Es ist der Abend des 24. Februar 2022. Am Morgen hat Russland die Ukraine angegriffen und einen Krieg begonnen – und damit auch für die deutsche Politik alles auf den Kopf gestellt. FDP-Finanzminister Christian Lindner nutzt die Talksendung von Sandra Maischberger, um mehr Ausgaben für die Bundeswehr ins Spiel zu bringen. Von sich aus.
Wenige Tage später verkündet SPD-Kanzler Olaf Scholz in einer Sondersitzung des Bundestages ein Sondervermögen für die Bundeswehr. 100 Milliarden Euro schwer. Die Summe ist für viele eine Überraschung. Ab wann wussten die Abgeordneten der FDP davon? Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Vorsitzende des Verteidigungsausschusses versucht, sich zu erinnern:
"Ähm. Kurz vorher hatten wir eine Fraktionssitzung und Christian Lindner, der Finanzminister, der das ganze ja mit dem Kanzler besprochen hatte."
Lindner reklamiert die Bundeswehr-Idee für sich
Lindner habe hier aber keine konkrete Summe genannt. In Berlin wird danach tagelang gerätselt, auf wen die Idee und die Summe nun tatsächlich zurückgehen und ob die eher pazifistisch eingestellten Abgeordneten von SPD und Grünen vorher eingeweiht worden waren.
Inzwischen reklamiert der Finanzminister die Idee sehr offen für sich, "habe ich ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro vorgeschlagen, und wir werden es auch in das Grundgesetz schreiben", so Linder beim Landesparteitag der NRW-FDP Anfang April.
Klar ist: Die Freien Demokraten fordern seit Jahren mehr Investitionen in die Bundeswehr, können jetzt also unter dem Eindruck der Bilder aus der Ukraine eine lange vorgetragene Forderung durchsetzen.
Die Aufgaben für die Ampel-Koalition sind noch größer geworden
In diesen Tagen und Wochen seit Kriegsbeginn überschlagen sich die Ereignisse in der Regierung. Auch wenn es um Waffenlieferungen für Kiew geht - vor denen sich Deutschland erst zu zieren schien - wer hat diese dann eigentlich freigegeben - und wann?
"Das ist eine gute Frage. Ich kann Ihnen das gar nicht mehr sagen. Die Lage ist so dynamisch", erinnert sich FDP-Verteidigungspolitikerin Strack-Zimmermann.
"Ich persönlich habe sehr früh gefordert, dass wir Defensivwaffen liefern sollen, weil ich das Gefühl hatte, wir müssen etwas machen. Dann wurde ich aber gebeten, das ist der Wahrheit geschuldet, diesbezüglich ein bisschen zurückhaltend zu sein, um die Kollegen von Grünen und SPD nicht zu überfordern."
Die Aufgaben für die Ampel-Koalition – sie sind noch größer geworden. Und vieles, was jetzt entschieden werden muss, war im Koalitionsvertrag so nicht absehbar.
"Wir lösen Probleme zusammen"
Doch was heißt das aus FDP-Sicht für die Zusammenarbeit in der Ampel? Grundsätzlich lassen sich nach den ersten Regierungsmonaten erste Muster erkennen, wie innerhalb der Koalition Politik gemacht und Kompromisse gefunden werden. Zum Beispiel bei der Energiepreisentlastung. Daniel Föst ist wohnungspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion:
"Also ich hatte das nicht erwartet, dass wir doch so gut zusammen ein Problem diskutieren können. Wenn man sich überlegt, im Wahlkampf haben wir uns ja gegenseitig gesagt, die können es nicht. (lacht). Also jeder über jeden. Und jetzt stellen wir doch fest, dass, wenn jeder seinen Teil, seine Sichtweise mit reinbringt, der Partner, dass wir zusammen Probleme lösen."
