Freitag, 19. April 2024

Archiv

Bezahlbarer Wohnraum
Bauministerin Klara Geywitz will mehr Tempo beim Wohnungsbau

Bundesbauministerin Klara Geywitz will am Ziel festhalten, jährlich 400.000 neue Wohnungen zu schaffen, auch wenn es derzeit unrealistisch erscheint. Unter anderem seien Gelder für den sozialen Wohnungsbau deutlich aufgestockt worden.

Klara Geywitz im Gespräch mit Jasper Barenberg | 12.10.2022
Klara Geywitz (SPD), Bundesministerin für Bau und Wohnen, besucht das Pilotprojekt zur Aufstockung von Plattenbauten in Berlin-Buch. Die landeseigene Berliner Wohnungsbaugesellschaft Hogowe untersucht an zwei Standorten, inwieweit sich der Plattenbautyp WBS 70 für die Aufstockung von Bestandsgebäuden eignet.
Plattenbauten sollen aufgestockt und Bürogebäude umgewandelt werden, um schnell günstigen Wohnraum zu schaffen, sagte die Bauministerin Klara Geywitz im Dlf (picture alliance / dpa / Fabian Sommer)
Bauministerin Klara Geywitz (SPD) hat im Deutschlandfunk eingeräumt, dass die Bundesregierung ihr anvisiertes Ziel zum Bau von 400.000 neuen Wohnungen in diesem Jahr nicht erreichen wird. Die Veranwortung dafür trage aber die Vorgängerregierung. In den vergangenen Jahren sei unter der alten Bundesregierung viel zu wenig investiert worden, sagte Geywitz. "Deswegen muss hier Druck auf dem Kessel sein, damit wir endlich diese Schritte gehen, die komplette Digitalisierung vom Bauantrag, über die Planung bis hin zu natürlich neuer Technik auf unseren Baustellen."
Auch wenn sich die Bedingungen im Vergleich zu 2021, wo knapp über 290.000 Wohnungen fertig gestellt worden waren, noch einmal deutlich verschlechtert haben, wolle sie sich vom Ziel, jährlich 400.000 neue Wohnungen zu bauen, nicht verabschieden, auch weil die Nachfrage weiter ungebrochen hoch sei, sagte die SPD-Politikerin im Deutschlandfunk.

Aufstockung und Umwandlung von Bürogebäuden

Um 400.000 neue Wohnungen pro Jahr fertigzustellen, brauche es mehr Geschwindigkeit durch digitale Bauanträge und serielles Bauen mit Fertigteilen. Zudem wolle man bereits vorhandene Strukturen nutzen: etwa ungenutzte Büros zu Wohnungen umbauen und Plattenbauten in Ostdeutschland aufstocken.
Geywitz verwies dabei auf ein Pilotprojekt in Berlin-Buch zur Aufstockung von Plattenbauten, das vor kurzem eingeweiht worden ist. "Da wurden auf fünf Etagen noch mal drei Etagen draufgesetzt. Diese Häuser gibt es zu hunderten überall in Ostdeutschland und das ist ein Modell, was man ganz schnell auch duplizieren kann, weil wir brauchen Geschwindigkeit."

Sozialer Wohnungsbau soll massiv gefördert werden

Außerdem erwähnte sie die gestiegenen Mittel vom Bund für den sozialen Wohnungsbau. Hier stellt die Bundesregierung den Ländern bis zum Jahr 2026 insgesamt rund 14,5 Milliarden Euro zur Verfügung. Für 2022 sind zwei Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau vorgesehen.
Die Summe steigt schrittweise jedes Jahr um 500 Millionen Euro an und erreicht in den Jahren 2025 und 2026 je 3,5 Milliarden Euro. Sie erwarte daher erste Erfolge in den nächsten Jahren, auch wenn das Ziel von 100.000 fertiggestellten Sozialwohnungen dieses Jahr noch verfehlt werde.

