Ausblick auf 2026
Neues Jahr, neue Fragen

Wie entwickelt sich die globale Ordnung und kann sich Europa darin behaupten? Wohin steuern die USA? Unter welchen Vorzeichen stehen die Landtagswahlen in Deutschland? Fragen, die 2026 relevant werden - und verschiedene Perspektiven dazu.

    Sonnenaufgang über der Erde
    Was bringt das Jahr 2026? Wir leben in einer Welt vieler ungelöster Probleme und offener Fragen. (picture alliance / Bildagentur-online / Tetra Images)
    Die Welt sortiert sich neu - und für westliche Demokratien könnte 2026 zu einem Jahr von grundlegenden Entscheidungen werden. Die veränderte globale Ordnung fordert die Europäische Union heraus, die US-Parlamentswahlen im November werden zeigen, wohin die Vereinigten Staaten politisch steuern, und in Deutschland stehen Landtagswahlen an, bei denen teils fraglich ist, ob die politische Mitte noch Mehrheiten bilden kann.

    Inhalt

    Ende der Pax Americana - und jetzt?

    Die Pax Americana, die Zeit amerikanischer Vorherrschaft, scheint Geschichte zu sein. Die Spielregeln der internationalen Politik werden neu geschrieben und noch scheint offen, was am Ende dabei herauskommt. Dabei werde die Ordnung der vergangenen Jahrzehnte ausgerecht von jener Weltmacht zerstört, die Europa bislang Schutz geboten und sich weltweit für die Verbreitung der liberalen Demokratie stark gemacht habe, sagt die Journalistin und Fernsehmoderatorin Anne Will.
    Klar ist: Die USA wollen nicht länger Europas Schutzmacht sein. Stattdessen richten sie ihren Blick wieder stärker nach innen und auf Nord- und Südamerika. Welche internationale Ordnung wird sich nach der Pax Americana etablieren? Wird die EU ihren Platz darin finden? Und wie wird sich das Verhältnis der Vereinigten Staaten zu anderen Akteuren entwickeln, etwa zu China und Russland? Für Tina Hildebrand, Co-Leiterin des Politikressorts der „Zeit“, werden diese Fragen das politische Jahr 2026 begleiten. 

    Business-Deals und neue Ideologien

    Der Jurist und Podcaster Ulf Buermeyer erkennt eine grundlegende Verschiebung der Paradigmen in den USA unter Trump. Diese wollten nicht mehr die friedliche Weltordnung sicherstellen, sondern "im Wesentlichen gute Deals". Statt auf globale Sicherheit setze der US-Präsident in erster Linie auf wirtschaftliche Vorteile.
    Robin Alexander, Journalist und Autor, argumentiert dagegen: Auch die Pax Americana sei für die Vereinigten Staaten ein „gutes Geschäft“ gewesen; die Abkehr vom „Erfolgsmodell“ lasse sich daher nicht allein durch eine kapitalistische Logik erklären. Es gehe um weit mehr als darum, gute Deals zu machen – nämlich um die Durchsetzung von Ideologie. „Darauf als Europäer eine Antwort zu finden, ist viel schwieriger, weil: Business-Deals kriegen wir auch hin.“ 
    Nach Einschätzung von Nadine Lindner, Journalistin im Deutschlandfunk-Haupstadtstudio, lassen sich diese beiden Erkläransätze - Trumps wirtschaftspolitische Interessen und die ideologiegetriebene "Make America Great Again"-Bewegung - zusammen denken. Hauptstadtstudio-Leiter Stephan Detjen fügt einen dritten Punkt hinzu: die Zerstörung all dessen, wofür Europa stehe.

    Angriff auf Europas Werte - wo steht die EU?

    Detjen ist überzeugt, dass Trump Europa schwächen will. Das zeige etwa die neue US-Sicherheitsstrategie, die sich gegen europäische Werte richte. "Deshalb ist es völlig richtig, wenn jetzt von europäischer Seite klar erkannt wird, dass die USA ein Gegner Europas sind.“ Er warnt davor, dass der US-Präsident mächtige Verbündete für seine Idee von einer globalen Ordnung findet, die vor allem von Machtinteressen getrieben wird.
    Europas Ideal einer Weltordnung, die auf Völkerrecht, Kooperation und gegenseitiger Anerkennung basiere, werde durch "Machtspiele" und scheindemokratische Systeme verdrängt, sagt Detjen. Internationale Politik sieht er zunehmend von autoritären und nationalistischen Dynamiken bestimmt. Die Frage sei: Wie kann sich Europa gegen die Angriffe auf offene Gesellschaften, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie wappnen?

