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Corona-Pandemie
NRW-Ministerpräsident Wüst fordert Führung von Scholz bei der Impfpflicht

Bürgerinnen und Bürger, die sich in der Pandemie zwei- oder mittlerweile dreimal haben impfen lassen, möchten jetzt auch "ein Stück Freiheit zurück“, sagte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) im Dlf. Er bekannte sich erneut zur Notwendigkeit einer Impfpflicht.

Hendrik Wüst im Gespräch mit Moritz Küpper | 09.01.2022
Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU)
Hendrik Wüst (CDU) ist Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen (picture alliance/dpa)
Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) sieht eine wachsende Ungeduld bei einer Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland, die die Corona-Maßnahmen mittragen. „Ich merke das in Bürgerzuschriften, auch im Bürgerkontakt, dass darauf beharrt wird: Ich habe jetzt zwei-, ich habe mich jetzt dreimal impfen lassen. Jetzt möchte ich auch ein Stück meine Freiheit zurück“, sagte Wüst im Deutschlandfunk. Das sei ein wachsendes Phänomen: „Ich glaube, es nimmt zu.“
Wüst, der auch Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz ist, zeigte zudem Verständnis dafür, dass einzelne Bundesländer die jüngsten Corona-Maßnahmen nicht umsetzen: „Die ständige Kritik an sogenannten Flickenteppichen teile ich auch nicht“, sagte der CDU-Politiker. Es habe sehr unterschiedliche Situationen in den verschiedenen Bundesländern gegeben. Wüst reagierte damit auf Ankündigungen aus Sachsen-Anhalt und Bayern, die jüngsten Beschlüsse der Bund-Länder-Runde wie die sogenannte 2G-plus-Regel in der Gastronomie unabhängig von Inzidenz-Zahlen nicht umsetzen zu wollen: „Da muss man nicht alles gleichmachen. Da kann und da darf man auch verfassungsrechtlich gar nicht alles gleichmachen“, so Wüst.
Spitzen der Ampel-Parteien: Christian Lindner,  Olaf Scholz, Annalena Baerbock und Robert Habeck
Beim Thema Impfpflicht kritisiert Wüst das Vorgehen der Ampel-Koalition (picture alliance/dpa)

Kritik an Scholz und Ampel

Wüst, der im Herbst 2021 als Nachfolger von Armin Laschet zum Ministerpräsidenten des bevölkerungsreichsten Bundeslandes gewählt wurde und im Mai eine Landtagswahl zu bestehen hat, warf Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sowie der Ampel-Koalition erneut fehlende Führung in der Diskussion um eine Impfpflicht vor: „Es ist jedenfalls bemerkenswert, dass in einer so wesentlichen Frage die Regierung keine eigenständige Mehrheit dafür zu haben scheint und eben mit Gruppenanträgen auch parteiübergreifend um Stimmen wirbt“, sagte der CDU-Politiker.
„In einer so wesentlichen Frage hätte ich mir gewünscht, dass Olaf Scholz, der sich ja klar bekennt, führt. Dass er sagt: Das ist jetzt ganz wichtig, um aus der Pandemie zu kommen und ich habe hierfür eine eigene Mehrheit, für diesen ganz wesentlichen Punkt.“ Der NRW-Ministerpräsident sagte, er fürchte, dass die Pandemie hierzulande nur mit einer allgemeinen Impfpflicht beendet werden könne.

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Das vollständige Interview im Wortlaut:
Moritz Küpper: Herr Wüst, wir zeichnen dieses Interview der Woche nach der gemeinsamen Bund-Länder-Runde mit Bundeskanzler Olaf Scholz auf. Sie waren in Berlin als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz, der Sie ja auch sind. Es ging zu Beginn dieses Jahres natürlich um die Pandemie, um Omikron, die wahrscheinlich ansteckendere Variante des Virus. Mancherorts hieß es, wir werden es nun wohl alle einmal bekommen. Wie groß ist eigentlich ihre persönliche Sorge, sich mit Corona zu infizieren?
Hendrik Wüst: Na, ich bin Vater eines Kleinkindes, einer kleinen Tochter. Die möchte ich natürlich nicht damit infizieren. Also, ich möchte nicht, dass ich irgendwas nach Hause bringe. Ich möchte auch diese Krankheit einfach nicht haben. Aber als Politiker habe ich schon auch die Sorge und auch die Verantwortung, gerade mit Blick auf Omikron, besonders achtsam zu sein. Also, ich bin sowohl als Vater als auch Politiker in gleicher Weise vorsichtig.

