Für die Bewältigung der Corona-Pandemie hatte die ehemalige Bundesregierung sich üppige Kredite eingeräumt, diese aber teilweise nicht genutzt. Die neue Regierung möchte auf diesen Topf nun zugreifen – für Investitionen in Klimaschutz und Digitalisierung. 60 Milliarden Euro sollen so genutzt werden, als „ein Booster für die Volkswirtschaft“, wie der neue Finanzminister Christian Lindner sagt. Am 16.12. stellt Lindner den Nachtragshaushalt im Bundestag vor.
Die Union sieht das sehr kritisch: "Das ist schon ein sehr grundsätzlicher Bruch mit der Haushaltssolidität in Deutschland, den wir da gerade erleben", sagte Helge Braun (CDU), der neue Vorsitzende des Haushaltsausschusses und frühere Kanzleramtsminister, im Deutschlandfunk.
Die Regierung handele damit nicht im Einklang mit dem Grundgesetz. Dieses lasse für die Krise eine vorrübergehende Ausnahme von der Schuldenbremse zu. Doch die neue Regierung nutze diese Gelder jetzt für andere Zwecke und zudem auch für die Folgejahre. Die Unionsfraktion zweifelt deshalb die Verfassungsmäßigkeit des Nachtragshaushalts an und will ihn in Karlsruhe per Normenkontrollklage überprüfen lassen.
Die Regierung verteidigt ihren Kurs
Sven-Christian Kindler (Grüne) hat die Finanzpläne der Regierung am 13.12.2021 im Deutschlandfunk verteidigt. "Wir sind aktuell immer noch in einer schweren Pandemie", sagte Kindler. Diese bringe nicht nur große gesundheitliche Risiken mit sich sondern auch schwerwiegende Folgen für die Wirtschaft. Viele notwendige Investitionen seien wegen der Pandemie ausgeblieben. Das werde Deutschland wirtschaftlich noch mehrere Jahre beschäftigen.
Kindler betonte, dass auch die alte Bundesregierung das Geld der zusätzlichen Kredite nicht nur für das Gesundheitssystem ausgegeben habe. Diesen Spielraum habe die Regierung verfassungsrechtlich auch. Es sei daher richtig, nun die Gelder dem Energie- und Klima-Fonds zuzuführen. "Wenn wir öffentliche Investitionen jetzt fördern, dann müssen das natürlich Investitionen zum klimaneutralen Umbau unserer Volkswirtschaft sein", sagte Kindler.
Das Interview im Wortlaut:
Stefan Heinlein: Herr Braun, hat mein Kollege recht mit seiner Prognose? Werden Sie heute im Bundestag dem neuen Finanzminister so richtig die Meinung geigen?
Helge Braun: Ja, das wird eine sehr ernste Debatte heute, weil wir uns große Sorgen machen, denn das ist schon ein sehr grundsätzlicher Bruch mit der Haushaltssolidität in Deutschland, den wir da gerade erleben.
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Heinlein: Es ist ein grundsätzlicher Bruch. Aber wie ungewöhnlich ist das denn, das Arbeiten mit einem Nebenhaushalt? Sie können da einen langen Zeitraum an vorderster Front der Politik in Regierungsverantwortung überblicken.
Braun: Solche Sachen wie den Energie- und Klima-Fonds, das was Sie hier als Nebenhaushalt bezeichnen, die gibt es schon lange. Das ist auch nicht das Problem, sondern das Problem ist, dass wir wegen Corona für die Bewältigung dieser Krise eine Ausnahmeregelung im Grundgesetz haben, die sagt, für die Bewältigung dieser Krise kann man vorübergehend zusätzliche Schulden aufnehmen in dem Jahr der Krisenbewältigung. Das, was Christian Lindner jetzt hier macht, ist, dass er einen enorm großen Schuldenhaufen zusätzlich für andere Zwecke nutzen will, und das auch nicht nur im Krisenjahr, sondern in den Folgejahren. Das ist in doppelter Hinsicht eigentlich eine Abkehr von finanzieller Solidität, die können wir nicht gutheißen.
"Widerspricht dem Sinn und der Logik der Schuldenbremse"
Heinlein: Diesen Unterschied sieht die FDP, sieht Christian Dürr, der neue Fraktionschef, nicht. Sie haben ihn gerade noch mal gehört, die Vorwürfe direkt an Ihre Adresse. Sie seien es gewesen, Herr Braun, der 2020 die Schuldenbremse schleifen wollte. Wie sehr nagt das an Ihrer Glaubwürdigkeit? Messen Sie da mit zweierlei Maß?
Braun: Das ist ganz anders! Ich habe im Januar diesen Jahres einen Artikel verfasst, wo ich sehr deutlich gesagt habe, ich mache mir genau Sorgen um so eine Entwicklung, dass nämlich die Schuldenbremse durch dieses wiederholte, dass wir jetzt drei Jahre in Folge diese Naturkatastrophen-Sonderregelung in Anspruch nehmen, dass das die Einhaltung der Schuldenbremse erschwert. Deshalb habe ich ja geradezu gefordert im Januar, dass man das auf eine gesetzliche Grundlage stellen muss. Das war schon der FDP damals zu viel und jetzt macht sie es ohne gesetzliche Grundlage und auf wirklich einem Weg, den das Grundgesetz so gar nicht vorgesehen hat.
Heinlein: Klingt sehr kompliziert, sehr juristisch, Herr Braun. Glauben Sie, dass die Bürgerinnen und Bürger im Lande das verstehen? Das alles, was Sie jetzt schildern, ist doch das Prinzip rechte Tasche, linke Tasche, egal ob heute im Jahr 2021 oder in der Vergangenheit unter 16 Jahre Merkel.
