
Die EU hat sich gesetzlich verpflichtet, bis 2050 klimaneutral zu werden und ihren Netto-Treibhausgas-Ausstoß (*) um mindestens 55 Prozent bis 2030 (im Vergleich zum Jahr 1990) zu senken. Laut den jüngsten Daten der Statistikbehörde Eurostat von 2020 hat die EU ihre CO2-Emissionen bisher um 33 Prozent gegenüber 1990 verringert - wobei sich in jenem Jahr auch die Folgen der Corona-Pandemie niederschlugen. Damit der grüne Wandel realisiert werden kann, müssen die europäischen Rechtsvorschriften angepasst werden. Vorschläge dazu finden sich in "Fit for 55" - dem größten Gesetzespaket zum Klimaschutz, das weltweit jemals geschnürt worden ist.
Das 2021 von der Europäischen Kommission vorgestellte Paket umfasst konkrete Vorschläge, wie die europäische Wirtschaft klimafreundlich umgebaut werden kann und was die einzelnen Sektoren der Wirtschaft dafür tun sollten. Damit die vorgeschlagenen Gesetze in Kraft treten können, müssen das EU-Parlament und die Mitgliedsländer zustimmen. Nachdem die EU-Parlamentarierer am 22. Juni einem zuvor im Umweltausschuss ausgehandelten Kompromiss grundsätzlich grünes Licht gab, einigten sie sich Mitte Dezember auch bei Details wie dem Ende des Verbrennungsmotors in PKW, dem CO2-Grenzausgleich und dem Emissionsrechtehandel. Am 14. Februar segnete das Parlament das Verbrenner-Aus für PKW final ab.
Die wichtigsten Vorschläge von "Fit for 55":
Die wichtigsten Vorschläge von "Fit for 55"
Manche Instrumente sind neu, andere Vorhaben bauen auf bestehender Klimaschutz-Gesetzgebung auf. Vorgesehen sind neue Steuern und Zölle, das faktische Ende des Verbrennermotors, eine Kerosinsteuer für innereuropäische Flüge sowie eine Abgabe für Importe aus Drittländern, die klimaschädlicher produzieren als die EU. Dazu soll es einen viele Milliarden Euro schweren Klimasozialfonds geben. Der Emissionshandel soll auch auf Gebäude und Verkehr ausgeweitet werden.
Handel mit Emissionsrechten
Der Emissionshandel gilt als als das wichtigste politische Instrument zur Bremsung der globalen Erderwärmung. Das EU-Parlament und die EU-Mitgliedsstaaten einigten sich nach langen Verhandlungen am 18. Dezember 2022 auf eine weitgehende Verschärfung des europäischen Emissionshandels. Konkret einigte sich die Unterhändler darauf, das europäische Emissionshandelssystem ETS, mit dem Verschmutzungsrechte vergeben werden, zu reformieren und auszuweiten. Die Details sind technisch, doch die Auswirkungen entscheidend.
Ziel ist es, den Ausstoß von Treibhausgasen bis 2030 schneller zu reduzieren als bisher vorgesehen, und zwar um 62 Prozent im Vergleich zu 2005. Bisher war eine Reduktion von lediglich 43 Prozent angestrebt worden. Dazu soll unter anderem die Zahl der Verschmutzungszertifikate schrittweise verringert werden. Die müssen Unternehmen kaufen, wenn sie CO2 ausstoßen. Das soll Anreize schaffen, weniger Kohlendioxid zu emittieren. Kostenlose Verschmutzungsrechte, die bisher der europäischen Industrie zustanden, sollen bis 2034 komplett gestrichen werden. Über diesen Zeitplan hatten Vertreter der EU-Mitgliedstaaten und des Parlaments heftig gestritten.