"Bündnis für bezahlbaren Wohnraum" will Maßnahmen vorstellen

Am Mittwoch (12.10.2022) wird das "Bündnis für bezahlbaren Wohnraum" zusammen mit Bundeskanzler Olaf Scholz und Geywitz eine Reihe von Maßnahmen vorstellen, um Wohnen preiswerter zu machen und um den Wohnungsbau wieder anzukurbeln. An dem Bündnis sind Verbände aus der Bau- und Wohnungsbranche, Sozial- und Umweltverbände sowie Vertreter von Ländern, Städten und Kommunen beteiligt.
Die Baubranche hat in den letzten Monaten wegen enorm gestiegener Baukosten und Kreditzinsen zu kämpfen. Zudem kommt es wegen der Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg zu Lieferengpässen bei Baumaterialien, die Bauprojekte verzögern. Hinzu kommt der Fachkräftemängel. Auch die galoppierenden Energiepreise und eine hohe Inflationsrate setzen der Baubranche zu.

Redaktionell empfohlener externer Inhalt

Mit Aktivierung des Schalters (Blau) werden externe Inhalte angezeigt und personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt. Deutschlandradio hat darauf keinen Einfluss. Näheres dazu lesen Sie in unserer Datenschutzerklärung. Sie können die Anzeige und die damit verbundene Datenübermittlung mit dem Schalter (Grau) jederzeit wieder deaktivieren.


Das Interview in voller Länge:

Jasper Barenberg: Frau Geywitz, die Probleme türmen sich in einigermaßen beängstigender Höhe, möchte ich sagen. Ist jetzt schon klar, diese Zielmarke von 400.000 neuen Wohnungen im Jahr, das ist im Prinzip jetzt schon Makulatur?
Klara Geywitz: Es geht darum, dass wir die Kapazitäten ausweiten. Das heißt, dass Deutschland grundsätzlich in der Lage ist, überhaupt so viele Wohnungen herzustellen. Weil wenn wir das letzte Jahr sehen: Da hatten wir noch sehr günstige Bedingungen. Wir hatten keine Sanktionen gegen Russland. Wir hatten auch nicht in dem Maße Lieferkettenschwierigkeiten. Die Zinsen waren niedrig. Und trotz dieser guten Rahmenbedingungen haben wir es nicht geschafft, 300.000 Wohnungen zu bauen. Das heißt, unabhängig von diesen tagesaktuellen Problemen, die Sie im Vorbericht aufgelistet haben, haben wir überhaupt nicht die Kapazität in Deutschland für 400.000 Wohnungen, und da setzen wir an. Alles andere ist dann noch mal der tagesaktuelle Druck, der jetzt dazugekommen ist.
Berlin: Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) trägt bei einem Baustellenrundgang einen Bauhelm.
Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) (Paul Zinken/dpa)

"Es gibt eine ungebrochen hohe Nachfrage"

Barenberg: Nur, damit dass klar ist: Sie haben das Ziel formuliert im Koalitionsvertrag, 400.000 neue Wohnungen, 100.000 davon Sozialwohnungen, und für dieses Jahr müssen Sie heute schon sagen, dieses Jahr wird das jedenfalls nicht klappen.
Geywitz: Wir bekommen die genaue Fertigstellungszahl immer erst im nächsten Jahr im Mai. Aber Sie wissen, dass die Konditionen schlechter geworden sind im Vergleich zum Vorjahr, wo wir unter 300.000 Wohnungen fertig hatten. Gleichzeitig – und das ist der Grund, warum ich mich auch von dem Ziel nicht verabschiede – gibt es eine ungebrochen hohe Nachfrage. Wir haben über 840.000 Wohnungen im Bauüberhang. Das heißt, die sind genehmigt, aber noch nicht gebaut. Und natürlich steigt der Bedarf weiter durch die Menschen, die aus der Ukraine zum Beispiel zu uns gekommen sind. Deswegen musste dieses Bündnis sich gründen und wir haben einen ganzen Katalog an Maßnahmen ergriffen, wie wir schneller und kostendämpfend in Deutschland bauen können.
Barenberg: Darüber können wir auch gleich sprechen. Aber was taugt denn ein Ziel, wenn jetzt schon klar ist, dass es nicht erreichbar ist?
Geywitz: Wir haben in den letzten Jahren viele Sachen versäumt, zum Beispiel die komplette Digitalisierung, aber auch Angleichungen in den Bauordnungen der Länder, die uns jetzt in diese Situation gebracht haben, und natürlich wurde jahrelang viel zu wenig investiert für den sozialen Wohnungsbau. Deswegen muss hier Druck auf dem Kessel sein, damit wir endlich diese Schritte gehen, die komplette Digitalisierung vom Bauantrag über die Planung bis hin zu neuer Technik auf unseren Baustellen und auch serielle Vorproduktion, weil das ist eine Möglichkeit, um mit der gleichen Anzahl von Leuten auf der Baustelle mehr Wohnungen als bisher zu bauen.

