Der Corona-Impfstoff der Mainzer Unternehmens Biontech und seines US-Partners Pfizer ist in Großbritannien bereits zugelassen worden - in der EU fällt eine Entscheidung wohl erst Ende Dezember. Unterschiede im Zulassungsverfahren und der Brexit seien Gründe dafür, dass es in Großbritannien etwas schneller gegangen sei, erläuterte der Medizinrechtler Alexander Ehlers im Deutschlandfunk. Dass es noch Erkenntnislücken, beispielsweise im Hinblick auf seltene Nebenwirkungen des Impfstoffs gebe, sei völlig normal. Das gelte für jeden Wirkstoff, der in den Markt eingeführt wird, machte Ehlers deutlich.
Josephine Schulz: Herr Ehlers, darf man die Briten darum beneiden, dass sie den Impfstoff jetzt schon früher kriegen, oder muss man sich vielleicht eher Sorgen um die Briten machen, weil der Impfstoff womöglich nicht sorgfältig genug geprüft wurde?
Alexander Ehlers: Eine sehr gute Frage, denn alles kommt ja jetzt sehr schnell. Aber ich denke, man braucht sich keine Sorgen zu machen. Ich kenne die Zulassungsbehörden in Europa, sowohl national als auch unsere europäische Zulassungsbehörde sehr gut, und alle Behörden lassen sich nur leiten von wirklich tiefgehender Analyse dessen, was ihnen eingereicht wird. Dabei geht es um Unbedenklichkeit, Qualität und Wirksamkeit. Insofern sind die Unterschiede im Zulassungsverfahren und der Brexit vielleicht auch einer der Gründe, dass es in England etwas schneller gegangen ist.
Schulz: Aber EU-Politiker wie zum Beispiel Peter Liese, die haben das ja heute scharf kritisiert und haben gesagt, dass die Briten nicht so ordentlich geprüft haben, wie das jetzt in der EU der Fall ist. Übertreiben solche Kritiker also?
Ehlers: Ja, das ist Spekulation und das ist übertrieben. Wir haben bis zum Beginn des Brexit natürlich ein einheitliches Zulassungsrecht in Europa gehabt. Die EMA, unsere Europäische Arzneimittelbehörde, hat für die europäischen Länder bei solchen Verfahren geprüft. Und wenn die EMA eine Zulassung (besser gesagt die Europäische Kommission) erteilt hat, dann durften diese Wirkstoffe in den europäischen Markt eingebracht werden.
Die Frage, die sich ergeben hat aus dem Brexit, war: Was passiert eigentlich in der Übergangszeit? Hier sind Regeln geschaffen worden, Übergangsregelungen, dass die englische Zulassungsbehörde sich an ein Verfahren anhängen kann. Biontech hatte jetzt am Montag den Zulassungsantrag bei der EMA gestellt. Allerdings war Biontech bereits vorher im kontinuierlichen Austausch mit der EMA und auch mit der englischen Zulassungsbehörde in einem beschleunigten Verfahren – das heißt das, was sonst eigentlich nicht üblich ist.
Man hat kontinuierlich bereits Daten geliefert beim Austausch, im Gespräch mit den Zulassungsbehörden. Aufgrund der Übergangsregelungen war es der englischen Zulassungsbehörde möglich, dann, wenn sie der Ansicht war, okay, ab jetzt übernehmen wir das Verfahren, an den Status quo des Zulassungsverfahrens bei der EMA anzuknüpfen, an das Rolling Revue Verfahren, dieses beschleunigte Verfahren, und es selbst für England zu übernehmen. Genau das ist jetzt passiert. Die englische Zulassungsbehörde hat darauf aufgesetzt, hat dann aufgrund der bisher geprüften Unterlagen gesagt: Wir haben genug Informationen, wir können es verantworten, hier für England eine Zulassung zu erteilen.
"Unbedenklichkeit, Wirksamkeit und Qualität"
Schulz: Vielleicht können Sie uns das noch mal kurz erklären. Es kursieren ja gerade verschiedene Begriffe, von Notfallzulassungen über beschleunigtes Verfahren, Sonderzulassung. Was genau ist denn der Unterschied zwischen dem Verfahren jetzt in Großbritannien und dem, was in der EU noch ein paar Wochen dauern wird?
Ehlers: Das ist kein wirklicher Unterschied. Das sind beides beschleunigte Verfahren, Rolling Revue Verfahren. Da muss man vielleicht ein wenig ausholen. Normalerweise stellt ein Unternehmen, ein pharmazeutisches Unternehmen einen Zulassungsantrag bei einer nationalen Zulassungsbehörde oder bei der Food and Drug Administration in den USA oder bei der European Medicines Agency in Amsterdam, wenn alle Unterlagen und Dokumente vollständig sind. Es gibt dafür natürlich auch noch Vorbereitungs-Meetings, sogenannte Scientific Advice Meetings, und dann beginnt die Prüfung. Das ist gesetzlich festgelegt, auch in welchen Zeiten diese Prüfungen abzuwickeln sind.