Zudem soll das Emissionshandelssystem schrittweise auf die Schifffahrt und innereuropäische Flüge ausgeweitet werden und - sofern ein Gutachten aus Brüssel hierfür grünes Licht gibt - ab 2028 auch auf große Müllverbrennungsanlagen. Zudem ist die Etablierung eines zweiten Kohlenstoffmarkt (ETS2) für Gebäudeheizungen und Straßenkraftstoffe geplant: Ab 2027 sollen auch Privathaushalte einen CO2-Preis auf Kraftstoffe und Erdgas oder Heizöl zahlen. Dieser CO2-Preis soll bis 2030 gedeckelt werden. Für deutsche Verbraucher dürfte sich hier grundsätzlich wenig ändern, da ein ähnliches Emissionshandelssystem für Gebäude und Verkehr in Deutschland bereits seit 2021 gilt. Offen ist, wie das deutsche System, das teils ehrgeiziger als das EU-weite ist, darin integriert werden soll.
Die EU-Pläne für das ETS II sind jedoch an Bedingungen geknüpft: Sollte sich der derzeitige Anstieg der Energiepreise fortsetzen, kann die Einführung verschoben werden, um Verbraucherinnen und Verbraucher nicht zu sehr zu belasten. Zudem soll ab 2026 ein Klimasozialfonds aufgelegt werden, um die Folgen der Energiewende abzufedern, vornehmlich für Haushalte aber auch für Unternehmen, die besonders von hohen Energiepreisen betroffen sind. Der Fonds soll mit knapp 87 Milliarden Euro ausgestattet sein und durch Einnahmen aus dem Emissionshandel und teilweise durch die Mitgliedstaaten finanziert werden.
Nach Ansicht des Klimaforsches Ottmar Edenhofer hätten die Ziele zwar ehrgeiziger seien können, dennoch seien in den Plänen wichtige Bausteine für die Reduzierung der Emissionen enthalten. Insgesamt werde durch die EU-Reform das große Problem gelöst, dass zu viele Zertifikate auf dem Markt waren. "Freie Zuteilungen werden jetzt zu einem Ende kommen", sagte Edenhofer im Dlf.
Vor allem aber beim lange umstrittenen Emissionshandel für den Bereich Gebäude und Verkehr sieht der Klimaforscher einen Durchbruch. Dieser sei dringend notwendig, "damit Emmissionsreduzierungen möglich sind, die sonst in weiter Ferne gewesen wären". Der Verkehrssektor sei für die Reduzierung des Treibhausgasausstoßes besonders wichtig. Eine Entlastung "für die Ärmsten" durch den Klimasozialfonds sei wichtig, die dafür veranschlagten 87 Millionen Euro sind nach Einschätzung Edenhofers jedoch zu wenig.
CO2-Grenzausgleich
Das EU-Parlament und die Mitgliedsstaaten verständigten sich Mitte Dezember 2022 auf Eckpunkte für einen CO2-Grenzausgleichsmechanismus. Der Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) sieht die schrittweise Einführung einer CO2-Abgabe auf bestimmte Importe wie Zement und Stahl aus Drittländern vor. Geplant ist zunächst ab 2023 eine Testphase, in der Importunternehmen ihre Emissionsverpflichtungen melden müssen.
Der CBAM soll verhindern, dass für europäische Unternehmen Wettbewerbsnachteile durch EU-Klimaschutzvorgaben entstehen. Oder Unternehmen womöglich CO2-intensive Produktionen aus der EU in andere Länder verlagern, um den CO2-Preis zu umgehen. Importeure von unter anderem Eisen, Stahl, Aluminium und Zement sollen künftig CO2-Zertifikate entsprechend der Klimaschädlichkeit ihrer Einfuhren kaufen müssen. Auch Wasserstoff sollen dem CBAM unterliegen. Die Europäische Kommission soll zudem die mögliche Ausweitung auf organische Chemie und Kunststoffe prüfen.