Föst ist im Interview auch deshalb so gut gelaunt, weil ihm und seinen Koalitionspartner gerade gelungen ist, den Heizkostenzuschuss für Wohngeldempfänger zu verdoppeln. Hier war eine Einigung schnell und einfach. Anders beim zweiten Energieentlastungspaket, auf das sich die Koalition nach langem Ringen Ende März verständigte. Nach tagelangen Gesprächen gingen die Spitzen von Fraktion und Partei im Koalitionsausschuss in ihre erste Nachtsitzung:
"Wir haben es uns in dieser Nacht nicht leicht gemacht, ein Paket zu schnüren", ließ FDP-Chef Christian Lindner danach wissen.
"Es hat auch etwas Zeit gebraucht, die unterschiedlichen Maßnahmen zu bewerten und dann zu einem Paket zu verbinden, aber es ist gelungen."
Jeder der Partner in der Ampelkoalition bekommt etwas
Am Ende setzte die FDP eine Entlastung bei fossilen Kraftstoffen durch, die Grünen eine Vergünstigung beim Öffentlichen Nahverkehr und die SPD ein pauschales Energiegeld als Steuerentlastung. Jeder bekommt ein bisschen.
"Das klingt wie ein schlechter Kompromiss. Ich finde, in der Sache ist das ein guter Kompromiss", verteidigt Johannes Vogel, erster parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion die Einigung. Gerade die Entlastung bei fossilen Kraftstoffen war den Freien Demokraten wichtig - zur Entlastung der autofahrenden Mitte und etwa der Handwerksbetriebe. Doch Vogel gelingt es auch mühelos, die Position der Grünen zu vertreten:
"Und dann gleichzeitig aber zu sagen, wir wollen diese Zeit dann auch nutzen, die Möglichkeit zu geben, günstig auf den ÖPNV auszuweichen und zweitens, dort wo es geht und das ist der urbane Raum, nicht der ländliche, vielleicht auch auszuprobieren, ob generell ich die Wahlfreiheit zwischen Auto und ÖPNV stärker zugunsten des ÖPNV nutzen kann, das finde ich eine sehr weise Lösung."
Jeder der Partner in der Ampelkoalition bekommt also etwas, das er sich zuvor gewünscht hat und das dem eigenen politischen Profil entspricht.
Genau das könnte der Stil der Ampel in den kommenden Monaten werden, glaubt der Politikwissenschaftler Thorsten Faas von der Freien Universität Berlin:
"Diese Art der Kompromissfindung ist in der Tat sehr spannend, weil wir nicht so etwas sehen, wo unbedingt bei jedem einzelnen Streitpunkt ein Kompromiss in der Mitte gefunden wird, sondern wir eher einen Modus sehen, dass bestimmte Teilfragen jeweils einem der Partner zugebilligt werden. Sozusagen ok, ihr kriegt das, wir kriegen das. Was in gewisser Weise so ein Modell der Zukunft durchaus sein könnte, dass diese Bündnisse einfach so komplex und auch so heterogen sind, dass man nicht mehr versucht, überall und an jedem einzelnen Punkt einen Kompromiss zu machen, sondern, dass man eher so eine Verteillogik anlegt. Das kann gut funktionieren, aber der spannende Punkt ist natürlich, kommt da ein konsistentes großes Ganzes raus? Und kann man das vor allem auch auf Dauer bezahlen, denn diese Lösungen sind natürlich sehr, sehr teuer."
Lindner im Alleingang
So summiert sich die Verteillogik der beiden Entlastungspakete bislang insgesamt auf etwa 30 Milliarden Euro. Doch auch wenn nach den Verhandlungen alle Ampel-Partner bemüht waren, die Ergebnisse nach außen positiv aussehen zu lassen – nicht nur die Notwendigkeit der Nachtsitzung offenbart Friktionen innerhalb der Koalition.
Es war Christian Lindner, der erneut einen Alleingang startete und mit seiner Idee eines Tankrabatts die Koalitionspartner überrumpelte. Per Bildzeitung ließ er Politik und Öffentlichkeit wissen, dass er Kraftstoffe günstiger machen wolle, ein Rabatt der irgendwie an der Tankstellenkasse abgezogen werden sollte.