    US-Zwischenwahlen - wohin steuern die USA?

    Auch innenpolitisch könnte sich in den USA im kommenden Jahr vieles verändern. Anfang November stehen Zwischenwahlen an. Alle 435 Sitze im Repräsentantenhaus und ein Drittel der Sitze im Senat werden neu besetzt. Die Midterms sind zentral für den künftigen Handlungsspielraum des Präsidenten. Wohin steuert das Land?
    Ulf Buermeyer sieht die USA im Jahr 2026 an einem Wendepunkt. Die Midterms entschieden darüber, ob der Trumpismus weiter gedeihen könne. „Momentan kann Trump quasi durchregieren.“ Der Umbau des politischen Systems hin zu einem Staat, in dem das Amt des Präsidenten übermächtig sei, schreite bislang ungebremst voran. Die Wahlen seien ausschlaggebend dafür, ob der Kongress wieder zu einem Gegengewicht werde. Entscheidend für den Ausgang ist Buermeyer zufolge, wie überzeugt die Menschen im Land noch von Trumps Wirtschaftspolitik sind und ob die Demokraten ihnen ein überzeugendes Gegenangebot machen können.

    Die politische Mitte in der Krise - was hilft?

    Auch auf der anderen Seite des Atlantiks werden Antworten auf den Populismus von rechts gesucht. Können die Parteien der Mitte noch Mehrheiten finden? Ulf Buermeyer ist überzeugt, dass positive Gegenentwürfe notwendig sind, um Populisten zu begegnen. Die Frage sei: Wie kann die Demokratie das Leben der Menschen besser machen?
    Ein Negativbeispiel ist wohl Frankreich. „Da hat man Leute ganz links und ganz rechts, die sich auf nichts einigen können, außer die Premierminister der Mitte kaputtzumachen und jede Reform zu verhindern“, sagt Robin Alexander. Auch Stephan Detjen sieht das parlamentarische System in Frankreich in der Krise und warnt vor den Folgen für Europa. Offen sei, ob sich nach dem Ende der zweiten Amtszeit von Präsident Emmanuel Macron wieder eine anschlussfähige Mitte formieren könne.
    Damit Deutschland in keine vergleichbare "Zwangslage" gerate, hält es Robin Alexander für zentral, dass die Bundesregierung Ergebnisse liefere, „die neues Vertrauen schaffen“. Noch gebe es schließlich Mehrheiten in der Mitte.

    Landtagswahlen - was ist zu erwarten?

    Ein Stimmungstest für die schwarz-rote Koalition dürften die Landtagswahlen 2026 werden. In fünf Bundesländern wird gewählt: Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin.
    Die Frage, ob die politische Mitte noch Mehrheiten bilden kann, wird sich nach Einschätzung von Nadine Lindner spätestens bei der Wahl in Sachsen-Anhalt am 6. September stellen. Umfragen sehen die AfD aktuell bei rund 40 Prozent, deutlich vor der CDU mit etwa 27 Prozent. Dahinter die Linke mit 11, SPD und BSW mit 6 Prozent.
    Was passiert, wenn es keine Mehrheitsbildung der Mitte gibt? Wird das Schicksal der Bundesregierung in einem ostdeutschen Bundesland entschieden? Anne Will ist überzeugt, dass eine Zusammenarbeit von CDU und AfD auf Landesebene einen "irrsinnigen Stress" in der CDU auslösen würde. Doch zerbrechen werde die Bundesregierung daran nicht.

    Rente und deutsche Soldaten in der Ukraine

    Aus Sicht von Nadine Lindner wird der Wahlkampf 2026 unter anderem vom Thema Rente geprägt (bis Mitte des Jahres soll eine Rentenkommission Vorschläge zur Reform der Alterssicherung vorlegen) sowie von der Frage nach einer deutschen Beteiligung an einer Friedenstruppe in der Ukraine.
    Die Parteien der Mitte stünden vor der Aufgabe, der Bevölkerung zu erklären, "dass es ein Beitrag zum Frieden ist, Bundeswehrsoldaten in die Ukraine zu schicken", sagt Robin Alexander. "Wir haben jetzt Akteure – nicht nur im Parlament, sondern auch in den Medien – die so destruktiv sind, dass sie diese Erklärung verhindern wollen."
    Ulf Buermeyer sieht die politische Aufgabe darin, den Menschen in Deutschland "wieder das gute Gefühl" zu geben, dass der Staat für sie da sei. Sie müssten sich wieder mehr mit dem Land identifizieren, sagt er - und wirbt dafür, "mehr Staat" zu wagen.

    Onlinetext: irs