitätskosten, moralischen Opfern verbunden sind und das ist die Welt, mit der wir zu tun haben."

Nachhaltigkeit unter Marketinggesichtspunkten

Angesichts regelmäßiger Skandale misstrauen viele Menschen Unternehmen, die sich moralisch integer geben. Was ist Realität und was ist Inszenierung? Immer noch betrachten viele Unternehmen Nachhaltigkeit vor allem unter Marketinggesichtspunkten. Aber macht es überhaupt Sinn, von Unternehmen moralisches Handeln zu erwarten, zählt am Ende des Tages nicht immer das Geld?

Ein Raum, in dem Macht und auch Gewalt angewendet wird

"Ich meine, es macht immer Sinn mit der Moral zu kommen, warum sollte man das nicht tun?" Sagt der britische Wirtschaftshistoriker Adam Tooze von der Columbia Universität in New York. Aber man sollte vermutlich nicht erwarten, "dass man zu einer Einigung kommt": "Moral ist nicht umsonst vor einigen hundert Jahren eingegrenzt worden als Bereich, der sich hauptsächlich auf den Privatraum bezieht. Wir haben den Rechtsstaat, bestimmte Werte, die im Rechtsstaat verankert sind. Wir haben frei gesetzte Räume, die geregelt werden durch Recht und Preismechanismen, das ist die Wirtschaft. Dann gibt es den geopolitischen Raum, zum Teil verrechtlicht, zum Teil verwirtschaftlicht, aber eben auch einen Raum, in dem Macht zählt und in dem unter bestimmten Bedingungen auch Gewalt angewendet werden kann. Wir haben also kein schlüssiges Weltbild in dem die Moral gewisser Weise alles überstrahlt."

Falsche Versprechungen als größtes PR-Risiko

Falsche Versprechungen blieben nicht folgenlos. "Mittlerweile ist das wirklich große PR-Risiko für solche Firmen, dass sie viel ankündigen und große Versprechen geben und dass sie dann entlarvt werden und entlarvt zu werden ist ja das Allerschlimmste, denn dann ist das Vertrauen weg."

Noch ist allerdings kein Weltkonzern deswegen in die Knie gegangen. Gibt es Unternehmen, die aus moralischen Gründen auf Geschäfte verzichten? Anruf bei dem Psychologen Arist von Schlippe. Er forscht an der Universität Witten/Herdecke über Familienunternehmen, tauscht sich mit vielen Eigentümerfamilien vertraulich aus. Laut der Forschung stehe bei Familienunternehmen nicht der Gewinn oben auf der Prioritätenliste. "Sondern für Familienunternehmen steht die Sicherung des guten Namens der Familie an erster Stelle."

Der gute Ruf ist Familienunternehmen sehr wichtig

Manche nähmen sogar wirtschaftliche Schäden dafür in Kauf: "Da werden wirtschaftlich sinnlose Entscheidungen gefällt oder sogar wirtschaftlich schädliche Entscheidungen gefällt, weil die Familie sagt, nein, mit der Entscheidung gefährden wir unseren guten Namen, gefährden wir das, was uns eigentlich wichtig ist."

Der Wissenschaftler zählt einige Beispiele auf, nennt auch die Namen der jeweiligen Unternehmerfamilien, will aber aus Gründen der Vertraulichkeit nicht, dass sie öffentlich werden. Eine Familie stellte sich strikt gegen die Entscheidung des Managements, welches Nahrungsergänzungsmittel als lukratives Zusatzgeschäft entdeckt hatte. Aber als sich die Familie näher mit deren fragwürdigen Wirkungen beschäftigte, stoppte sie das Vorhaben. Eine andere Familie verbat dem Management den Einstieg ins Militärgeschäft.

Unternehmen, bei denen die Moral zur DNA zählt

Die Eigentümer eines Pharmaunternehmens investieren aus moralischer Überzeugung hohe Summen in Medikamente gegen seltene Krankheiten, obwohl sich dies betriebswirtschaftlich nie rechnen dürfte. Bisweilen machen die Familien auch generelle geschäftliche Vorgaben. "Sehr viele Familienunternehmen binden ihr Management explizit daran, sich nicht mit schädlichen Produkten auf den Markt zu begeben, also alles was mit Alkohol oder Zigaretten oder Tabakwaren oder so zu tun hat", sagt von Schlippe.   

Es gibt aber auch Unternehmen, bei denen die Moral zur DNA zählt. Dazu zählt die Faire Handelsgenossenschaft Weltpartner aus dem schwäbischen Ravensburg. Gegründet 1988, betreibt sie mittlerweile Handel mit 60 Kooperativen aus 40 Ländern. Geschäftsführer Thomas Hoyer: "Wir als Fairtradeunternehmer, als Genossenschaft, wir arbeiten ja sehr nach dem Prinzip der Moral."

Fairness als Basis langfristiger Geschäftsbeziehungen

Und was bedeutet das für ihn? "Ein Moralverständnis von einem gewissen Teilen und einer Fairness, dem Partner, dem Mensch gegenüber, eben als Partner und Partnerin zu sehen und fair zu behandeln. Auf Augenhöhe mit dieser Person zu sprechen und auch Verträge abzuwickeln und auch eine langfristige Partnerschaft anzustreben, das sind für mich wichtige Teile einer Moral oder eines Moralverständnisses, das ich seit fast 30 Jahren jetzt pflege."