Details dazu musste man ihm beim Statement in der Parteizentrale durch mehrfaches Nachfragen aus der Nase ziehen: "Der Krisenrabatt ist ein Vorschlag, über den jetzt in der Koalition beraten wird. Alles Weitere wird sich zeigen und dem will ich nicht vorgreifen."
Die Koalitionspartner zeigten sich wenig begeistert und auch aus der Wirtschaftswissenschaft gab es viel Schelte für diesen Vorschlag. Marktkräfte außer Kraft gesetzt, Subvention für die Mineralölkonzerne, Bevorzugung eines fossilen Energieträgers, um nur einige Kritikpunkte zu nennen.
"Hm, ja, das macht einen nachdenklich. Hmmm - und das führt zu Reflexion. Ich finde, es wäre fatal, wenn es anders wäre", antwortet Johannes Vogel auf die Frage, wie es sich anfühlt, gerade als Streiter für die Marktwirtschaft so aus der Fachwelt kritisiert zu werden.
Die grundsätzliche Entlastung für Kraftstoffe verteidigt er jedoch. Und auch Haushaltspolitiker Otto Fricke lässt sich kein schlechtes Wort über Lindners Idee entlocken: "Lieber einen konkreten Vorschlag, an dem du dann entlang hangeln kannst und sagst, was die Lösung ist."
Auch wenn Fricke eigentlich die These vertritt: "Dass das heute in der Bildzeitung stehen nicht automatisch bedeutet, dass ich es morgen dann auch noch durchsetzen kann. Sondern eher, dass, wenn ich nicht in der Bildzeitung stehe, einen Teil ich noch durchsetzen kann"
Koalitionsverhandlungen waren vertrauensbildend
Dinge nicht über die Presse in die Welt zu setzen, sondern mit Differenzen umzugehen und Lösungen intern zu erarbeiten - in den Koalitionsverhandlungen hatte das gut funktioniert. Noch immer verweisen Mitglieder der FDP darauf, wie vertrauensbildend das für sie war. Doch in den späteren Verhandlungen über die Energieentlastungen klappte das nicht - als es dort haarig wurde, wurde ein Papier über den Verhandlungsstand an die Presse durchgestochen.
"Das hat mich sehr geärgert", sagt Johannes Vogel, erster parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion.
"Da ist handwerklich sozusagen das Doing von Verhandlungen nicht perfekt gelungen und mit Blick auf die Dramatik und die Dynamik der externen Schocks find ich das wahrscheinlich realistisch, dass das passiert. Das ist das eine. Und das andere ist, will ich, dass diese Koalition so dauerhaft arbeitet und glaube ich, wir waren im Herbst besser. Letzteres ist eindeutig der Fall."
Trotz allem gilt: Die Zufriedenheit mit der Koalition ist bei vielen FDP-Abgeordneten grundsätzlich recht hoch: "Jetzt bei dieser Situation, wo es um Krieg und Frieden geht, halte ich es geradezu für einen Glücksfall, dass wir in dieser Konstellation regieren. Ich bin zutiefst überzeugt, wenn es einen CDU-Kanzler oder einen Verteidigungsminister gäbe, hätten wir gesellschaftlich deutlich höhere Verwerfungen, mehr Proteste, was das 100 Milliarden Programm betrifft", meint Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann.
FPD ist kein "Abnickverein"
Für ihre Fraktion hat sich seit der Bundestagswahl einiges verändert: "Ja, wir haben in der Tat ein Drittel neue Kolleginnen und Kollegen. Dann die, die sehr profiliert waren, sind zum Teil in die Exekutive gegangen, also in Staatsämter, Staatssekretäre geworden oder eben auch Minister. Sowas wirft eine Fraktion immer erstmal durcheinander."
