Mittwoch, 24. April 2024

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München 1972
Journalisten Deininger und Ritzer blicken zurück auf die Olympischen Spiele

Die Geiselnahme bei den Olympischen Spielen in München 1972 hat sich ins kollektive Gedächtnis eingegraben. Denn diese Spiele sollten ein anderes Bild von Deutschland in die Welt tragen als das von 1936 - der Anschlag beschwor aber die alten Bilder herauf.

Von Moritz Küpper | 17.01.2022
Das Cover von Roman Deininger, Uwe Ritzer: „Die Spiele des Jahrhunderts. Olympia 1972, der Terror und das neue Deutschland“ vor der Eröffnungskulisse der Olympischen Spiele 1972 in München
Roman Deininger, Uwe Ritzer: „Die Spiele des Jahrhunderts. Olympia 1972, der Terror und das neue Deutschland“ (Cover dtv / Hintergrund (c) dpa/Rauchwetter)
Die Fernseh-Übertragung knistert, die – nun farbigen – Bilder aus dem sommerlichen München und die preiswertere Generation neuer Geräte, sie waren der Beginn der Ära des Farbfernsehens in Deutschland:
 „München, 26. August 1972, frühmorgens. In wenigen Stunden beginnt hier das größte Sportfest der Welt, ziehen unter diesem Dach Athleten von 122 Nationen ein.“
Die Olympischen Spiele 1972 in München – sie sollten ein einschneidendes Ereignis werden, ein einprägender Moment deutscher Geschichte, so sehen es zumindest die beiden Buch-Autoren, Uwe Ritzer und auch Roman Deininger:
„Die Spiele 1972 waren in so vieler Bewandtnis eigentlich positiv besetzt, bis es zu diesem Anschlag kam. Die junge Bundesrepublik hat sich als neues Deutschland präsentiert, als lockere Musterdemokratie. Und dann hat dieser Anschlag auf Juden auf deutschem Boden natürlich sofort wieder zurückverwiesen in die große Finsternis vor 1945. Also, das war so ein Moment, wo Vergangenheit und Zukunft dieses jungen Deutschland sich trafen und das wirkt bis heute nach, deswegen ist es bis heute relevant und interessant.“

Weltweite Terror-Erfahrung via TV

50 Jahre später nun, haben Ritzer und Deininger, beide Journalisten bei der Süddeutschen Zeitung, diese Spiele, den Weg dorthin, die Ereignisse selbst, aber auch deren Folgen, noch einmal nachgezeichnet: „Die Spiele des Jahrhunderts: Olympia 1972, der Terror und das neue Deutschland“, so heißt ihr Buch. Ritzer und Deininger sind ein eingespieltes Autoren-Duo, haben bereits eine vielbeachtete Biographie über den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder geschrieben. Nun also die Spiele von München, …
„Ich erkläre die die Olympischen Spiele München 1972 für eröffnet.“
…, die mehr waren, als einfach nur ein Sportereignis: Eine erst 16-jährige deutsche Jugendmeisterin wird im Hochsprung das unbeschwerte Gesicht dieses neuen Deutschlands…
„Aber Ulrike Meyfarth, krasse Außenseiterin, schafft 1,90 und versucht sich nun über 1,92.“
Schafft es, stellt einen Weltrekord auf, gewinnt Gold. Doch am elften Tag beginnt das Grauen:
„Es verspricht ein schöner, sonniger Tag zu werden. Um 4.40 Uhr haben Monteure gesehen, wie ein paar Männer mit großen Tragetaschen über den Zaun des Olympischen Dorfes kletterten. Sie halten sie für heimkehrende Sportler. Aber: Es sind palästinensischen Terroristen.“
Auf die unbeschwerte, fröhliche Zeit, auf das Bild eines neuen Deutschlands, fiel ein schwerer Schatten. Alle elf israelische Athleten, die als Geiseln genommen wurden, starben. Im Guten wie im Schlechten wurden die Spiele `72 so zu einer deutschen, gar einer weltweiten Kollektiv-Erfahrung, so Deininger:
„Der Tag des Attentats, das sich ja quasi durch die Live-Übertragung im Fernsehen vor den Augen der Welt entfaltet hat, dieses Kommen-Sehen des Unheils. Das war eine Kollektiv-Erfahrung, die für viele die Ankunft des internationalen Terrorismus signalisiert hat. Es gab vorher Terrorismus, aber die Wahrnehmung hat damit angefangen. Und das ist ein Ereignis, dass ich durchaus mit der einschneidenden Wirkung von 9/11 vergleichen würde.“
Die Anschläge auf die New Yorker Twin-Towers im Jahr 2001. Deininger und Ritzer haben ein dickes wie dichtes Buch geschrieben: Die acht Kapitel, zudem noch Pro- wie Epilog, verteilen sich auf rund 500 Seiten, ergänzt noch von zahlreichen Bildern aus dieser Zeit.