Starke Omikron-Verbreitung "absehbar"

Küpper: Der österreichische Bundeskanzler ist nun positiv auf das Corona-Virus getestet worden. Daniel Günther, Ihr Kollege als Ministerpräsident befindet sich oder befand sich gerade in Quarantäne. Haben Sie Vorkehrungen für solche Situationen, auch jetzt beruflich? Sie sind ja als Ministerpräsident tagtäglich gefordert…
Wüst: Na, wir passen schon auf. Es wird eher mehr als weniger Maske getragen und oft gelüftet. Und man muss auch bei den Terminen, die man macht, ein bisschen darauf achten, dass man nicht mit zu vielen Menschen in Kontakt kommt. Das ist für Politiker ein bisschen schwierig, weil der menschliche Kontakt natürlich auch wichtig ist, um zu spüren: Wie geht es den Menschen? Was treibt sie um? Aber da bin ich schon auch vorsichtig, ohne jetzt übermäßig distanziert zu sein. Denn ein Stück weit Kommunikation gehört einfach auch zum Beruf und zum Alltag des Politikers dazu.
Hendrik Wüst (CDU, ), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen und Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK), Bundeskanzler Olaf Scholz und Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey geben eine Pressekonferenz nach einem Treffen der Länderchefs mit der Bundesregierung.
Wüst (l.) nach den Bund-Länder-Beratungen neben Bundeskanzler Scholz und der Regierenden Bürgermeisterin von Berlin, Giffey (dpa-news / John Macdougall)
Küpper: Sie haben sich nun getroffen, in Berlin, mit dem Bundeskanzler, mit den Ländern, haben Beschlüsse gefasst. Unter anderem die sogenannte 2G+-Regel. Sie soll nun bundesweit und unabhängig von lokaler Inzidenz gelten. Warum braucht es jetzt eine Verschärfung? Die Zahlen sind ja eigentlich relativ stabil, auch die Krankenhauszahlen. Es geht eigentlich ja eher zurück.
Wüst: Ja, in den letzten Tagen geht es schon signifikant nach oben. Über 300er 7-Tages-Inzidenz, der R-Faktor überall, mit Ausnahme eines Bundeslandes, nämlich Thüringen, deutlich über 1. In Thüringen knapp unter 1. Das heißt, wir gehen die Entwicklung absehbar, wie sie andere Länder gegangen sind, in denen Omikron die vorherrschende Variante wurde. Die Frage ist, wie schnell das geht und welche Auswirkungen das hat. Wie schnell das geht, darauf haben wir ein Stück Einfluss. Deswegen jetzt auch noch mal 2G+ in der Gastronomie. Sinnlogisch – in der Gastronomie trägt man keine Maske, sonst kann man nicht essen und trinken. Das ist klar. Wir wissen noch wenig darüber, was Omikron an Hospitalisierung auslöst. Es gibt Hinweise aus Frankreich, die eine deutlich höhere Infizierung haben schon, weil der Omikron-Anteil schon höher ist, dass eben auch sehr viele Menschen auf die normalen Krankenhausstationen kommen, nicht mehr so viele in die Intensivstationen.
Aber das kann man ja auch nicht auf die leichte Schulter nehmen, denn wir wollen nach wie vor nicht, dass unser Gesundheitssystem irgendwann kollabiert, sei es in der Intensivstation oder in der Normalstation. Also, manches wissen wir – schnellere Infektionen. Manches werden wir wieder lernen müssen. Das muss man auch ehrlich bekennen als Politiker, dass wir da manches auch von den Experten wieder lernen. Deswegen jetzt dieser Schritt. Ich bin der Überzeugung, dass wir deutlich weiter vorausschauen müssen, gerade in dieser Phase der Pandemie, wo eben wieder vieles ungewiss ist. Nicht zu hektisch von Woche zu Woche, sondern vorsichtig sein. Vorausschauende Pandemiepolitik schließt für mich auch ein die Vorbereitung zu einer Impfpflicht.
Küpper: Über die Impfpflicht, auch über die anderen Punkte, möchte ich auch noch gerne mit Ihnen sprechen, aber noch mal bei diesem Punkt gerade bleiben. Sie haben es gesagt, die Situation in anderen Ländern. In Frankreich, in Großbritannien haben wir Neuinfektionszahlen am Tag, die in die Hunderttausende gehen.
Wüst: 200.000 in Frankreich, über 300.000, 370.000 die letzten Tage in Spanien. Und das macht mir dann schon auch ein bisschen Sorge.
Küpper: Das heißt, die Situation in Deutschland, auch jetzt die statistische, die Datengrundlage für Ihre Treffen, für Ihre Entscheidungen ist … das Robert Koch-Institut spricht davon, dass es seinen eigenen Zahlen, aufgrund der Feiertage, der Übergangstage, nicht richtig traut. Aber das heißt mit anderen Worten, Sie treffen ein Stück weit diese Entscheidung jetzt auf Mutmaßungen?
Wüst: Nein, wir treffen Sie aufgrund der Erfahrung, die unsere Nachbarn ja alle gemacht haben. Wir sind ja keine Insel. Wir sehen, was in Dänemark passiert ist, was in Großbritannien passiert ist, was in Frankreich gerade passiert, in Spanien passiert. Und wir sehen die Entwicklung der letzten Tage.

