Montag, 29. April 2024

Klimaklagen
Wenn Zivilpersonen für den Klimaschutz vor Gericht ziehen

Rentnerinnen, junge Leute oder Landwirte reichen immer häufiger Klage vor Gericht ein. Sie wollen Regierungen und Konzerne dazu zwingen, mehr für den Klimaschutz zu tun. Immer öfter geben die Gerichte ihnen recht. Erstmals wurde ein Land verurteilt.

09.04.2024
    Die Schweizer Klimaseniorinnen sitzen mit Plakaten vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
    Die Schweizer Klimaseniorinnen haben vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einen historischen Erfolg erzielt: Das Gericht befand, dass die Schweiz durch mangelnden Klimaschutz Menschenrechte verletzt hat. (picture alliance / KEYSTONE / JEAN-CHRISTOPHE BOTT)
    Seit 2020 hat sich die Zahl der Klimaklagen vervierfacht – insgesamt stieg sie nach Angaben von US-Forschern Ende 2023 weltweit auf 2.500 an. Einzelpersonen klagen gegen Regierungen, die in ihren Augen viel zu wenig für den Klimaschutz tun - und gegen Unternehmen, die zu viel CO2 ausstoßen.
    Doch nur ein Bruchteil der eingereichten Klagen schafft es tatsächlich bis vor das Gericht. Darum gibt es bislang nur wenig etablierte Rechtsprechung zum Klimawandel. Initiiert und unterstützt werden die Klagen häufig von Umweltschutz-Organisationen. Wir stellen einige Beispiele vor.

    Inhalt

    Sechs gegen 32: Junge Portugiesen klagen für Klimaschutz

    Am 27. September hatte vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg der Prozess begonnen, den sechs Portugiesen im Alter von 11 bis 24 gegen 32 Staaten angestrengt haben. Unterstützt werden sie dabei von der Nichtregierungsorganisation Global Legal Action Network (GLAN).
    Die sechs jungen Portugiesen hatten sich nach den Waldbränden in Zentralportugal nach einer Hitzewelle im Juni 2017 zusammengetan. 100 Menschen starben, riesige Flächen Wald wurden zerstört. Bei diesen jungen Portugiesen war das der Moment, als sie erkannten, dass sie etwas gegen den Klimawandel tun müssen. Sie reichten beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg Klage gegen 32 Staaten ein, die ihrer Meinung nach nicht an die im Pariser Klimaabkommen getroffenen Ziele zur Eindämmung der Erderwärmung halten und entsprechende Maßnahmen ergreifen.
    Die jungen Kläger sehen wegen mangelnden Klimaschutzes drei ihrer Rechte verletzt, die in der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte verbrieften sind: das Recht auf Leben (Artikel 2), das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Artikel 8) sowie das Diskriminierungsverbot (Artikel 14).

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    Es war das erste Mal, dass sich der EGMR so explizit mit dem Klimawandel befasst hat. Allerdings wurde die Klage im April 2024 abgewiesen: Die Jugendlichen hätten sich unter anderem zuerst in Portugal durch die Instanzen klagen müssen, bevor sie den Gerichtshof in Straßburg anrufen. Auch ein ehemaliger Bürgermeister einer französischen Küstenstadt scheiterte mit seiner Klage vor dem EGMR. Er wirft der französischen Regierung vor, zu wenig zu tun, um eine mögliche Überflutung seiner Stadt zu verhindern.

    Die Klimaseniorinnen und die besondere Gefährdung älterer Frauen

    In einem wegweisenden Urteil im April 2024 entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte nun (09.04.2024) zugunsten einer Gruppe älterer Schweizerinnen. Diese hatten ihre Regierung beschuldigt, durch unzureichenden Klimaschutz ihre Menschenrechte zu verletzen. Es war das erste Mal, dass ein Land wegen mangelnden Engagements im Klimaschutz verurteilt wurde. Der Umweltverband WWF nannte das Urteil einen "Weckruf für Regierungen, die bisher nicht ausreichend gehandelt haben".