1936 war der Referenzpunkt für die Geschichte

„Wir haben versucht, uns inspirieren zu lassen von amerikanischen Historikern, die Geschichte weit aufsperren für ein breites Publikum. Ob uns das gelungen ist, ist wieder eine andere Frage, aber wir wollten Geschichte sehr ernsthaft und genau, aber gleichzeitig dramatisch und unterhaltsam erzählen. Deswegen ist das Buch auch im Präsens geschrieben.“
Und so erzählen die Autoren deutsche, aber auch olympische Geschichte:
„Bei der Arbeit sind wir schnell darauf gestoßen, dass die Geschichte dieser Spiele 1972 nicht vollständig wäre, wenn man sich nur beschränkt auf diese gut zwei Wochen im Spätsommer 1972, sondern dass man weiter ausgreifen muss und deswegen haben wir in den 30er Jahren begonnen, weil diese Spiele, die Hitler-Spiele 1936 von Berlin, der Referenz-Punkt waren, durch die man das, was 1972 versucht wurde, erst verstehen kann.“
Es sind einzelne Protagonisten wie beispielsweise der damalige Bundespräsident Gustav Heinemann, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, Avery Brundage, der Hockey-Spieler Carsten Keller oder die Leichtathletin Renate Meißner, anhand deren Lebenswegen die Autoren erzählen. Dazu gehören auch der deutsche Sportfunktionär Willi Daume sowie der junge Münchner Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel von der SPD:
„Alfons Goppel selbst hat seinen Parteichef Franz Josef Strauß an Bord geholt: Bayerns Wachstum, das ist das große Projekt der CSU, München ist der Motor dieses Wachstums. Und falls das Ganze schiefgeht, bleibt es doch am roten Oberbürgermeister hängen. Am 29. November 1965 fliegen Daume, Vogel, Brauchle und Goppel nach Bonn, wo Ludwig Erhard sie mittags bei Kaffee und Kuchen im Kanzlerbungalow empfängt. Der Bundeskanzler ist zunächst zurückhaltend, vielleicht auch, weil sein Kanzleramtschef Ludger Westrick ihn vorher gewarnt hat, dass die erste Kostenprognose von knapp 500 Millionen D-Mark nicht zu halten sein würde. Und war eine neue Sparsamkeit nicht das große Versprechen des Kanzlers? Zum Erstaunen aller Umsitzenden setzt Erhard sich nach zwei Stunden über Westricks Veto hinweg. Man könne ‚nicht immer Trübsal blasen und dem Volk Unerfreuliches verkünden‘, sagt er. Westrick zupft den Bundeskanzler in seiner Verzweifelung am Ärmel. Doch Erhard fährt fort: Die Leute bräuchten auch mal ‚gute Nachrichten‘. Olympische Spiele in Deutschland, das würde sehr schön seine These bekräftigen, dass die Nachkriegszeit vorbei sei.“
Sport, Politik, Gesellschaft, die Autoren verweben alles gekonnt miteinander und skizzieren so – ergänzt durch ein Personenregister sowie Quellen-Verzeichnis – ein deutsches Großereignis – aber vor allem einen prägenden Abschnitt deutscher Geschichte.
Roman Deininger, Uwe Ritzer: „Die Spiele des Jahrhunderts. Olympia 1972, der Terror und das neue Deutschland", dtv, 527 Seiten, 25 Euro.