Zu den neuen Abgeordneten gehört Ria Schröder, Landesverband Hamburg, Schwerpunkt Bildungspolitik. Auch sie ist zufrieden mit der bisherigen Regierungsarbeit und wie diese in die Fraktion hinein kommuniziert wird.
"Also die Ministerinnen sind alle auch Parlamentarierinnen und regelmäßig bei den Fraktionssitzungen dabei."
Darüber hinaus gebe es intern detaillierte Arbeit auf Fachebene. Die FDP-Fraktion verstehe sich im parlamentarischen Verfahren keinesfalls als "Abnickverein".
"Wir sind sicherlich keine Fraktion, der man einfach irgendwie was hinwirft und davon ausgehen kann, dass die Zustimmung gesichert ist, sondern vielleicht auch ein bisschen pflegeaufwändiger. Aber wir stellen uns eben auch gerne der Debatte, stellen Nachfragen, und ich glaube, das hält unsere Ministerinnen und Minister ein bisschen auf Trab, aber das ist gut so."
Hitzige Diskussionen bei der Impfpflicht
Auch gestritten werde in der Fraktion, berichtet Wolfgang Kubicki, stellvertretender Parteivorsitzender: "Ja, das ist ja der Sinn, nech, wir sind die Partei der Meinungsfreiheit, und wir haben eigenständige Charaktere in der Fraktion. Der Sinn ist ja, dass man diskutiert, um zu einer Problemlösung zu kommen. Ich find‘s sehr angenehm, dass wir bei jeder wichtigen Fragestellung unterschiedliche Auffassungen nicht nur haben können, sondern auch äußern und dann darüber auch streiten. Und dass wir dann, wie sie sehen immer zu einer Conclusio kommen, die von einer deutlichen Mehrheit der Fraktion getragen werden kann."
Zuletzt habe es zum Beispiel hitzige Diskussionen in Sachen Impfpflicht gegeben, berichtet FDP-Verteidigungspolitikerin Strack-Zimmermann. Hier vertraten Mitglieder der Fraktion ein breites Spektrum an Positionen – von der Forderung einer Impfpflicht ab 18 Jahren bis hin zu einer kategorischen Ablehnung einer Impfpflicht.
In sozialen Netzwerken hagelt es Kritik
Große Einigkeit herrschte parteiintern dagegen beim Infektionsschutzgesetz. Die FDP hat durchgesetzt, dass nur noch ein Minimum an Maßnahmen zum Infektionsschutz besteht. Zum Missfallen vieler Abgeordneter von SPD und Grünen. Hat die FDP die Partner hier vor sich her getrieben?
"Nein, ich finde, hier gibt die Verfassung den Ton an", meint Parteivize Johannes Vogel.
Die FDP sieht keine Gefahr der Überlastung des Gesundheitssystems mehr, entsprechend auch keine rechtliche Grundlage für Grundrechtseinschränkungen. Doch die FDP muss auch damit umgehen, dass es Menschen gibt, denen der Wegfall von Schutzmaßnahmen, Sorge bereitet. In sozialen Netzwerken wird die Partei teils harsch kritisiert.
"Das ist natürlich überhaupt nicht leicht, weil wir natürlich als Gesellschaft ein Interesse daran haben, dass hier jeder auch mit einer Vorerkrankung möglichst sicher leben kann. Nun haben wir aber zwei Jahre Pandemie hinter uns, wo wir sehr starke Einschränkungen in Kauf genommen haben und wir jetzt in eine Situation übergehen, wo zwar die Gefahr einer Ansteckung bestehen bleibt – wir werden die Pandemie nicht beenden können, auch nicht mit staatlichen Schutzmaßnahmen, das haben wir gelernt - das heißt, die Frage ist, wie gehen wir weiter vor. Und ich glaube, das ist ein Stück weit leider auch zu einem gewissen Teil ein Lebensrisiko ist, dass man sich mit einer Krankheit ansteckt", erklärt Bildungspolitikerin Ria Schröder.
