Mai 1933, wenige Wochen nach der nationalsozialistischen Machtergreifung. Manuel Chaves Nogales reist durch ein Land, das ihn jeden Tag und bei jeder Begegnung befremdet. Der Reporter aus Madrid spricht kein Deutsch, aber er ist einer, der Eindrücke sammelt und sich sein Bild macht, ein hoch angesehener Profi – auch eine Sprachbarriere hält ihn nicht davon ab, Hintergründe auszuleuchten, Menschen zu begegnen und Zusammenhänge zu rekonstruieren.
Schwieriger wird es sein, das wird ihm schon bei der Einreise deutlich, die schroffe Distanz zu überbrücken, mit der die Deutschen ihm begegnen, ihren Bruch mit der Kultur zu erfassen und die zornige Entschlossenheit zu verstehen, die tief in den Alltag vordringt. Chaves Nogales braucht eine ganze Serie von Reportagen in der Tageszeitung „Ahora“, um seine Beobachtungen und Gespräche aus diesem fremden Land zusammenzufassen. Dann aber ist sein Urteil glasklar, und er spricht, was in einer Reportage unüblich ist, seine Leser direkt an:
„Denken Sie nur nicht, die Behauptung, dass Deutschland den Krieg wolle, sei eine ungerechtfertigte Unterstellung. Wenn Hitler heute in Deutschland regiert, so weil er seit zwölf Jahren den Krieg predigt. Seinen Triumph verdankt er mehr als allem anderen seiner offenen Haltung gegen die Pazifisten: ‚Pazifist` ist das schlimmste Schimpfwort, das man heute einem Deutschen an den Kopf werfen kann. Wer daran Zweifel hat, der wage es einmal auf einer Straße in Berlin.“
Die Militarisierung der Bevölkerung
Krieg in drei Jahren, folgert Chaves Nogales. Das wird sich als nicht ganz richtig erweisen, denn offiziell beginnt der Krieg erst sechs Jahre später. Aber ganz falsch ist es auch nicht, denn tatsächlich hat die Maschinerie der Zerstörung längst Fahrt aufgenommen. Der Reporter besucht ein Arbeitslager bei Berlin, aus dem wenige Jahre später eine Außenstelle des KZs Sachsenhausen wird, er macht heimlich Fotos von Bücherverbrennungen, beobachtet Kundgebungen und Aufmärsche und wundert sich über die entschlossene Härte, mit der die Deutschen zum Drill antreten und Gymnastik treiben. Dieses Volk, so schließt er, habe nicht einhunderttausend Soldaten, wie es im Vertrag von Versailles festgelegt worden war, sondern sechzig Millionen!
„Wir haben keine andere Wahl, als den Krieg zu beginnen.“ So zitiert Chaves Nogales aus den Gesprächen, die er im ganzen Land geführt hat. „Der Militarismus ist unser Ideal. Die Südländer tolerieren nicht, dass der Germane ein unabhängiger Militarist ist.“ Doch, doch, versichert der Reporter, es seien ganz normale Leute, die so denken und reden. Weil es ihnen genau so vorgebetet wird.
„Wir sind im Recht. Der Vertrag von Versailles entwaffnete Deutschland und sah dies als Auftakt einer umfassenden Abrüstung aller Mächte. Nur so haben wir zugestimmt. Da die übrigen Mächte nicht abgerüstet haben, haben wir das volle Recht, uns zu bewaffnen. Wenn unsere Stunde gekommen ist, werden wir auch für Ideale kämpfen, für ein Ideal religiöser, mystischer Dimension: ein Großdeutschland, das keine armselige Figur mehr abgeben wird.“
Ein Treffen mit Joseph Goebbels
Dann der Besuch bei Joseph Goebbels, dem Propagandaminister. Chaves Nogales hält ihn für den interessantesten Vertreter des neuen Deutschlands, ganz ausdrücklich noch vor Hitler. Dabei macht der Spanier keinen Hehl aus seiner spontanen Ablehnung: Goebbels zähle zur lächerlichen, grotesken Sorte Mensch, ein Mann mit einem Klumpfuß, eine Witzfigur vom Typ des gekränkten Irren, verbissen und unversöhnlich. Später, im Krieg, wird Goebbels ihn dafür auf seine Todeslisten setzen und jagen lassen. Zunächst aber nötigt er dem Besucher aus Spanien so etwas wie professionellen Respekt ab.
„Goebbels schrieb, wie er redete: klar, knapp, auf den Punkt. In ihm waltet dieselbe Kraft der Verführung und der Beherrschtheit, die in allen von einer einzigen Idee befallenen Büßern waltet, Robbespierre oder Lenin. Er ist seit seiner Geburt von dieser krachendharten Schale umgeben, die Sektierer auszeichnet, ein Befallener, dem sein Ideal befiehlt, den Vater an die Wand stellen und erschießen zu lassen, wenn er sich ihm in den Weg stellt.“
Drei Fragen, drei Antworten, keine Erläuterung, keine Nachfrage. Chaves Nogales akzeptiert die Bedingung, notgedrungen. Goebbels spult sein Programm routiniert ab, der Leser ahnt, wie sehr es den Reporter gedrängt haben muss, weiter in die Tiefe zu bohren, Details zu erfragen – und doch lässt der Plan der Nationalsozialisten am Ende des Gesprächs keinerlei Zweifel:
„Nun, da Hitler an die Macht gekommen ist, wird er seine Versprechungen von der Ausrottung der Juden wahrmachen. Man beachte, dass dieses Wort ‚Ausrottung‘ von ihm selbst stammt.“
Wie viele Täter und Mittäter haben sich später damit hinausgeredet, von alledem nichts gewusst zu haben! Der Spanier Manuel Chaves Nogales aber, der noch nicht mal Deutsch konnte, straft sie Lügen: Es stand alles genau so in der Zeitung. In der „Ahora“, am 21. Mai 1933.
Manuel Chaves Nogales: „Deutschland im Zeichen des Hakenkreuzes“, übersetzt von Frank Henseleit, Kupido Literaturverlag, 160 Seiten, 24,80 Euro.