Aufgrund der Coronakrise wurden hier zusätzliche Möglichkeiten geschaffen, in solchen sogenannten beschleunigten Zulassungsverfahren bereits vorher in die Einlieferung von Daten einzusteigen und auch sich auszutauschen mit den Zulassungsbehörden. Diese beschleunigten Verfahren, die auch oft als Notfallverfahren bezeichnet werden, sind keine beschleunigten Verfahren im Hinblick auf die Prüfung von den drei zentralen Säulen, wann ein Produkt, ein Wirkstoff zugelassen wird, nämlich Unbedenklichkeit, Wirksamkeit und Qualität. Es geht dabei nur um die Beschleunigung der Verfahrensschritte als solche. Die Unternehmen mussten auch Studien haben, die Studien mussten entsprechend aufgesetzt werden, die Ethik-Komitees mussten ihre Meinung dazu äußern, die Daten mussten eingereicht werden, aber die Verfahrensschritte als solche, die wurden beschleunigt. Deswegen muss man einfach sagen, …
Schulz: Entschuldigung! Ich wollte Sie nicht unterbrechen.
Ehlers: Das macht überhaupt nichts.
Schulz: Weder in der EU, noch in Großbritannien, würden Sie jetzt sagen, gibt es irgendwelche qualitativen Nachteile gegenüber einem ganz normalen Zulassungsverfahren?
Ehlers: Das ist richtig. Das ist meine Erkenntnis und ich mache das seit 32 Jahren. Ich sehe hier überhaupt keine Kritikpunkte, auch nicht im Hinblick auf das Verfahren als solches. Das haben auch Beteiligte sowohl der Behörden als auch der Exekutive, auch die zuständige Ministerin, immer wieder betont, und das kann ich als Experte in diesem Bereich auch nur bestätigen. Keine Zulassungsbehörde möchte, dass wir zwar einen wirksamen Impfstoff haben, dass aber so gravierende Nebenwirkungen auftreten, dass irgendwelche weiteren Erkrankungen auftreten können.
Schulz: Glauben Sie, dass diese schnelle Zulassung in Großbritannien jetzt den Druck auf die EU erhöht? Könnten zum Beispiel EU-Staaten jetzt auch sagen, wir warten nicht das EU-Verfahren ab, sondern regeln das jetzt national und geben sofort die Zulassung?
Ehlers: Nein. Das ist ein Spezifikum aufgrund dieser Brexit-Situation. Das Unternehmen hat für das restliche Europa einen Zulassungsantrag bei der EMA gestellt und dieser wird abgewickelt. Es könnte natürlich Biontech auch überlegen, noch nationale Zulassungsanträge zu stellen. Das würde aber natürlich Auswirkungen auf den EMA-Zulassungsantrag haben und es macht überhaupt keinen Sinn.
"Kein unübliches Verfahren"
Schulz: Wenn wir noch mal auf die Qualität dieser Verfahren gucken. Es gibt ja trotzdem noch Erkenntnislücken, oder, was beispielsweise seltene Nebenwirkungen angeht, die Dauer der Immunität oder auch die Frage, ob man das Virus weitergeben kann. Das sind ja schon noch relativ wichtige offene Fragen, oder?
Ehlers: Das ist richtig. Das gilt aber für jeden Wirkstoff, der in den Markt eingeführt wird. Bei den Zulassungsstudien – in der Regel sind es zumindest zwei prospektive randomisierte und doppelverblindete Studien – prüft man zunächst einmal bei der Phase drei an einer deutlich größeren Anzahl von Probanden, nennt man das (das sind keine Patienten, sondern Probanden), also Prüflinge, inwieweit dieser Impfstoff diese drei Voraussetzungen, die ich vorhin erwähnt hatte, erfüllt. Das ist aber zunächst eine erste Prüfung.
Nachdem der Wirkstoff dann zugelassen ist, werden weitere Prüfungen, nämlich die Phase-vier-Studien geprüft an einer riesigen Anzahl von Menschen. Warum? – Weil man bei dem großen Einsatz erst oft erkennen kann, ob es vielleicht ein ganz, ganz, ganz, ganz seltenes Risiko gibt, das sich erst bei der Masse zeigen könnte. Deswegen ist das kein unübliches Verfahren jetzt. Und diese Erkenntnislücken, die wir noch haben, haben wir auch bei anderen Dingen.
Was aber entscheidend ist bei den Risiken, wenn wir darüber reden, das sind dann so, so seltene Risiken, dass im Gegenzug die Wirkung wesentlich wichtiger ist. Die Frage, wie lang eine solche Impfung hält, auch das werden wir erst auf Dauer erfahren, oder ob möglicherweise andere Aspekte noch zu berücksichtigen sind. Aber alles zusammengefasst – und das muss man ganz klar festhalten, auch wenn im Augenblick im Internet manche sehr obskuren Artikel dazu existieren - ist das kein Grund, einem solchen Impfstoff die Zulassung zu versagen.
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