Nach diesem Selbstverständnis arbeitet die Genossenschaft beispielsweise in Burundi, dem ärmsten Land der Welt, mit Kaffeekooperativen zusammen. Dabei geht es um eine Umwandlung von Monokulturen in vielfältige Kulturen, bei denen die Kleinbauern auch für ihren eigenen Bedarf und Menschen vor Ort Nahrungsmittel anbauen. Aber solcher Nutzen in der Ferne, bedeutete lange Zeit Nachteile daheim.

Banken erkennen die Gemeinwohlförderung stärker an

"Wenn ich jetzt mal zehn Jahre zurückschaue, da hat ja uns auch unsere Hausbank vor Ort nur bewertet eben nach den Gewinnen und sie haben gesagt, okay, das ist aller Ehren wert, was ihr tut, das ist moralisch korrekt und das hat eine soziale Kompetenz, aber ihr kriegt von uns immer nur in bestimmten Umfang Kredit von uns", sagt Hoyer. Das habe sich verändert: "Inzwischen ist es so, dass sie mit uns werben, weil sie sagen, ja, die Firma Weltpartner, die Genossenschaft ist für uns ein positives Beispiel zu sagen, es bleibt zwar unter dem Strich nicht viel übrig. Aber wenn ich alle die Kosten, die wir aufwenden für die Förderung des Gemeinwohls eigentlich berücksichtige, dann muss ich sagen: Die Firma ist hochprofitabel und teilt ihren Gewinn eben mit der Allgemeinheit. Und das ist ein Umdenken."

Menschen zahlen für faire Produkte jährlich im Schnitt 23 Euro

Für fair gehandelte Produkte gibt ein Mensch in Deutschland pro Jahr durchschnittlich 23 Euro aus. Moral, Werte und Ethik haben an Gewicht gewonnen, aber sie dominieren nicht das wirtschaftliche Gesamtgeschehen. Wie sehr manchen Unternehmen das Allgemeinwohl ein Anliegen ist, zeigt die Gemeinwohlökonomie. Dabei lassen Unternehmen eine Gemeinwohlbilanz erstellen, in die viele Kriterien einfließen, die den Beitrag eines Unternehmens zum Gemeinwohl erfassen sollen.

Aktiengesellschaften sind dem Gewinn verpflichtet

In der Regel orientieren sich Unternehmen hingegen am Gewinn. Der ist rechtlich verankert. Wirtschaftshistoriker Adam Tooze: "Aktiengesellschaften haben eine rechtliche Verpflichtung gegenüber ihren Aktionären das Beste aus ihrer Anlage zu machen, das ist eine rechtliche Verpflichtung des Managements der Firma. Da steht Moral nicht drin und auch nicht Ethik oder sonst irgendwelche Prinzipien, sondern Recht und Gewinn."
Viele Unternehmen koppeln einen Teil der Entlohnung der Manager an die Höhe des Gewinns. Auch deswegen haben Unternehmen gnadenlos die Kosten gedrückt, indem sie die Produktion in Regionen verlagert haben, wo die Umweltstandards gering sind oder die Arbeitenden besonders niedrig entlohnt werden. Regelmäßig spielen sie Standorte gegeneinander aus, um den Gewinn zu erhöhen. Solange die Kosten für Mensch und Umwelt anderswo anfielen, hat dies die große Mehrheit in den westlichen Gesellschaften wenig gekümmert.

Auf Gewinn fixierte Geschäftsmodells jetzt in Europa spürbar

Aber mit der Pandemie, der Klimakrise und dem Krieg wurden die Folgen dieses einseitig auf Gewinn fixierten Geschäftsmodells auch bei uns spürbar, weil Atemschutzmasken fehlten oder Gas auszugehen droht. Alleine die Moral wird daran aber wohl nichts ändern, meint auch Adam Tooze: "Das einzige, was hilft, ist Recht. Das einzige was hilft, ist wirklich eine von oben kommende Regulierung, die sagt, das und dies können sie machen unter diesen Prinzipien, wir insistieren auf die folgende Regulierung, die was weiß ich, die Emissionen können nur so viel sein, bei der Abwicklung müssen sie solche Kosten einrechnen. Die Phantasie, die Vorstellung, dass man gewisserweise über den Markt und die ethische Einstellung von individuellen Firmen hier zu einem holistischen aus der Makroperspektive tragfähigen Lösung kommt ist vollkommen naiv."
Textilfabrik in Afrika: Ausbilder und Näherin in der Textilfabrik Dignity "DTRT Apparel" im ghanaischen Accra
Ausbilder und Näherin in der Textilfabrik Dignity "DTRT Apparel", die sozial verantwortliche Arbeitsplätze schafft. Im ghanaischen Accra werden Polo-Shirts für den amerikanischen Markt genäht. (pa/photothek)

Die EU berät über ein Lieferkettengesetz

Das lehrt auch die Geschichte der freiwilligen Unternehmensverantwortung der vergangenen Jahrzehnte. Sie brachten nicht die gewünschten Verbesserungen für Mensch und Umwelt. Der Gesetzgeber hat dies mittlerweile erkannt. Ab Anfang des nächsten Jahres müssen große Unternehmen in Deutschland Verantwortung für ihre Lieferketten übernehmen. Auf europäischer Ebene wird ebenfalls über ein solches Gesetz beraten.