Über die Feiertage wurden sehr wenige Tests gemacht

Küpper: Aber warum kriegen diese Länder das besser hin mit den Zahlen und da mit dem Datenmaterial, als wir hier im zweiten Jahr der Pandemie, fast im dritten?
Wüst: Also, ich weiß nicht, ob man in Spanien, Frankreich über die Feiertage besser getestet hat als wir. Der Hauptgrund ist, dass wir über die Feiertage weniger getestet haben. Die Schulen sind zu. Viele Firmen machen Betriebsferien über die Feiertage. Das ist der Hauptfaktor. Wir haben einfach sehr wenig Tests gemacht im Vergleich zu einer normalen Woche mitten im Jahr. Und trotzdem haben wir ja Indikatoren. Wir haben ja das Anziehen des R-Faktors, der 7-Tages-Inzidenz. Es ist ja nicht so, dass uns das jetzt überrascht. Wir wissen, Omikron ist da. Omikron ist im Norden Deutschlands schon die vorherrschende Mutation, die vorherrschende Variante. Klar, mehr Datensicherheit ist immer gut. Wäre sicher gut gewesen. Aber, wenn wir mehr Datensicherheit haben, werden wir keine sinkenden Zahlen sehen dadurch. Das kann man sicher …
Küpper: Das heißt, die reale Lage in Deutschland ist schlechter, als die Statistiken jetzt sagen?
Wüst: Das jedenfalls sagt Karl Lauterbach. Und ich würde ihm da nicht widersprechen wollen.
Küpper: Daher kommt jetzt auch dieser 2G+-Beschluss unter anderem. Es war Ihnen persönlich als Ministerpräsidentenkonferenz-Vorsitzender auch ein Anliegen, bundesweit und einheitlich. Jetzt gibt es schon erste Länder, die daran wieder ein bisschen kritteln. Bayern sagt, sie wollen erst am Dienstag entscheiden. Sachsen-Anhalt distanziert sich ein wenig. Ich will gar nicht auf das übliche sozusagen Prozedere jetzt wieder eingehen. Ich wollte einfach nur mal fragen: Warum ist es immer noch so wichtig, fast schon Mantra-artig, bundesweit einheitliche Regeln zu haben? Die Stärken im Föderalismus liegen doch gerade woanders.
Wüst: Da bin ich total bei Ihnen. Die ständige Kritik an sogenannten Flickenteppichen teile ich auch nicht. Wir hatten sehr, sehr unterschiedliche Situationen in den letzten Wochen. Bayern, Sachsen mit großen Herausforderungen. In Norddeutschland dagegen hatte man eine eher entspannte Situation. Da muss man nicht alles gleich machen. Da kann und da darf man auch verfassungsrechtlich gar nicht alles gleich machen. Wenn in Sachsen, in Bayern Grundrechtseingriffe nahezu geboten waren, um die Menschen zu schützen, wären sie in Schleswig-Holstein sicherlich rechtswidrig gewesen. Also, wir müssen ja auch immer verhältnismäßig agieren. Und insofern ist Unterschiedlichkeit manchmal nahezu geboten. Ich glaube nur, dass wir im Großen und Ganzen einheitlich unterwegs sein sollten, wenn wir einigermaßen vergleichbare Situationen haben. Und ich glaube, dass wir bei Omikron innerhalb weniger Wochen sehen, weil es sich so schnell verbreitet, dass wir alle wieder herausgefordert sein werden. Und warum ist mir das wichtig? Weil die Menschen ja nicht verstehen, warum etwas in Münster so ist und in Osnabrück angeblich ganz anders. Die Menschen leben ja nicht entlang Landesgrenzen. Die haben es ja nicht sozusagen täglich …
Küpper: In dem Fall Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen.
Wüst: In dem Fall Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Insofern ist es, glaube ich, für die Glaubwürdigkeit von Politik am Ende schon gut. Jetzt haben wir hier eine Situation, dass Bayern schlicht Teile der Gastro eh schon sehr restriktiv gehandhabt hatte, teilweise geschlossen hat. Da jetzt 2G+ einzuführen, hieße sie zu öffnen. Also, insofern gibt es schon einfach, aufgrund der schwierigen Lage in Bayern dort vor einigen Wochen, das hat man jetzt natürlich sehr gut in den Griff gekriegt, eine andere Voraussetzung. Und in Sachsen-Anhalt geht es schlicht um die Frage, dass man noch abwarten möchte, die Quarantäne-Regeln, die Definition. Was ist eigentlich Geboosteter? Was heißt das eigentlich geboostert? Das war dem Kollegen Haseloff ein wichtiges Anliegen. Das ist auch ein wichtiges Anliegen. Und so habe ich ihn verstanden, dass er darauf noch abwarten will. Aber das wird Ende der Woche in einer Sondersitzung des Bundesrates dann auch klar sein.

