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Häufung von Hepatitis-Fällen bei Kindern
Hepatologe: „Es ist nicht der Zeitpunkt, wo wir Alarm schreien müssen“

Die WHO beobachtet Fälle von Leberentzündungen bei Kindern, für die keine der üblichen Hepatitis-Viren verantwortlich sind. Dass eine Corona-Infektion oder -Impfung Ursachen sein könnten, hält der Kinder-Hepatologe Burkhard Rodeck für unwahrscheinlich. Einen Zusammenhang zur Pandemie sieht er dennoch.

Burkhard Rodeck im Gespräch mit Lennart Pyritz |
Adenoviren unter dem Mikroskop
Adenoviren unter dem Mikroskop – ob sie wirklich Auslöser der neu beobachteten Fälle von Leberentzündungen bei Kindern sind, ist noch nicht bewiesen. (picture alliance / BSIP / CAVALLINI JAMES)
Der Großteil der bisher entdeckten neuartigen Hepatitis-Erkrankungen bei Kindern ist in Großbritannien aufgetreten. Die Hepatitisviren, die üblicherweise Leberentzündungen verursachen - A, B, C, D und E - konnten bei keinem dieser Fälle nachgewiesen werden. In einem aktuellen Briefing vermutet die oberste britische Gesundheitsbehörde NHS (National Health Service) Adenoviren als Auslöser.
Hypothesen, die einen direkten Zusammenhang dieser Hepatitis-Fälle mit einer SARS-CoV-2-Infektion in Verbindung bringen, bezeichnet der Kinder-Hepatologe Burkhard Rodeck im Dlf-Interview als Spekulation. „Es ist so, dass wir die Pandemie seit über zwei Jahren kennen, und wenn wir jetzt plötzlich dann eine Häufung von akuten Hepatitis-Fällen bei infizierten Patienten sehen würden, wäre uns das schon sehr viel eher aufgefallen.“

Corona-Schutzmaßnahmen könnten eine Rolle spielen

Ebenso für unwahrscheinlich hält Rodeck, der auch Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin ist, einen Zusammenhang mit der Covid-19-Impfung. Wegen des Konzepts der mRNA-Impfstoffe, die für die Immunisierung von Kindern ausschließlich zugelassen sind, sei es „eigentlich ausgeschlossen“, dass das Vakzin Lebererkrankungen auslöse.
Trotzdem könnte die Corona-Pandemie zu den neu beobachteten Hepatitis-Fällen beigetragen haben, vermutet Rodeck, nämlich durch die lange Zeit gültigen Schutzmaßnahmen. Gerade junge Kinder seien dadurch mehr als zwei Jahre lang "Virusinfektionen jedweder Genese nicht ausgesetzt" gewesen. "Auch die Adenovirus-Infektionen fehlten diesen Kindern –  das ist in England auch gut gezeigt worden. Das heißt, diese Kinder sind immun naiv, wie wir sagen", erläuterte Rodeck.
Wenn nun Lockerungsmaßnahmen relativ rasch aufeinanderfolgten, müssten sich diese Kinder eines Sturms von Keimen erwehren, die auf sie einprasselten. "Und es kann sein, dass das jetzt innerhalb der letzten drei, vier Monate zu einer Häufung von Infektionen geführt hat, die letztlich auch die Leber mitbetreffen", so der Kinder-Hepatologe.

Das Interview in voller Länge:

Lennart Pyritz: Die WHO berichtet von mindestens 169 Fällen, der Großteil davon in Europa, darunter etwa 110 in Großbritannien. Inzwischen gibt es auch Berichte aus den USA, Kanada und Japan: Die Rede ist von akuten und schweren Leberentzündungen bei Kindern, für die keine der üblichen Hepatitisviren verantwortlich sind. In 17 Fällen wurde eine Lebertransplantation durchgeführt, mindestens ein Kind ist gestorben. Unterschiedliche Erreger oder Vergiftungen werden als Auslöser untersucht, auch ein Zusammenhang mit der Corona-Pandemie wird diskutiert. Ob es tatsächlich eine Häufung solcher mysteriösen Leberentzündungen gibt und was die Ursachen sein könnten, darüber habe ich vor der Sendung mit Dr. Burkhard Rodeck gesprochen. Er ist Kinder-Hepatologe und Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin. Ich habe ihn zuerst gefragt, ob auch bereits entsprechende Hepatitis-Fälle bei Kindern in Deutschland registriert wurden?
Burkhard Rodeck: Wir sind dabei, das zu überprüfen. Wir haben einerseits selbst von unserer Gesellschaft aus eine Abfrage gestartet bei den Zentren in Deutschland, die hepatologisch ausgewiesen sind, also besonders Lebererkrankungen behandeln, und dort hat sich in der letzten Woche keine überzufällige Häufigkeit gezeigt. Diese Woche werden wir diese Abfrage noch mal starten, aber registriert haben wir bislang noch keine Zunahme an Fällen.
Pyritz: Wie oft kommen denn Hepatitis-Fälle, Leberentzündungen bei Kindern normalerweise vor und wie verlaufen die normalerweise?
Rodeck: Die klassischen Hepatitis-Fälle von A bis E sind im Kindesalter sehr selten und sind auch bei den bisher bekannten Fällen, die ja vorwiegend in England gemeldet worden sind, alle ausgeschlossen. Leberbeteiligung bei anderen Virusinfektionen erleben wir nicht selten, das kommt immer mal wieder vor. Es gibt einzelne Viren, die dafür sehr bekannt sind, wie zum Beispiel das Epstein-Barr-Virus oder auch andere Viren. Adenoviren sind dabei auch genannt, wobei die typischerweise nur bei Kindern auftreten, wenn die eine Immunschwäche haben, aber es ist möglich. Die genaue Zahl ist schwierig aufzuführen, weil es unterschiedliche Schweregrade dieser Lebererkrankungen gibt. Was man benennen kann, ist natürlich die Anzahl der akuten Leberversagen, also eine Lebererkrankung, die letztlich nur mit einer Lebertransplantation behandelt werden muss, und das ist im letzten Jahr ungefähr bei 15 Kindern in Deutschland notwendig gewesen.

Beginn von Gelbsucht als Alarmzeichen

Pyritz: Wie unterscheiden sich jetzt Symptome und Krankheitsverlauf bei diesen Leberentzündungen unklaren Ursprungs?
Rodeck: Grundsätzlich nicht anders als bei jeder anderen Hepatitis. Es geht los mit Abgeschlagenheit, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall unter Umständen, dann aber insbesondere ein Symptom, was sehr deutlich auf die Leber hinweist, das ist die Entwicklung einer Gelbsucht. Es fängt an, dass sich das Weiße im Auge gelb färbt, aber dann auch die gesamte Haut gelb färbt. Das ist natürlich dann ein Alarmzeichen, und dann muss auf jeden Fall die stationäre oder zumindest die ärztliche Vorstellung erfolgen, um eine Ursachenforschung zu betreiben.

Adenoviren als möglicher Auslöser

Pyritz: Der Ursprung dieser aktuellen Hepatitis-Fälle ist unklar, Sie haben auch schon gesagt, die üblichen Viren, die Hepatitis normalerweise verursachen, verursachen können, die Hepatitisviren A, B, C, D und E, die sind in keinem der Fälle bisher nachgewiesen worden. Die oberste britische Gesundheitsbehörde vermutet in einem aktuellen Briefing Adenoviren als Auslöser – die haben Sie eben auch schon genannt. Was steckt dahinter?
Rodeck: Bei einer Lebererkrankung unklarer Genese wird natürlich jede Klinik danach trachten, die Ursache zu erforschen. Dazu gehört routinemäßig die Erfassung von verschiedenen Viruserkrankungen, von denen man weiß, dass sie theoretisch eine Lebererkrankung auslösen können. Im Rahmen dieser Untersuchungen sind eben bei einem Anteil der Patienten aus England Adenoviren aufgefallen. Die Adenoviren, die aufgefallen sind, sind einer speziellen Subgruppe zuzuordnen, die typischerweise eben auch für eine Magen-Darm-Infektion mitverantwortlich ist, also anders als die üblichen Adenoviren, die eigentlich eine Infektion der oberen Atemwege verursachen. Das ist schon ein Stück weit auffallend, und insoweit hat man sich dann natürlich auf diesen Pfad begeben und untersucht das weiter und versucht zu klären, inwieweit ursächlich diese Adenoviren für den Ausbruch in England zumindest verantwortlich ist.

Besteht ein Zusammenhang mit der Corona-Pandemie?

