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Tod von EU-Parlamentspräsident
Barley (SPD): „Sassoli war ein sehr verbindender Mensch“

Die Vizepräsidentin des Europaparlaments, Katharina Barley (SPD), hat den verstorbenen EU-Parlamentspräsidenten David Sassoli als einen sehr besonderen Menschen gewürdigt. Sassoli habe klare Überzeugungen gehabt. So habe er sich in Italien immer für einen menschlichen Umgang mit Flüchtlingen eingesetzt.

Katarina Barley im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
Der EU-Parlamentspräsident David Sassoli am 15. Dezember 2021.
Der EU-Parlamentspräsident David Sassoli verstarb in der Nacht zum 11. Januar 2022 in einem Krankenhaus (picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Julien Warnand)
EU-Parlamentspräsident David Sassoli ist im Alter von 65 Jahren verstorben. Sassoli war nach Angaben seines Sprechers seit mehr als zwei Wochen „wegen einer schweren Komplikation aufgrund einer Funktionsstörung des Immunsystems“ behandelt worden. Wie die Deutsche Presse-Agentur berichtet, befand sich der Parlamentspräsident bereits seit dem 26. Dezember in Behandlung. Alle Termine wurden demnach abgesagt.
Katarina Barley (SPD), Vizepräsidentin des Europaparlaments, sagte im Deutschlandfunk, der italienische Politiker sei ein „sehr besonderer Mensch, ein sehr humorvoller, sehr offener, sehr verbindender Mensch“ gewesen. Im Fall von Konflikten habe er sich immer um gemeinsame Lösungen bemüht – so habe er das Parlament geführt.
Auch habe sie Sassoli als Menschen mit klaren Überzeugungen erlebt, führte die SPD-Politikerin aus. In Italien habe er sich für einen menschlichen Umgang mit geflüchteten eingesetzt, was in Italien sehr heikel sei. Und wenn es im EU-Parlament zu Auseinandersetzungen mit Rechtspopulisten gekommen sei, „dann hat er sehr, sehr entschieden darauf reagiert.“

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Vieles werde von Sassoli bleiben, zeigte sich Barley überzeugt. Zum einen Reformen, die er angestoßen habe, „um das Parlament zu öffnen, lebendiger zu machen, noch näher an die Menschen zu bringen. Und seine humanitäre Grundeinstellung.“

Amtszeit lief aus

Sassoli gehörte der sozialdemokratischen Partei „Partito Democratico“ an. Er war seit der Europawahl 2019 Präsident des Europaparlaments. Gemäß einer Absprache der EU-Staats- und Regierungschefs lief seine Amtszeit diesen Monat zur Hälfte der Legislaturperiode aus, wie die Nachrichtenagentur AFP berichtet. Sassoli hatte bereits angekündigt, dass er nicht zur Wiederwahl antreten wollte. Nach Angaben des Parlaments sollten die Abgeordneten während der Plenarsitzung in Straßburg in der kommenden Woche seinen Nachfolger oder seine Nachfolgerin bestimmen. Als Favoritin für die Nachfolge gilt die Malteserin Roberta Metsola aus der christdemokratischen EVP-Fraktion. Sie ist bereits Vize-Präsidentin des Europaparlaments.
Sassoli wurde am 30. Mai 1956 in Florenz in der Toskana geboren. Nach dem Studium der Politikwissenschaft arbeitete er als Journalist, zunächst für Zeitungen und Nachrichtenagenturen und dann für den öffentlich-rechtlichen italienischen Rundfunk. Im Sender „Rai Uno“ präsentierte er die Abendnachrichten.

Dirk-Oliver Heckmann: Wie überraschend hat Sie diese Nachricht erreicht?
Katarina Barley: Ehrlich gesagt, nicht ganz so. David war im letzten Jahr schwerkrank, konnte relativ lange nur virtuell an Sitzungen teilnehmen. Er war dann wieder da, sah aber wirklich nicht gesund aus. Gestern haben wir eine E-Mail von Seiten des Parlaments bekommen, dass er seit 26. 12. Im Krankenhaus war, und so wie die Mail formuliert war, habe ich schon zu meiner Kollegin gesagt, das hört sich nicht gut an.

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Heckmann: Was war Sassoli für ein Mensch? Sie kannten ihn gut.
Barley: Ja, ein sehr besonderer Mensch, ein sehr humorvoller, sehr offener, sehr verbindender Mensch, der immer, wenn irgendwo Konflikte auftraten, was in so einem Betrieb natürlich oft passiert, sich um eine gemeinsame Lösung, eine einvernehmliche Lösung bemüht hat, auch ein Mensch mit sehr klaren Überzeugungen. Er hat in Italien sich immer für einen menschlichen Umgang mit Geflüchteten zum Beispiel eingesetzt, was ja dort ein sehr, sehr heikles Thema ist.
Heckmann: Wie nah waren Sie ihm?
Barley: Ja, nah! Wir sind aus derselben Partei. Ich war seine Stellvertreterin, eine von mehreren Stellvertreterinnen, und dadurch hatten wir sehr viel miteinander zu tun. Wir kamen auch gut miteinander klar. Es war immer ein bisschen schwierig mit der Verständigung, weil er doch am liebsten Italienisch sprach. Französisch, das ging gerade so noch, aber Englisch war nicht sein Ding und dadurch musste man oft mit einem Dolmetscher unterwegs sein. Aber wir hatten sehr viel miteinander zu tun.