"Anreize setzen" statt Druck

Küpper: Die Botschaft dieses Bund-Länder-Treffens ist im Grunde genommen – ich fasse das jetzt in meinen Worten zusammen, aber der Druck auf Ungeimpfte, auf Menschen, die wenig geimpft sind, steigt. Das gilt für die Besuche im öffentlichen Leben. Das gilt aber auch für die Quarantäne-Zeit. Muss dieser Druck auf ungeimpfte Menschen weiter steigen?
Wüst: Also, diese Druckargumentation, ich höre die oft, die geht mir immer ein bisschen schwer über die Lippen.
Küpper: Wie würden Sie es denn beschreiben? Es ist … um am Leben teilzunehmen, muss man …
Wüst: Auf der einen Seite setzten wir Anreize und wir schützen ja auch diese Menschen. Ich bin Ministerpräsident von 18 Millionen Nordrhein-Westfalen, geimpft oder nicht geimpft. Wenn jetzt die Ungeimpften alle erkranken, weil man sie nicht schützt, weil man keine Regeln aufstellt, ist das auch nicht in Ordnung. Also, diese Idee mit dem Druck klingt ja schon fast nach Strafe. Aber das ist nicht der Ansatz, sondern es geht darum, dass wir gelernt haben, dass in Innenräumen ohne Maske, gerade bei Omikron, das Infektionsrisiko hoch ist. Und ich habe die Verantwortung für diese einzelnen Menschen, vor allen Dingen aber für alle anderen, auch dann wieder für die Geimpften, Geboosteten, dass unser Gesundheitssystem, dass unsere öffentliche Daseinsvorsorge funktioniert, dass unser Land am Laufen bleibt. Und deswegen muss man dann sagen, diese Situation, abends im Restaurant, eher gemütliche Stimmung, es wird ein Glas Wein oder ein Glas Bier getrunken, die Maske ist nicht auf, weil man isst, das ist eben gerade eine gefährliche Situation, gerade bei Omikron. Und da halten wir jetzt die Leute, die nicht geschützt sind, lieber raus. Und das kann man jetzt als Druck sehen, okay. Ich sehe es eben auch als Schutz für die Betroffenen. Aber natürlich auch, wenn die dann nachher alle auf der Intensivstation liegen, in den Krankenhäusern liegen, bei Omikron hoffentlich nicht schwer erkranken, aber dann wird uns am Ende auch ein Problem einholen in den Krankenhäusern. Wir sind in zwei Jahren Pandemie ja an vielen Stellen schlauer geworden. Wir haben manches gelernt. Manches sprechen wir heute sehr gelassen aus, was gar nicht so eine Kleinigkeit ist.
Küpper: Was denn?
Wüst: Zum Beispiel das Verschieben elektiver Eingriffe. Das Verschieben von planbaren Eingriffen in Krankenhäusern ist zu einem, ja, Werkzeug dieser Pandemiebekämpfung geworden. Man schafft freie Kapazitäten auf Intensivstationen in Krankenhäusern dadurch, dass man planbare Eingriffe, die in der Regel zu einem längeren Aufenthalt auf der Intensivstation postoperativ führen, man verschiebt sie. Aber gerade solche Eingriffe sind ja schwerwiegende. So, und diese Verantwortung haben wir, diese Dinge alle zu sehen. Und deswegen ist es nicht abstrakt, wenn Politik darüber diskutiert, wie wir unser Gesundheitssystem vor Überlastung schützen. Sondern wir haben die Menschen im Blick, die auch einen Anspruch darauf haben, ein ordentliches Gesundheitswesen zu haben.