Pyritz: Neben Adenoviren wird auch über einen Zusammenhang mit der Corona-Pandemie spekuliert. Welche Zusammenhänge mit Infektion oder Impfung werden da diskutiert, und für wie wahrscheinlich halten Sie die?
Rodeck: Das ist nicht ganz unwahrscheinlich – weniger jetzt aufgrund der Infektion Covid-19, sondern eher aufgrund der Maßnahmen, die wir im Rahmen der Bekämpfung der Pandemie eigentlich über die gesamte Bevölkerung ja erstreckt haben. Wir wissen, dass gerade diese jungen Kinder diese Situation natürlich in der Form überstanden haben, dass sie über zwei Jahre lang jetzt Virusinfektionen jedweder Genese nicht ausgesetzt waren. Jeder, der ein Kita-Kind hat, weiß ganz genau, wenn ich diese jungen Kinder in die Kita schicke, dann kommen die zurück mit laufenden Infekten, und das fehlt diesen Kindern. Auch die Adenovirus-Infektionen fehlten diesen Kindern, und das ist in England auch gut gezeigt worden. Das heißt, diese Kinder sind immun naiv, wie wir sagen, und wenn dann die Lockerungsmaßnahmen wieder relativ rasch aufeinanderfolgen, dann müssen sich diese Kinder eines Sturms von Keimen erwehren, die auf sie einprasseln. Und das kann sein, dass das jetzt innerhalb der letzten drei, vier Monate zu einer Häufung von Infektionen geführt hat, die letztlich auch jetzt dann die Leber mitbetreffen.
Pyritz: Ist denn auch ein direkter Zusammenhang zu einer SARS-CoV-2-Infektion denkbar, eventuell auch in Kombination mit einer Adenovirus-Infektion? Darüber wurde ja auch spekuliert.
Rodeck: Das würde ich auch eher wirklich nur als Spekulation erst mal hinstellen. Es ist so, dass wir die Pandemie seit über zwei Jahren kennen, und wenn wir jetzt plötzlich dann eine Häufung von akuten Hepatitis-Fällen bei infizierten Patienten sehen würden, wäre uns das schon sehr viel eher aufgefallen. Insoweit glaube ich das eher nicht.

Verbindung zur Covid-19-Impfung scheint unwahrscheinlich

Pyritz: Neben einer Infektion mit SARS-CoV-2 wurde auch die Corona-Impfung als eine mögliche Ursache dieser unklaren Hepatitis-Fälle diskutiert. Wie schätzen Sie diese Hypothese ein oder diese Spekulation?
Rodeck: Das glaube ich eher nicht. Die schweren Hepatitis-Fälle sind aufgetreten vorwiegend in der Altersgruppe der Drei- bis Sechsjährigen, und das ist die Altersgruppe, die bislang kaum geimpft worden ist, auch in England nicht geimpft worden ist. Das heißt, die allermeisten dieser Kinder haben gar keine Impfung gehabt. Auch vom Konzept des Impfstoffes selber, dieser mRNA-Impfstoffe, ist es sehr unwahrscheinlich, eigentlich ausgeschlossen, dass wir dort eine Lebererkrankung erleben werden.
Pyritz: Die WHO hat kürzlich gesagt, es sei noch nicht klar, ob es tatsächlich eine Häufung dieser Fälle gibt oder ob da einfach stärker drauf geachtet wird derzeit. Trotzdem gab es schnell Spekulationen über die Ursachen, und einige davon haben wir jetzt ja auch angesprochen. Wurden da aus Ihrer Sicht auch mitunter zu schnell oder voreilig Schlüsse gezogen?
Rodeck: Es sind ja noch keine Schlüsse, die eigentlich gezogen worden sind, es sind Hypothesen, die im Raume stehen, und als solche sollte man sie zunächst auch bewerten. Das heißt, das Ganze ist jetzt erst mal eine Situation, wo wir aufpassen müssen. Das ist eine Situation, wo wir über das RKI, aber auch über die medizinischen Fachgesellschaften, die pädiatrischen Fachgesellschaften Meldesysteme aufbauen, um genau die Anzahl von entsprechenden Fällen hier auch in Deutschland zu erfassen. Die meisten Lebererkrankungen, Viruserkrankungen bei Kindern sind harmlos und heilen aus. Nach den bisherigen Ergebnissen ist auch nur ein sehr kleiner Teil dieser bisher bekannten Fälle wirklich dann einen schweren Verlauf gegangen. Insoweit, im Moment ist noch nicht der Zeitpunkt, wo wir Alarm schreien müssen. Wir sollten aufpassen, wir müssen das Ganze sorgfältig weiterbeobachten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.