"Man hat seine tiefen Überzeugungen für Demokratie gespürt"

Heckmann: Welcher Auftritt, welche Rede von Sassoli hat Sie besonders beeindruckt?
Barley: Ach, es sind so viele, weil wir haben zum Beispiel auch die Verleihung von Preisen, vom Sacharow-Preis etwa und seine Rede dort, beispielsweise als wir einen uigurischen Aktivisten geehrt haben. Immer dann, wenn es um grundsätzliche politische Fragen ging, dann ging mein Herz besonders auf, wenn er gesprochen hat, weil man da seine tiefen Überzeugungen für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Parlamentarismus gespürt hat.
Tod im Alter von 65 Jahren - EU-Parlamentspräsident David Sassoli verstorben
Heckmann: Frau Barley, Sie haben gerade gesagt, er war ein humorvoller, ein verbindender Mensch. Galt das in jeder Situation, denn er war ja durchaus auch jemand, der klare Worte sprechen konnte? Wie hat er das Parlament geführt?
Barley: Ja, das ist vielleicht auch etwas spezifisch Italienisches, habe ich hier in Brüssel festgestellt. Die italienischen Politiker hier macht aus, dass sie sehr leidenschaftlich und vehement und klar für ihre Positionen eintreten, aber gleichzeitig zum Beispiel innerhalb ihrer Landsmannschaft wirklich von ganz links bis ganz rechts zusammenhalten, wenn es darauf ankommt. Er war ganz klar und eindeutig in seinen politischen Positionen, aber trotzdem jemand, der dann auch immer versucht hat, die Leute wieder zusammenzubringen, und so hat er auch das Parlament geführt.
Heckmann: Wie ist er mit Rechtspopulisten, Rechtsextremisten umgegangen?
Barley: Sehr klar. Wenn entsprechende Vorkommnisse im Parlament waren, dann hat er sehr, sehr entschieden darauf reagiert. Es war allerdings so: Ich hatte mal persönlich das Problem, dass die polnischen PiS-Abgeordneten meinen Rücktritt verlangt haben mit einem verfälschten Zitat, und da hat er tatsächlich versucht, es zu einem Gespräch kommen zu lassen, dass man auch da erst mal versucht, das aufzuklären. Selbst in so einer, wirklich sehr zugespitzten Situation hat er noch versucht, mit seinen italienischen Verbindungen – einer der beiden Vorsitzenden dieser Gruppe der Fraktion ist ein Italiener – für eine Lösung zu sorgen.
Heckmann: Was hat Sie überrascht?
Barley: Überrascht? – Wie meinen Sie das?
Heckmann: Gab es irgendwelche Situationen, wo Sie dachten, aha, so habe ich Sassoli noch gar nicht kennengelernt?
Barley: Ja. Es war ja so, dass er gerne noch neuer Präsident für die zweite Hälfte dieser Amtszeit werden wollte, und die Konservativen haben das nicht unterstützt – aus bestimmten Gründen. Das will ich gar nicht als Vorwurf formulieren. Das hat ihn sehr, sehr getroffen, sehr persönlich getroffen. Da ist er doch ein-, zweimal in den Sitzungen auch emotional geworden. Das hat mich überrascht in geschlossenen Präsidiumssitzungen.

"Seine humanitäre Grundeinstellung wird bleiben"

Heckmann: Was bleibt von ihm?
Barley: Vieles. Er hat das Parlament geführt in dieser Corona-Zeit. Das hat extremste Herausforderungen an die Parlamentsverwaltung gestellt und die hat er exzellent gemeistert mit dem ganzen Team. Wir mussten ja auf Digital umstellen, inklusive Verdolmetschung. Versuchen Sie das mal. Das hat die Parlamentsverwaltung zum großen Teil selbst entwickelt, die Formate und auch Programme. Er hat Reformen angestoßen. Das werden wir jetzt fortführen müssen, um das Parlament zu öffnen, lebendiger zu machen, noch näher an die Menschen zu bringen. Und seine humanitäre Grundeinstellung, all das wird bleiben.
Sassoli steht vor einer blauen Wand mit dem Logo des EU-Parlaments und spricht in ein Mikrofon.
David Sassoli war ein Mensch mit klaren Überzeugungen, sagte Katarina Barley (AFP/JOHN THYS)
Heckmann: Wie geht es jetzt weiter?
Barley: Jetzt wird die erste stellvertretende Vizepräsidentin übernehmen, die erst vor relativ kurzer Zeit nachgerückt ist in diese Funktion, die jetzt ironischerweise auch die Kandidatin ist für seine Nachfolge. Nächste Woche sollte die ja gewählt werden, wird die gewählt. So geht es jetzt weiter, nächste Woche sind die Wahlen zur neuen Präsidentin, zum neuen Präsidenten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.