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Küpper: Die Grundannahme dieser Politik ist ja: Impfen ist der Ausweg aus der Pandemie. Und Sie betonen ja auch immer wieder, dass es die Mehrheit im Land ist, dass es viele Menschen gibt, die mitmachen – bei den Maßnahmen, aber eben auch bei der Impfung. Wie groß ist Ihre Sorge, dass diese Mehrheit die Geduld mit der Minderheit verliert?
Wüst: Ja, ich merke das, auch in Bürgerzuschriften, auch im Bürgerkontakt, dass darauf beharrt wird: Ich habe jetzt zwei-, ich habe mich jetzt dreimal impfen lassen. Jetzt möchte ich auch ein Stück meine Freiheit zurück. Und dann wird eben auch schon mit „Wir-“, „Die“-Argumentationen gearbeitet. Das nehme ich schon wahr. Und da muss man, glaube ich, in jeder Hinsicht sensibel für sein.
Küpper: Nimmt das zu?
Wüst: Ja, ich höre es häufiger. Ich glaube, es nimmt zu, ja.

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"Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass die Menschen schnell durchgeimpft werden"

Küpper: Denn das eine ist ja: Ich will mehr Freiheit. Die bekommen Menschen mit einer Drittimpfung ja jetzt beispielsweise. Das andere ist aber auch sozusagen eine, wie auch immer geartete vielleicht Wut, die sich dann richtet an eben diese Minderheit, die sagt: Nein, wir machen nicht mit.
Wüst: Ja, Wut, weiß ich nicht. Wenn es sich an mich richtet, dann richtet es sich ja an den politischen Entscheider. Man möge bitte alles dafür tun, dass die sich jetzt auch mal impfen lassen, damit eben alle wieder ein Stück Normalität zurückbekommen. Das ist ja der Gedanke, der auch am Ende der Forderung nach einer Impfpflicht zugrunde liegt.
Küpper: Herr Wüst, Sie haben die allgemeine Impfpflicht gerade angesprochen. Das gab ja inhaltlich einen ziemlichen Ritt. Erst wurde es komplett ausgeschlossen von fast allen Akteuren im politischen Betrieb. Dann gab es sehr laute Forderungen, fast schon eine Art Konsensbildung, war mein Eindruck, das doch zu tun. Jetzt rutscht es irgendwie auf die lange Bank. Man kann fast schon den Eindruck haben, es wird zerredet. Sie sind sehr konsequent. Sie sagen, wir brauchen das. Und Sie fordern auch einen schnellen Zeitplan. Warum drängen Sie da so?
Wüst: Wir haben jetzt tolle Erfolge beim Impfen gehabt in den letzten Wochen. In Nordrhein-Westfalen um die zwei Millionen in der Woche, haben wir geschafft. Acht Millionen Menschen sind inzwischen geboostert. Aber das sind eben alles die Menschen, die schon zweimal ja gesagt haben zur Impfung. Dass wir die jetzt erreichen, ist toll, aber keine ganz besonders große Überraschung.
Küpper: Die müssen Sie nicht mehr überzeugen.
Wüst: Die muss man nicht mehr überzeugen, genau. Da war es eher die Frage: Haben wir genug Impfstoff? Haben wir die Impfinfrastruktur? Können wir diesen Menschen schnell genug ein Angebot machen? Das war, wenn ich das so sagen darf, Logistik. Es ist wichtig, aber es war Logistik. Wenn wir den nächsten Schritt genauso erfolgreich meistern wollen, müssen wir Überzeugungsarbeit leisten. Das schaffen wir auch. Ich sehe auch immer noch tausende Menschen in der Woche, die sich zum ersten Mal impfen lassen. Da bin ich dankbar für. Aber ich glaube eben, dass wir auch damit nicht an Quoten kommen von 90, 95 Prozent, die wir brauchen, um nicht im nächsten Winter wieder in der gleichen Situation zu stehen wie in diesem und im letzten Winter, dass wir über Lockerung und Lockdown, Lockerung und Lockdown sprechen. Ich finde, wir haben die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, auch zu lernen als Politik. Und die Lehre ist: Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass die Menschen schnell durchgeimpft werden, so schnell, wie es eben geht. Wir müssen überzeugen, ja. Aber wir sehen eben auch, dass viele ihre Bedenken sehr hochhalten. Nicht jeder ist ein renitenter Impfgegner. Manche sind auch eher skeptisch und kritisch. Und ich glaube, die kriegen wir dann …
Küpper: Entschuldigen Sie, wenn ich Sie da unterbreche, aber das sind ja die klassischen Argumente. Warum kommt das in der Bundesregierung, auf Bundesebene – da liegt der Ball ja jetzt. Da muss man tätig werden, in der Bundespolitik, im Bundestag. Warum wird das jetzt da wieder verschoben von der Ampel?
Wüst: Da müssen Sie nächsten Sonntag jemanden von der Ampel einladen, der Ihnen das genau erklärt. Ich könnte da nur spekulieren. Man ist ja sehr früh …
Küpper: Na, Sie sind politisch erfahren.
Wüst: Ja. Man ist ja sehr früh zu dem Ergebnis gekommen, dass man als Bundesregierung in dieser wichtigen Frage keinen Entwurf vorlegen will, sondern …
Küpper: Ist das ein Fehler?
Wüst: … über einen Antrag aus den Reihen des Parlaments das Thema ans Rollen bringen will. Sie fragen: Ist das ein Fehler? Es ist jedenfalls bemerkenswert, dass in einer so wesentlichen Frage die Regierung keine eigenständige Mehrheit dafür zu haben scheint und eben mit Gruppenanträgen auch parteiübergreifend um Stimmen wirbt. Das ist okay. Das kann man alles so machen. Aber in einer so wesentlichen Frage hätte ich mir gewünscht, dass Olaf Scholz, der sich ja klar bekennt, führt. Dass er sagt: Dass ist jetzt ganz wichtig, um aus der Pandemie zu kommen und ich habe hierfür eine eigene Mehrheit, für diesen ganz wesentlichen Punkt. Ja, das hätte ich mir schon gewünscht.