"Da wurden auf fünf Etagen noch mal drei Etagen draufgesetzt"

Barenberg: Sie wollen die 400.000 Marke behalten, damit wenigstens ein Teil davon möglichst rasch realisiert werden kann?
Geywitz: Wir müssen alles dafür tun, dass wir zusätzliche Potenziale erschließen, und zwar schnell. Demzufolge haben wir gesagt, wir müssen das nehmen, was schon da ist, zum Beispiel nicht mehr benötigte Büroflächen, die man einfacher als bisher in Wohnungen umbauen kann, oder aber auch den Aufbau auf Dachgeschossen.
Ich war jetzt bei einem WBS70-Bau. Den kennen viele in Ostdeutschland, ein ganz typischer Plattenbau. Da wurden auf fünf Etagen noch mal drei Etagen draufgesetzt. Diese Häuser gibt es zu hunderten überall in Ostdeutschland und das ist ein Modell, was man ganz schnell auch duplizieren kann, weil wir brauchen Geschwindigkeit.
Barenberg: Wieviel trägt die Bundesregierung zur Geschwindigkeit bei? Oder anders gefragt: Wie sehr verlangsamt sie das, was an Potenzial da ist, wenn wir gelernt haben in diesem Jahr, dass gleich zwei Förderprogramme des Bundes ziemlich abrupt ausgelaufen sind, abgebrochen wurden und ein Topf für ein drittes Förderprogramm jetzt schon offenbar zur Hälfte leer ist?
Geywitz: Wichtig ist, dass wir präzise fördern. Das ist nämlich das Geld von Ihnen und allen anderen Steuerzahlern. Wir hatten von der alten Regierung eine BEG-Förderung geerbt, die war ein bisschen absurd. Das heißt, man hat sowohl für Gebäude zum Wohnen als auch für Mischgebäude Geld bekommen. Man hat den gleichen Betrag Geld bekommen, ob man eine kleine oder eine große Wohnung gebaut hat, und den gleichen Betrag, ob man eine sehr teure Wohnung gebaut hat oder eine, die dann preiswert war. Das war keine sinnvolle Förderkulisse.
Deswegen haben wir jetzt zum Beispiel gesagt, wir erhöhen extrem, 14,5 Milliarden, die Mittel für den sozialen Wohnungsbau, und das hat dann auch den Effekt, dass die Mieter davon profitieren und nicht nur die Bauherren. Die Mieter profitieren, indem sie niedrige Mieten anschließend haben.

Zuschüsse für sozialen Wohnungsbau sollen steigen

Barenberg: Sie erhöhen die Mittel für den sozialen Wohnungsbau, sagen Sie. Wir müssen aber auch zur Kenntnis nehmen, dass wiederum im Moment weniger Sozialwohnungen gebaut wurden, fertiggestellt wurden als in der Vergangenheit, und dass insgesamt immer mehr Sozialwohnungen aus der Förderung fallen und deswegen der Bestand immer weiter sinkt. Wie wollen Sie da den Trend umkehren?
Geywitz: Sie müssen bedenken, dass der Baubereich ein langsamer ist. Die Zahlen, die Sie jetzt nennen, die niedrigen Zahlen, die sind vom letzten Jahr. Das ist das letzte Jahr der Regierung von Bundesbauminister Horst Seehofer, um ihn noch mal in Erinnerung zu bringen, und da hatten wir sehr niedrige Zuschüsse für den sozialen Wohnungsbau.
Dieses Jahr haben wir erstmalig deutlich aufgestockt und wir erhöhen dieses Geld jedes Jahr um 500 Millionen. Demzufolge wird man erst in den nächsten Jahren sehen, dass die Kurve, die jetzt sinkt bei den Sozialwohnungen, wieder nach oben geht. Erste Bundesländer sind soweit, dass die Anzahl der Sozialwohnungen steigt, und viele Länder – und da freue ich mich sehr – haben jetzt ihre Förderkonditionen für den sozialen Wohnungsbau erhöht und wir haben uns im Bündnis mit den Ländern verständigt, dass das Geld des Bundes, die Rekordsumme 14,5 Milliarden, von den Ländern kofinanziert wird, und zwar auskömmlich.
Barenberg: Das heißt, die Länder müssen mit ins Boot, und Sie sagen uns heute Morgen, Sie haben die Länder auch im Boot, dass wir bald schon merken werden, dass es deutlich mehr Sozialwohnungen gibt?
Geywitz: Ja. Vier Länder waren ja Mitglied im Bündnis, haben an den Vorschlägen ganz intensiv mitgearbeitet. Die Länder sind ja zuständig für den sozialen Wohnungsbau, aber auch für die Bauordnung. Und wir werden das auch mit der kompletten Bauministerkonferenz nachzeichnen.

