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Meteorologie
Hitzewellen gefährden Atemwegskranke besonders stark

Herzleiden sind in Deutschland mit Abstand die Todesursache Nr. 1. Bei Hitzewellen sind aber Atemwegskranke - und vor allem Langzeitraucher - stärker gefährdet: Bei ihnen steigt die Zahl der Todesfälle dann schneller, wie eine retrospektive Studie des Deutschen Wetterdienstes zeigt.

Von Volker Mrasek | 23.03.2022
Symbolbild Hitzewelle, Thermometer in der Sonne, 40 Grad Celsius, Baden-Württemberg, Deutschland Hitzewelle *** Symbol i
Hitzewellen werden im Zuge des Klimawandels stark zunehmen (imago images/Michael Weber)
Herzerkrankungen sind die häufigste Todesursache in Deutschland. Über 330.000 Menschen sterben daran Jahr für Jahr. Die Zahl von Todesfällen durch chronische Atemwegsleiden ist deutlich kleiner: Sie beträgt nicht einmal ein Fünftel davon. Doch bei starken Hitzewellen muss man sich offenbar größere Sorgen um Atemwegspatienten machen.

Vorerkrankungen beeinflussen Sterberisiko unterschiedlich

Das lässt sich aus der neuen Studie des Deutschen Wetterdienstes ableiten. Es ist eine rückblickende Risikoabschätzung für die Jahre 2001 bis 2015. DWD-Klimatologe Stefan Muthers stellte die Ergebnisse heute auf der meteorologischen Fachtagung vor:

„Wir lernen aus der Studie, dass die Menschen nicht alle gleich reagieren auf Hitze, sondern dass je nach Vorerkrankung die Reaktion stärker oder auch weniger stark ausfallen kann. Also, die Todesfälle infolge von Atemwegserkrankungen nehmen während Hitzewellen deutlich stärker und schneller zu als Todesfälle infolge von Herzerkrankungen.“

Zwar erhöht sich die Zahl von Todesfällen demnach in beiden Gruppen stark, sobald eine Hitzewelle einsetzt und die Tagesmitteltemperatur 26 Grad Celsius übersteigt. Atemwegskranke trifft die Hitze aber härter:

„Also, von Anfang an, vom ersten Tag bis zum letzten Tag der Hitzewelle, ist es so, dass die Änderungen der Mortalität gegenüber dem, was man erwarten würde, bei den Atemwegserkrankungen ungefähr 50, 60 Prozent über denen der Herzerkrankungen liegen.“

COPD-Patienten sind am stärksten gefährdet

Menschen mit COPD, mit chronisch obstruktiver Lungenentzündung - sie stellen laut dem Klimatologen die größte Risikogruppe in Deutschland. An COPD erkranken vor allem Langzeit-Raucherinnen und Raucher. Ihnen droht bei sommerlichen Hitzewellen also die größte Gefahr:

„Ihr ganzer Organismus ist schon ziemlich stark damit beschäftigt, mit den Folgen der Krankheit zu kämpfen. Und die Hitze ist dann ein zusätzlicher Stressfaktor. Wenn dann nicht ausreichend getrunken wird, steigt entsprechend der Flüssigkeitsverlust. Das Blut verdickt sich, so dass dieser ganze Organismus immer weiter gefordert ist. Die Sauerstoffaufnahme wird verschlechtert während Hitzewellen. Und das alles zusammen kann dann eben dazu führen, dass Menschen, die sowieso schon stark unter chronischen Erkrankungen leiden, letztendlich daran versterben.“

Hitze verursacht die meisten Todesfälle aller Naturkatastrophen

Im vergangenen Juli forderte die Flutkatastrophe im Westen Deutschlands über 160 Tote. Solche Opferzahlen bei Hochwasser sind aber eine Ausnahme. Viel mehr Menschen kommen immer wieder durch Hitzewellen ums Leben. Im Rekordsommer 2003 habe es sogar fast 8.000 Todesfälle hierzulande gegeben, sagt Andreas Matzarikis. Er leitet das Zentrum für Medizinmeteorologische Forschung des DWD in Freiburg und wirkte an der neuen Studie mit:

„Wenn wir uns die Todesfälle anschauen, die wir durch Naturkatastrophen haben, sehen wir, dass es fast 93 Prozent aufgrund von Hitze ist.“

Gesundheitsprävention wird immer wichtiger

In Zukunft werden Hitzewellen noch intensiver und häufiger werden als jetzt schon. Umso wichtiger sei es, die Gesundheitsprävention zu verbessern, betont der Biometeorologe:

„Und jetzt gilt es, auf der Grundlage dieser Daten Anpassungsstrategien zu entwickeln. Man könnte zum Beispiel sagen: O.k., es kommt ‘ne Hitze, ist jedes Altenheim und sind die Apotheken und Ärzte entsprechend schon vorbereitet? Ein ganz wichtiger Punkt ist natürlich die Anpassung der Medikation. Der Körper - wenn’s heiß ist, reagiert der völlig anders. Und es kann dann sein, dass manche Medikamente vielleicht zu schwach sind oder vielleicht auch überdosiert sind.“
Und es sollten auch genügend Arzneimittel nicht nur für Herzkranke bereitgehalten werden, sondern auch für Patienten mit Atemwegsleiden, die offenbar noch stärker gefährdet sind. Solche Maßnahmen gehören in Hitze-Aktionspläne. In Frankreich sind sie stark verbreitet, in Deutschland dagegen noch nicht. Erst wenige Großstädte haben solche Pläne umgesetzt oder in ihre Klimaschutzstrategien integriert wie etwa Köln, Erfurt, Stuttgart und Freiburg. In der Summe aber sind es noch zu wenige:

„Wir wissen, was wir machen können. Und mit den Hitzeaktionsplänen oder mit einem gut funktionierenden Hitzewarnsystem kann man dazu schon einen Beitrag leisten, um die Auswirkungen in Deutschland zu minimieren.“