Wüst gegen "exekutiven Rausch"

Küpper: Liegt das an der FDP?
Wüst: Da müsste ich spekulieren. Es kann auch in anderen Parteien Kritiker dazu geben.
Küpper: Ja, gut, Sie regieren hier in Nordrhein-Westfalen auch mit der FDP. Daher kennen Sie die Liberalen ganz gut.
Wüst: Ja, wir müssen hier bloß keine Impfpflicht einführen. Deswegen haben wir da jetzt hier keine Debatten zu. Man kann das unterstellen, denn der erste Antrag aus den Reihen des Parlaments ist ja angeführt von Herrn Kubicki, für die FDP Vizepräsident des Deutschen Bundestages. Auf dem Tisch liegt eben leider nur dieser ablehnende Antrag einer Impfpflicht. Es liegt noch kein Antrag zur Impfpflicht vor, aber schon ein ablehnender. Insofern, ja, ist es ja, glaube ich, nicht zu viel spekuliert, wenn man glaubt, dass es da besonders große Bedenken gibt. Was ich im Übrigen auch völlig normal finde, wenn eine freiheitliche Partei, wenn die FDP bei vielen der Themen in der Pandemie eben besonders große Schwierigkeiten hat. Das ist sozusagen in der DNA. Das kann ich total nachvollziehen. Man darf auch in so einer Situation nie in einen exekutiven Rausch kommen und am Ende mehr tun als nötig ist. Das ist ja Verhältnismäßigkeit, dass man tut, was nötig ist, was getan werden muss, um die Menschen zu schützen, aber eben auch nicht mehr. Insofern verstehe ich da die Sorgen der FDP, aber eine Bundesregierung in dieser Situation hat ein Stück auch die Verantwortung, an so einer wesentlichen Frage voranzugehen.
Küpper: Hätten Sie denn Vorschläge, um das Ganze voranzubringen – der Ball liegt nicht bei Ihnen –, aber wie man das Ganze konkret umsetzen könnte?
Wüst: Wir haben uns jetzt als erstes ja mal ganz zurückhaltend einen verbindlichen Zeitplan gewünscht. Das haben wir schon im Dezember uns gewünscht. Das mussten wir jetzt noch mal anmahnen beim Bund, dass da was kommt. Jetzt hat Herr Scholz gesagt, ja, nach allem, was er höre aus dem Parlament würde da jetzt in absehbarer Zeit ein Zeitplan kommen. Denn wir müssen doch als Länder uns auch vorbereiten, einen solche Impfpflicht über die nächsten Monate dann umzusetzen. Herr Scholz hat mal vom Februar gesprochen. Das wird es nun sicher nicht mehr. Das ist unrealistisch. Wenn wir vor dem nächsten Winter mit allen Fragen durch sein wollen, um nicht wieder in die gleiche Situation zu kommen, dann werden wir das zweite, das dritte Quartal des Jahres nutzen müssen. Und deswegen haben wir ein Interesse, erst mal verbindlich zu wissen: Wann ist es denn soweit? Und selbst das kann man bisher nicht sagen.
Küpper: Kurze Frage, kurze Antwort. Kann die Pandemie hierzulande nur mit einer allgemeinen Impfpflicht beendet werden?
Wüst: Ich fürchte ja.
Küpper: Herr Wüst, diese Woche wurde auch bekannt, dass die CDU, die Union keine eigene Kandidatin, keinen eigenen Kandidaten in der Bundesversammlung aufstellen möchte. Sie hatten doch schon entschlossen dafür plädiert. Aber Sie waren der Einzige bei sich in der Partei, mehr oder weniger. Sind Sie der Einzige in der Union, der noch den Anspruch auf herausragende Ämter in dieser Republik formuliert?
Wüst: Das sicher nicht. Friedrich Merz hat die Idee …
Küpper: Man hatte den Eindruck.
Wüst: Friedrich Merz hat die Idee auch unterstützt. Es gab auch Gespräche mit den Grünen darüber, die dann aber doch eher in der Koalitionsdisziplin bleiben wollten. Ich kann das verstehen. Da ist man jetzt in der Klemme, irgendwo zwischen dem eigenen Anspruch. Die Grünen haben das ja auch sehr klar formuliert schon vor geraumer Zeit, eine Frau als Bundespräsidentin sehen zu wollen. Jetzt ist man aber in einer Ampel auch in einer gewissen Loyalitätspflicht, auch in dieser Frage, hat dann gesagt, man unterstützt Steinmeier. Und dann ist es für uns auch ein Punkt – ich habe das auch immer selber gesagt – mit einer Alibikandidatur, die keine Aussicht auf Erfolg hat, tut man der Sache auch keinen Gefallen. Mein Antrieb war, nachdem 16 Jahre Angela Merkel Politik in diesem Land geprägt hat, eins der führenden Staatsämter, neben der Bundestagspräsidentin, noch mit einer Frau zu besetzen, die auch ein Stück das moderne, das weltoffene Deutschland verkörpern kann, parteiübergreifend sammeln kann. Aber, wenn es am Ende keine Aussicht auf Erfolg hat, soll man das besser lassen.
Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf: Hendrik Wüst (l, CDU), neuer Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, leistet den Amtseid neben André Kuper (CDU), Landtagspräsident.
Wüst im Düsseldorfer Landtag bei der Eidesleistung nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten (Rolf Vennenbernd/dpa)