Braun: Nein. Eins ist ganz klar, dass wir für andere Zwecke die Notfallregelung der Schuldenbremse jetzt verwenden, um in den Folgejahren Ampel-Koalitionsprojekte umzusetzen. So was hat es noch nie gegeben und das widerspricht dem Sinn und der Logik der Schuldenbremse in jeder Hinsicht. Ich glaube, das verstehen die Menschen in Deutschland sehr, sehr gut, wenn man seinen Koalitionsvertrag jetzt auf der Grundlage von Schulden umsetzen will und behauptet, das habe mit der Schuldenbremse nichts zu tun. Das ist nicht seriös.
"Wir sind uns sicher, dass das nicht verfassungsgemäß ist"
Heinlein: Sie sind sich in Ihrer Sache so sicher, Herr Braun, Ihre Fraktion, die Union, CDU/CSU, dass Sie jetzt sogar die dickste Keule der Opposition auspacken und in Karlsruhe klagen?
Braun: Wir sind uns erstens auch sicher, dass das nicht verfassungsgemäß ist. Und zweitens muss man sagen: Wenn wir diese Büchse der Pandora einmal öffnen, dass wir sagen, auf die Art und Weise sind trotz der Schuldenbremse in beliebiger Höhe zusätzliche Schulden für jede Art von Projekten möglich, dann ist die Schuldenbremse als solche ernsthaft in Gefahr. Das ist eine große Errungenschaft, weil dahinter steht doch im Ergebnis, die zukünftigen Generationen müssen die gesamten Lasten von Digitalisierung und Klimaschutz selber tragen. Genau das wollten wir ja mit solider Haushaltspolitik, mit der schwarzen Null und mit der Schuldenbremse verhindern.
Heinlein: Ziel, Sinn und Zweck Ihrer Normenkontrollklage – das ist es ja, was Sie jetzt in Karlsruhe einreichen – ist, dies grundsätzlich zu klären?
Braun: Genau. Es geht darum, grundsätzlich zu fragen, ist dieses Vorgehen mit dem Grundgesetz vereinbar, darf man die Corona-Schulden zweckentfremden für Ampel-Koalitionsprojekte, und darf man diese aufgenommenen Schulden in den nächsten Jahren verausgaben, ohne das auf die Schuldenbremse anzurechnen. Ich halte beides eigentlich für völlig gegen den Sinn der Schuldenbremse.
Heinlein: Stört Sie vor allem, wenn ich es richtig verstehe, Herr Braun, die Art und Weise der Finanzierung? Oder ist es auch grundsätzlich falsch, einen Booster für die Volkswirtschaft, wie es Christian Lindner nennt, eine Milliarden-Investition für Klimaschutz und digitale Transformation unseres Landes jetzt in Gang zu setzen?
"Nicht fair, die Belastungen auf kommende Generationen abzuwälzen."
Braun: Es ist jedenfalls falsch, so was auf Kosten kommender Generationen zu finanzieren, und dagegen wenden wir uns.
Heinlein: Aber das war doch immer so. Wenn man Schulden eingeht, sind das kommende Generationen, und kommende Generationen profitieren dann auch von Klimaschutz und digitaler Transformation.
Braun: Zahlen allerdings die Schulden samt aller Zinsen dann auch selber zurück, und das war lange Zeit bis zur Corona-Krise das Markenzeichen einer unions-geführten Regierung, dass wir keine neuen Schulden gemacht haben, sondern mit der schwarzen Null dafür gesorgt haben, dass der Staat handlungsfähig bleibt auch in der Zukunft. Kommende Generationen müssen ja nicht nur Schulden zurückzahlen, sondern sie müssen auch mit Klimafolgen und allen Herausforderungen der Zukunft noch zusätzlich leben. Deshalb ist es nicht fair, die Belastungen auf kommende Generationen abzuwälzen.
Braun rechnet mit Stichwahl zum CDU-Parteivorsitz
Heinlein: Herr Braun, eine Frage noch zu einem Thema, das Sie persönlich wahrscheinlich mindestens genauso beschäftigt wie dieses spannende Thema Nachtragshaushalt. Morgen, Herr Braun, kommt das Ergebnis der Mitgliederbefragung über den Vorsitz Ihrer Partei. Sind Sie schon nervös?
Braun: Nervös bin ich nicht und wir werden morgen mal das Ergebnis uns anschauen. Ich habe aus der Mitgliederschaft sehr viel positive Rückmeldungen. Deshalb freue ich mich darauf.
Heinlein: Rechnen Sie damit, Herr Braun, dass es in jedem Fall zu einer Stichwahl kommen wird? Oder schafft es einer der Bewerber – es sind ja nur Männer –, bereits im ersten Wahlgang eine absolute Mehrheit zu bekommen?
Braun: Es ist das erste Mal, dass wir die Mitglieder befragen. Insofern haben alle ein Bauchgefühl. Aber keiner weiß irgendwas. Deshalb wird es morgen sehr, sehr spannend. Ich rechne tendenziell schon mit einer Stichwahl, ja.
Heinlein: Das sagt Ihr Bauchgefühl, Herr Braun. Gehen Sie davon aus, dass Sie gegen Merz oder Röttgen, gegen einen von beiden antreten werden, Sie einen von beiden hinter sich lassen?
Braun: Ja! Dafür habe ich in den letzten Wochen gekämpft und da bin ich zuversichtlich.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.