Ende des Verbrennungsmotors
Die EU-Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament verständigten sich Ende Oktober 2022 darauf, dass ab 2035 in der Europäischen Union neuzugelassene PKW klimaneutral sein müssen. Die Mitgliedstaaten segneten die Einigung im November ab, das Parlament gab am 14. Februar 2023 schließlich seine formelle Zustimmung. Das bedeutet faktisch, dass ab 2035 keine Benzin- und Diesel-PKW mehr verkauft werden dürfen, die klimaschädliche Gase ausstoßen.
Die Einigung lässt die Möglichkeit offen, dass Pkw mit Verbrennungsmotoren weiterhin zugelassen werden können, wenn sie klimaneutrale E-Fuels nutzen. Das sind Kraftstoffe, die überwiegend durch die Synthese von Wasser und CO2 erzeugt werden. Konkret ist vorgesehen, dass die EU-Kommission prüfen soll, ob der Einsatz solcher E-Fuels künftig in Frage kommt. Darauf hatte neben anderen Ländern auch die Bundesregierung bestanden – vornehmlich auf Drängen der FDP.
Schon vor 2035 sollen für die Autoindustrie schärfere Emissionsregeln gelten. So muss der durchschnittliche Gesamtausstoß von Neuwagenflotten bis zum Jahr 2030 um 55 Prozent unter das derzeit gültige Niveau sinken. Nach geltenden EU-Vorgaben darf die Neuwagenflotte eines Konzerns seit 2020 im Schnitt noch 95 Gramm CO2 pro Kilometer ausstoßen.
Als flankierende Maßnahme ist unter anderem der Ausbau von Ladeinfrastruktur für E-Autos geplant sowie der Aufbau einer Infrastruktur für alternative Kraftstoffe. Mit Blick auf letzteren Punkt betonen Kritiker jedoch, dass es von sogenannten grünen Kraftstoffen ohnehin zu wenig für die Luft- und Schifffahrt geben werde - also für Verkehrsbereiche, die weniger leicht als Autos oder Transporter elektrisch betrieben werden können.
Der Autoexperte Stefan Bratzel nannte das Vorhaben im Dlf "die größte Veränderung seit Beginn der Autoindustrie". Allerdings sei eine kooperative Gesamtleistung von Regierungen und Autoherstellern notwendig, um etwa die wichtige Rolle der Automobilindustrie in Deutschland halbwegs zu erhalten. Zudem müsse es gelingen, die Batteriekosten für E-Autos zu senken.
Auch der CO2-Ausstoß von schweren Nutzfahrzeugen soll laut einem Vorschlag der EU-Kommission stark verringert werden. So sollen ab dem Jahr 2040 neue Lkw und Busse 90 Prozent weniger CO2 ausstoßen als noch 2019. Als Zwischenziel sollen die schweren Nutzfahrzeuge ab 2030 bereits 45 Prozent weniger CO2 emittieren. Die entsprechenden Pläne legte die Brüsseler Behörde Mitte Februar 2023 vor.
Die Vorgaben für Lkw sollen demnach ab einem Gewicht von fünf Tonnen sowie für Busse im Nah- und Fernverkehr gelten. Neue Stadtbusse sollen schon ab 2030 gar keine Emissionen mehr ausstoßen. Ausnahmen für die starken CO2-Verringerungen soll es für Kranken- und Feuerwehrwagen sowie für Nutzfahrzeuge geben, die etwa in der Land- oder Forstwirtschaft eingesetzt werden.
Die 90-Prozent-Vorgabe bleibt hinter dem zurück, was die Niederlande, Belgien, Luxemburg und Dänemark zuvor gefordert hatten. Umweltgruppen argumentieren, dass so im Jahr 2050 immer noch Diesel-Lkw unterwegs sein würden. Andere EU-Staaten wiederum vertreten die Auffassung, das Jahr 2040 sei für Lkw-Produzenten zu früh für eine Umstellung auf alternative Antriebe. Über den Vorschlag der Kommission müssen Parlament und Mitgliedstaaten noch beraten.