Jamaika oder Ampel nach der NRW-Landtagswahl im Mai?

Küpper: Dieser Koalitionszwang, diese Auswirkung aus Berlin von der Ampel haben Sie gerade skizziert. Jetzt wird im Mai dieses Jahres auch hier in Nordrhein-Westfalen gewählt. Sie regieren momentan schwarz-gelb mit einer Stimme Mehrheit. Wie groß ist Ihre Sorge, dass diese Ampel-, ja, Fantasien dann auch hier Sie sozusagen aus der Staatskanzlei vertreiben?
Wüst: Wir arbeiten ja hier mit der FDP seit ja nunmehr viereinhalb Jahren wirklich sehr gut und vertrauensvoll in der einzig christlich-liberalen Regierung in Deutschland zusammen. Es wird immer das Attribut „geräuschlos“ damit verbunden.
Küpper: In der Corona-Politik war es zuletzt nicht mehr so geräuschlos.
Wüst: Ja, wir schaffen … wir haben eine ganze Menge geschafft in den letzten viereinhalb Jahren und auch in Corona haben wir es immer geschafft, gut auf die Menschen in diesem Land aufzupassen. Wir haben eine höhere Impfquote als der Bundesschnitt. Wir waren immer verhältnismäßig unterwegs. Aber eben auch, wenn es nötig war und in solchen Situationen, wie sie jetzt sind, wo wir an Stellen stehen, Omikron, waren wir auch vorsichtig, wenn es notwendig war. Da haben wir immer unseren gemeinsamen Weg.
Küpper: Noch mal die Frage: Wird es hier hinauslaufen auf Jamaika oder Ampel, in Nordrhein-Westfalen?
Wüst: Nein. Wir schätzen das beide. Und deswegen habe ich das gesagt. Wir schätzen beide wert, was wir in den letzten viereinhalb Jahren miteinander geschafft haben, was wir auch im nächsten halben Jahr noch miteinander vorhaben. Wir schätzen das beide wert. Deswegen sage ich für mich – und das wird ja auch gespiegelt –, dass wir diese Zusammenarbeit gerne fortsetzen wollen.

