Mittwoch, 24. April 2024

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Erinnerungstag im deutschen Fußball
"Der Fußball kann ein großer Verstärker sein"

Auch der deutsche Fußball erinnert am 27. Januar an den Holocaust. Die Erinnerungsarbeit sei auf einem guten Weg, sagen Mirjam Heydorn vom Studienkreis Deutscher Widerstand und Eberhard Schulz von der Initiative "!Nie wieder". Doch das reiche nicht.

Mirjam Heydorn und Eberhard Schulz im Gespräch mit Matthias Friebe | 29.01.2023
Choreographie von Bayern-Fans gegen das Vergessen zum Gedenken an die Opfer des Holocaust.
Choreographie von Bayern-Fans gegen das Vergessen zum Gedenken an die Opfer des Holocaust. (imago images / imagebroker / imageBROKER / Michael Weber via www.imago-images.de)
Seit 19 Jahren erinnert der Fußball in Deutschland jährlich am 27. Januar an die Opfer des Nationalsozialismus. Nicht nur der aktuelle Bundesliga-Spieltag steht daher unter dem Motto Erinnerungstag, auch der Deutsche Fußball Bund richtet mehrere Veranstaltungen aus und setzt in diesem Jahr das Fokusthema "Frauen im Widerstand". Am Dienstag fand auf dem neuen DFB-Campus die Auftaktveranstaltung statt.
Anwesend war dort auch die Anwältin Mirjam Heydorn, Tochter von zwei Widerstandskämpfern und Vorstandsmitglied vom Studienkreis Deutscher Widerstand. Sie schreibt dem Fußball aufgrund seiner großen Medienöffentlichkeit für das Gedenken eine besondere Verantwortung zu.

Lernprozess im Fußball in fortgeschrittenem Stadium

Wenn bekannte Fußballer Stellung beziehen, habe das Auswirkungen, sagte sie im Dlf-Sportgespräch: "Das kann man vielleicht an Armbinden festmachen, die man trägt oder nicht trägt. Und vielleicht da die Zivilcourage zu haben und zu sagen: Ich mache das trotzdem, weil mir das wichtig ist und weil es wichtig ist für die Menschen, die davon betroffen sind."
Halten die Erinnerung hoch: Mirjam Heydorn vom Studienkreis Deutscher Widerstand und
Eberhard Schulz, Mitgründer der Initiative "Nie wieder".
Halten die Erinnerung hoch: Mirjam Heydorn vom Studienkreis Deutscher Widerstand und Eberhard Schulz, Mitgründer der Initiative "Nie wieder". (Matthias Friebe)
Eberhard Schulz, Sprecher und Mitgründer der Initiative "!Nie wieder", sieht den Lernprozess im Fußball mit Blick auf das Thema Gedenken mittlerweile in einem fortgeschrittenen Stadium. Das sei nicht immer so gewesen: "Mittlerweile gibt es eine starke Bereitschaft, sich auf dieses Geschehen einzulassen. Auch deswegen, weil die Fußballvereine 1933 ihre jüdischen, kommunistischen und SPD-Leute ja einfach rausgeschmissen haben. Ich denke, das ist verstanden worden," so Schulz im Dlf.
Schulz beobachtet außerdem, dass sich auch die aktiven Fanszenen immer mehr mit dem Thema auseinandersetzen. Das macht er nicht nur daran fest, dass zum Beispiel die Ultra-Gruppierung des FC Bayern München, die Schickeria, in jedem Jahr eine Choreografie für den Gedenk-Spieltag vorbereite.

Fanreisen zu Konzentrationslagern

Sondern auch daran, dass viele junge Fans gemeinsam Bildungsreisen zu Konzentrationslagern unternähmen. "Und weil der Fußball so eine Nähe zur Emotion hat, (…) ist er ein großer Verstärker und eine Chance, junge Leute für das Lernen aus der Geschichte im Sinne einer Erziehung nach Auschwitz zu gewinnen."
Für Mirjam Heydorn geht es beim Gedenken aber vor allem um Empathie. Und darum mitzuempfinden, was mit anderen Menschen passiert ist. "Ob man das nur durch Fahrten nach Auschwitz hinbekommen kann oder über den Fußball, da bin ich skeptisch. Weil das ja eigentlich was ist, was man viel früher lernt und was wirklich Teil von Erziehung und dem Großwerden prinzipiell sein muss."

"Junge Menschen sollen sich trauen den Mund aufmachen"

Lob für die Erinnerungs-Kampagne des deutschen Fußballs gibt es aber von beiden: "Die DFL zum Beispiel ist von Anfang an unter dem Dach von "!Nie wieder" unterwegs", sagt Eberhard Schulz: "DFL, DFB und die wichtigen Manager der Fußballvereine: Die waren immer bei "!Nie wieder" dabei. Und dass wir heute hier sind, finde ich stark."
Jeder, der sich mit dem Thema auseinadersetze, müsse erstmal positiv bewertet werden, pflichtet ihm Mirjam Heydorn bei: "Es geht erstmal darum Menschen, zu sensibilisieren. Und vor allem geht es auch darum, junge Menschen stark zu machen, dass sie selber Zivilcourage haben können und sich trauen können, den Mund aufzumachen." Und das schaffe man dadurch, dass die Erinnerung in die Gegenwart getragen werde. "Man braucht eine Haltung und Werte, die man nicht bereit ist aufzugeben."