"Wer jetzt billig baut, der baut zweimal"

Barenberg: Wir haben über die großen Probleme schon gesprochen, diese Ziele überhaupt zu erreichen. Jetzt kommt ein weiteres möglicherweise dazu, weil Sie sagen oder vorgegeben haben, es soll bezahlbarer Wohnraum sein, aber auch klimatechnisch auf dem neuesten Stand. Da sagen viele Fachleute, beides zusammen ist schlichtweg nicht zu haben, da müssen die Anforderungen verringert werden, runtergestuft werden, sonst ist dieses Ziel überhaupt nicht annäherungsweise nur zu erreichen. Was antworten Sie?
Geywitz: Das ist zu kurz gesprungen. Wenn man im Jahr 2022 angesichts des Klimawandels einen schlechten energetischen Neubau hinstellt, dann ist man garantiert in der Situation, dass man das in 10 oder 15 Jahren anpassen muss – erstens, weil die Nebenkosten extrem in die Höhe gegangen sind, und zweitens, weil es im Sommer unglaublich heiß sein wird. Jeder private Immobilienbesitzer, Hausbesitzer, der ist doch jetzt schon dabei zu überlegen, was kann ich denn noch machen mit Dämmung, mit besseren Thermostaten, mit Einzelmaßnahmen, um meinen Energiebedarf zu senken, und das kann ich auch nur jedem raten. Wer jetzt billig baut, der baut zweimal.

"Die Wohnungen werden gebraucht"

Barenberg: Jetzt gibt es von diesem Bündnis schon die Ansage, sage ich mal, dass die Vereinbarungen verbindlich geleistet werden von allen Partnern, die da im Boot sind. Was haben Sie in der Hand, um diesen Druck aufrechtzuerhalten? Im Grunde genommen sind das ja nur Versprechen und Sie können sie nicht durchsetzen, oder sehe ich das falsch?
Geywitz: Wir sind in einem föderalen Land. Das heißt, die Länder sind zuständig für die Bauordnung. Der Bund ist zuständig für die Förderung. Ganz viele, zum Beispiel das Studentenwerk hat sich selbstverpflichtet, mehr Studierendenwohnungen zu bauen. Wir unterstützen das mit einem extra Programm, 500 Millionen Euro für Auszubildendenwohnheime und für Studierendenwohnheime.
Wichtig ist, dieses Bündnis ist ein Arbeitsbündnis. Das heißt, wir stellen heute die Maßnahmen vor und dann gibt es jedes Jahr einen Bündnistag, wo wir resümieren, was ist im letzten Jahr passiert, wo müssen wir nachsteuern und wo ist noch Arbeit zu tun, so dass das sehr, sehr verbindlich auch in der Umsetzung wird, weil die Wohnungen werden gebraucht.
Barenberg: Wann werden wir dort die Erfolge erkennen können?
Geywitz: Wir kriegen jedes Jahr im Mai die Fertigstellungsstatistik für das Vorjahr und wir sind auch jetzt in einem Umfeld, wo sehr viel Bewegung drin ist. Wir werden neue Fördermöglichkeiten ab nächstem Jahr haben, sowohl für Mehrfamilienbauten, aber auch für Familien, die sich ein Haus bauen wollen, wird es eine Möglichkeit geben, hier auch mit preiswerten Konditionen selber Eigentum zu erwerben. Und wir haben das erste Mal jetzt überhaupt ein Programm zur Neugründung von Genossenschaften gestartet, weil das gerade auch in Städten eine Möglichkeit ist, Eigentum zu erwerben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.