Lob für Laschet

Küpper: Dann lassen Sie uns zum Abschluss noch ganz kurz auf Ihre Partei, die CDU, schauen. Auch auf Bundesebene, am Parteitag, da soll Friedrich Merz bestätigt werden, nachdem er ja dieses überzeugende Votum erstmals in dieser Mitgliederbefragung bekommen hat. Gleichzeitig endet aber auch die Amtszeit von Armin Laschet. Er ist dann der kürzeste Parteivorsitzende der Geschichte der CDU. Was bleibt von der Ära Laschet?
Wüst: Jetzt muss man mal Armin Laschet ja nicht nur als Parteivorsitzenden, auch als Ministerpräsidenten … er ist, wie ich finde, in der heutigen Zeit eine außergewöhnliche Persönlichkeit. Ich schätze ihn auch als Ratgeber heute noch. Es ist immer gut, wenn man zu seinem Vorgänger ein gutes Verhältnis hat. Aber das ist noch mal außergewöhnlich, weil er im Zweifel immer auch manchmal zu seinen eigenen Lasten zusammenführt, den gesellschaftlichen Zusammenhalt sieht, den Zusammenhalt der Partei sieht, den Zusammenhalt einer Regierung sieht. Da ist er schon außergewöhnlich in einer, ja, Zeit, die ja auch viele andere Charakterzüge von Politikern zum Vorschein bringt. Insofern ist er da schon beispielgebend, auch über seine Amtszeit in dem jeweiligen Amt hinaus.
Küpper: Friedrich Merz hat jetzt ein überzeugendes Ergebnis bekommen – aus einer Mitgliederbefragung. Hat das schon gezeigt, dass dies der richtige Weg war? Es war ja erstmals dieser Weg.
Wüst: Es hat vor allen Dingen gezeigt, dass die CDU Charakter hat. Das haben wir hier in Nordrhein-Westfalen schon bei dem Wechsel gesehen von Armin Laschet auf mich im Parteivorsitz und im Ministerpräsidentenamt. Bei beiden Abstimmungen Ergebnisse, die viel damit zu tun haben, dass Armin Laschet diesen Kurs der Gemeinsamkeit grundgelegt hat und die CDU auch voll dahintersteht, auch hinter dem Wechsel, ja. Ich kann da vielleicht auch das eine oder andere auf mein Konto buchen, aber sicher nicht alles. Die CDU hat Charakter gezeigt und hat es dann auch noch mal in einer für mich völlig überraschenden Dimension bei der Beteiligung der Mitglieder bei der Umfrage, wer soll Parteivorsitzender werden. 65 Prozent der Mitglieder haben mitgemacht. Und das hat uns alles gutgetan, was da in den letzten Wochen passiert ist.
Küpper: Friedrich Merz ist jetzt der dritte Parteivorsitzende in drei Jahren. Zuvor gab es sieben in über 70. Was muss Merz jetzt anders machen?
Wüst: Ich glaube, er wird deutlich länger Parteivorsitzender bleiben. Ob man es noch mal schafft in heutigen Zeiten, sieben in 70, weiß ich nicht. Aber ich glaube schon, dass Friedrich jetzt die Möglichkeit hat, auch in der Opposition, ein Stück weit die Partei wieder aufzubauen. Es ist halt so, wenn man lange regiert, dann geht die Aufmerksamkeit, geht auch das Engagement aller Beteiligten eher in Regierungshandeln, ist auch dort gefordert und gebunden. Es wäre ja merkwürdig gewesen, wenn Angela Merkel in all den Weltkrisen, die sie hat managen müssen, sich übermäßig viel für die Partei interessiert, oder wenn sie sich übermäßig darum gekümmert hätte. Hätten die Leute gesagt: Die Frau setzt die falschen Prioritäten. Nein, sie hat die richtigen Prioritäten gesetzt. Aber die Partei hat natürlich dann in langen Regierungszeiten auch immer Nachholbedarf an Programmatik, an struktureller Entwicklung. Da ist der eine oder andere Modernitätsschub angesagt. Und ich bin dankbar, schon in den ersten Wochen nach der Abstimmung, noch bevor Friedrich Merz gewählt ist, für sein Engagement. Er ist Tag und Nacht Parteivorsitzender. Ist jedenfalls meine Wahrnehmung aus vielen Telefonaten, die wir schon geführt haben. Das wird der Partei guttun.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.