Die FDP fährt einen klaren Kurs
Die FDP fährt damit einen sehr klaren Kurs, von dem sie sich nicht abbringen lässt. Die Debatte über die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht musste wegen der FDP zu einer Gewissensentscheidung erklärt werden. Der Ampel gelang es in der Folge nicht, eine Mehrheit dafür zu bekommen, obwohl der Bundeskanzler die Einführung einer Impfpflicht angekündigt hatte.
Wolfgang Kubicki, der die Impfpflicht von vornherein abgelehnt hat und einen entsprechenden eigenen Gruppenantrag entworfen hat, will vom Ärger Einzelner aus den Fraktionen von SPD und Grünen über die FDP aber nichts wissen:
"Also man kann nicht wirklich ernsthaft behaupten, dass sei eine Gewissensentscheidung und anschließend, wenn Menschen von ihrem Gewissen Gebrauch machen, erklären, dass sei eine parteipolitische Entscheidung. Ich glaube nicht, dass das Gewissen von Karl Lauterbach stärker ausgeprägt ist als mein eigenes."
Auch Politikwissenschaftler Thorsten Faas erkennt im Pandemiekurs der Partei eine gewisse Grundsätzlichkeit: "Erstmal positioniert die FDP sich da strategisch interessant, aber auch nachvollziehbar. Nämlich tatsächlich so, die kritische Stimme zu sein und damit auch für Wählerinnen und Wähler, die viele der Pandemiemaßnahmen sehr kritisch sehen, denen im Prinzip eine Option jenseits der AfD zu geben, das ist schon erstmal eine Repräsentationslücke, die die FDP ganz gezielt zu füllen versucht. Interessant ist tatsächlich, dass sie damit auch durchkommt. Und das zeigt eigentlich nur implizit, dass in den internen Verhandlungen das für die FDP einen wahnsinnig hohen Stellenwert haben muss, den sie auch sehr sehr klar so kommuniziert. Und entsprechend sind den anderen beiden dann an der Stelle, also Grünen und SPD ja ein Stück weit die Hände gebunden, sich darauf einzulassen oder einen größeren Knall letztlich zu riskieren."
Rote Linien könnten zur Belastung werden
Die FDP zieht also in Sachen Pandemie eine ganz klare rote Linie. Dies könnte für die Koalition zu einer Belastung werden, sollte die pandemische Lage sich im Herbst wieder verschlimmern. Eine andere Linie der Partei ist nicht ganz so rot: Die Frage nach der Aufnahme neuer Schulden. Wie sehr Finanzminister Christian Lindner Schulden eigentlich ablehnt, machte er beim Landesparteitag der NRW-FDP deutlich:
"Staatsschulden, überzogene Staatsschulden sind schädlich. Sie verdrängen wirtschaftliche Prosperität aus dem privaten Bereich, sie gefährden die langfristige Stabilität öffentlicher Finanzen. Sie bergen in sich die Gefahr der Inflation. Sie sind auch für den Finanzminister ein Risiko, weil nicht auf Dauer die Zinsen auch für den Staat niedrig bleiben werden. Also, lieber neue Wahlen als neue Schulden. Das Bekenntnis zu soliden öffentlichen Finanzen, das besteht, an das fühle ich mich auch unverändert gebunden."
Und trotzdem: argumentiert Lindner für das Sondervermögen Bundeswehr. Und trotzdem stimmt er zu, kommt zum Haushalt 2022 ein Ergänzungshaushalt, der Kriegsfolgen tragen soll. Darin enthalten die circa 30 Milliarden für Energieentlastungspakete. Der Finanzminister, der sich schon im Wahlkampf zum Garanten solider Finanzen stilisierte, gibt das Geld nun mit vollen Händen aus.
"Zwei Herzen schlagen ach in meiner Brust. Dem Haushälter in mir, dem tut das weh", sagt dazu FDP-Haushaltspolitiker Otto Fricke.