Erneuerbare Energien und Energieeffizienz
Laut den neuen Zielvorgaben soll in der EU künftig der Anteil erneuerbarer Energie am Energieverbrauch 40 Prozent betragen. Bisher lag die Vorgabe bei 27 Prozent, derzeit beträgt der Anteil rund 20 Prozent. Auch die Einsparvorgabe für Energie soll verschärft werden.
Umstritten ist, wie diese Ziele erreicht werden sollen. Einige Länder, etwa Frankreich und Finnland, wollen weiter auf Atomenergie setzen. Aber auch Gasenergie könnte eine Renaissance erleben - zumindest als Übergangstechnologie. So hat die Ampel-Regierung in ihrem Koalitionsvertrag festgelegt, angesichts des Kohle- und Atomausstiegs zunächst an Gas als Energieträger festhalten zu wollen, als Lückenfüller, wenn Windräder und Photovoltaik nicht genügend Energie liefern.
Der russische Angriffskrieg in der Ukraine und die daraus resultierenden Sanktionen gegen Russland, den größten Gasilieferanten Europas, haben die Situation jedoch grundlegend verändert. Der ursprüngliche Plan, auf Gas als Brückentechnologie zu setzen, wurde damit ausgebremst. Um kurzfristig Lücken in der Engerieversorgung zu schließen, beschloss der Bundestag eine Laufzeitverlängerung der noch nicht abgeschalteten Atomkraftwerke bis zum 15. April 2023 beschlossen. Längerfristig soll das Aufbau von Flüssiggas-Terminals (LNG_Terminals) in verschiedenen deutschen Häfen die Gasversorgung sicherstellen.
Im Februar 2022 hatte die EU-Kommission entschieden, Investitionen in neue Gas- und Atomkraftwerke unter bestimmten Auflagen als klimafreundlich einzustufen. Die Entscheidung war und ist sehr umstritten.
Kerosinsteuer
Klimaschädliches fossiles Flugbenzin wird bislang nicht besteuert. Das soll ein Ende haben. Die EU-Kommission will schrittweise eine Kerosinsteuer für innereuropäische Flüge einführen. Flugtickets dürften dadurch teurer werden. Eine Abstimmung im EU-Parlament darüber gab es bislang noch nicht.
Die deutsche Luftfahrtbranche kritisierte den Plan mit dem Argument, dass Konkurrenten aus dem außereuropäischen Ausland keine Steuern zahlten, Flugverkehr dadurch nur verlagert werde, für den Klimaschutz sei nichts gewonnen.
Die Kommission schlägt zudem vor, die Kerosinhersteller darauf zu verpflichten, ihrem Flugzeugbenzin bis 2030 mindestens zwei Prozent klimafreundliche Kraftstoffe beizumischen. Bis 2050 soll der Anteil auf 65 Prozent steigen. Bio-Kerosin kann in den heutigen Triebwerken verbrannt werden.
Wie geht es weiter?
Die Einigung muss noch vom EU-Parlament und den Staaten offiziell bestätigt werden - das gilt normalerweise als Formsache. Die Bundesregierung hatte während der Verhandlungen unter anderem beim Auslaufen der kostenlosen Zertifikate für die Industrie Bedenken, wie es von Verhandlungsteilnehmern hieß. Eine Abstimmung soll nicht vor dem Jahreswechsel stattfinden.
Die Umsetzung der Klimaschutzpläne wird zum Teil über Jahre gestreckt, um Übergangsfristen zu gewährleisten. Auch der Gesetzgebungsprozess selbst wird sich voraussichtlich noch Jahre hinziehen.
(*) An dieser Stelle und im Teaser dieses Onlinebeitrags haben wir präzisiert, dass es sich um Netto-Treibhausgasemissionen und nicht nur um den CO2-Ausstoß handelt.
(Quellen: Peter Kapern, Paul Vorreiter, Bettina Klein, Dagmar Röhrlich, Reuters, EU-Parlament, dpa, AFP, SMC, nin, dh, og, jma)