"Aber der ökonomisch denkende Jurist in mir sagt auch, in dieser Zeit kann ich das nicht anders machen, wenn ich bestimmte Aufgaben erfüllen will. Ja, ich kann auch immer sagen, ich erhöhe jetzt die Steuern wie wild. Mit allen Folgen die das dann hat. Ja, ich kann auch sagen, ich streiche jetzt im Bereich soziale Zuschüsse wie wild, mit allen Folgen, die es dann hat oder ich muss ehrlicherweise nochmal sagen, in der Not musst du das so machen."
Christian Lindner ist weiter unangefochten
Denn in Krisenzeiten lasse die Schuldenbremse ja eben Spielräume.
In der für die FDP eigentlich schwierigen Finanzfrage lassen sich bislang parteiintern keine Risse ausmachen. Was sich vielleicht ändern könnte, sollte die Union mit ihrer Klage gegen den Nachtragshaushalt Erfolg haben. Bis dahin ist Parteichef und Finanzminister Christian Lindner weiterhin unangefochten - bekommt selbst für Vorschläge wie den Tankrabatt die Unterstützung des Parteivorstandes.
Das liegt auch an seinen Leistungen für die Partei. Lindner hat die FDP aus der außerparlamentarischen Opposition erst zurück in den Bundestag und dann in die Regierung geführt. Und diese Regierungskonstellation funktioniert aus Sicht von Parteivize Wolfgang Kubicki: "Erstaunlich gut. Auch wenn viele unserer Wähler nach wie vor mit dieser Konstellation fremdeln, kann man sagen, dass die Arbeitsatmosphäre sowohl in der Regierung, als auch zwischen den Koalitionsfraktionen ausgesprochen gut ist. Immer noch beseelt von der gemeinsamen Überzeugung, es kommt drauf an, dass wir Probleme lösen und nicht mit ihnen wechselseitig Angst machen."
"Wir fusionieren ja nicht. Sondern wir arbeiten zusammen"
Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann betont: "Wir fusionieren ja nicht. Sondern wir arbeiten zusammen. Und diese Unterschiede, in bestimmten Schnittmengen sich anzunähern, es hilft übrigens auch mal dem anderen zuzuhören, es ist nicht alles falsch, was jemand anders sagt."
Sich also einerseits anzunähern, um gemeinsam Lösungen zu finden - gleichzeitig aber herauszuarbeiten, welche eigenen Positionen man eingebracht hat, um eben in einer Ampel-Koalition als eigenständige Partei wahrnehmbar zu bleiben. Das wird in den kommenden Regierungsjahren der Kurs der FDP sein. Auch mit Blick auf Landtagswahlkämpfe und andere politische Koalitionen. In Nordrhein-Westfalen etwa würden die Freien Demokraten gerne die Zusammenarbeit mit der CDU fortsetzen. Aus Sicht von Politikwissenschaftler Thorsten Faas muss die FDP darauf achten:
"Nicht so zu wirken, als wäre die FDP jetzt der natürliche Mehrheitsbeschaffer für Rotgrün."
Pandemiepolitik kann zur Hypothek werden
Die Formel für die Regierungsarbeit der nächsten Jahre bringt Haushälter Otto Fricke aus dem Landesverband Nordrhein-Westfalen entsprechend so auf den Punkt: "Wie heißt es so schön? Ein Kompromiss gestaltet sich dadurch, dass man gegenseitig nachgibt. Und nicht, dass man gegenseitig seine Position sich vorhält und davon einen Teil durchsetzt. Und insofern ja, tut manchmal weh. Ist nicht angenehm. Man muss es auch erklären. Aber man muss auch manchmal dann sagen, ja, wir hätten auch ganz was Anderes an Regierung haben können, wenn wir als FDP nicht mitgemacht hätten."
Allein: Diese Kompromissfindung wird bei der Pandemiepolitik scheitern. Hier ist die FDP weiterhin kategorisch. Das aber kann für die Zusammenarbeit der drei Parteien eine echte Hypothek werden.