    Grundrechte und die persönliche Betroffenheit

    Nach Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gehören Frauen über 75 zu den besonders vulnerablen Gruppen. In der extremen Hitzewelle im Sommer 2022 seien überproportional viele Frauen über 75 gestorben, sagt Rosmarie Wydler-Wälti, Co-Präsidentin der Schweizer Klimaseniorinnen. Damit sind sie in ihren Grundrechten besonders beeinträchtigt, machen die Klimaseniorinnen geltend.
    Wenn es um die Grundrechte geht, dann gilt: Die Kläger müssen persönlich betroffen sein, sie können also nicht stellvertretend für andere klagen. Darum können nur sie diese Klage führen, auch wenn es ihnen nicht nur um sich selbst, sondern auch etwa um Generationengerechtigkeit geht, so Wydler-Wälti. Klagen der Aktivistinnen vor Schweizer Gerichten waren 2016 und 2017 abgelehnt worden.
    Die Klimaseniorinnen wollen laut eigener Aussage erreichen, dass die Emissionsziele ihres Landes verschärft werden. Außerdem fordern sie auch „eine unabhängige gerichtliche Prüfung der Klimapolitik“. Unterstützt werden sie dabei von der Umweltorganisation Greenpeace.
    Die Schweiz habe ihren CO2-Ausstoß zum großen Teil ins Ausland verlegt, durch eine Vielzahl an Importen, aber auch, weil viele Banken, Rohstoffe und Großkonzerne über die Schweiz liefen. „Das müssen wir auch mit einbeziehen, das müssen wir auch mit verantworten“, fordert die Co-Chefin der Schweizer Klimaseniorinnen.

    Historisches Urteil in Montana und das Recht auf eine gesunde Umwelt

    Am 14. August 2023 hatten Hauptklägerin Rikki Held und 15 weitere jugendliche Klägerinnen im US-Bundesstaat Montana ebenfalls allen Grund zur Freude. Das Gericht urteilte, dass Montana ihr Verfassungsrecht auf eine saubere und gesunde Umwelt verletzt habe. Künftig müssen Behörden des Bundesstaats möglicherweise die Folgen für das Klima prüfen, bevor sie ihre Zustimmung zu Erdöl- oder Erdgasprojekten geben.
    Junge Klimaaktivistinnen im US-Bundesstaat Montana erzielen vor Gericht einen Erfolg (Our Children's Trust)
    Junge Klimaaktivistinnen im US-Bundesstaat Montana erzielen am 14.8.2023 vor Gericht einen Erfolg (AFP PHOTO / Robin Loznak/Courtesy of Our Children's Trust)
    In dem Prozess „Held vs. Montana“ hatten die 16 Klägerinnen und Kläger im Alter von 5 bis 22 Jahren Montana vorgeworfen, ihnen sei durch die "gefährlichen Auswirkungen fossiler Energien und die Klimakrise" Schaden zugefügt worden. Repräsentiert wurden sie vor Gericht durch Our Children’s Trust, einem gemeinnützigen Verein. Mithilfe von Gutachten versuchten sie zu beweisen, dass die Erderwärmung eine direkte Folge von Treibhausgasemissionen ist.
    Montana ist einer der wenigen Bundesstaaten, die das Recht auf saubere Umwelt für heutige und künftige Generationen in der Verfassung verankert haben. Gleichzeitig bezieht der Bundesstaat nach Aussagen der New York Times ein Drittel seiner Energie aus fossiler Energie. Klägerin Taleah Hernandez sagte, sie habe den Eindruck, der Bundesstaat stelle Profit über das Wohlergehen der Menschen, „obwohl sie genau wissen, dass es sichtbare Schäden gibt für das Land und die Menschen“.

    Klägerin Rikki Held: Vieh ist wegen der Dürre gestorben

    Hauptklägerin Rikki Held, deren Familie eine Ranch in Montana betreibt, sagte vor Gericht aus, dass Waldbrände, extreme Temperaturen und Dürre die Existenzgrundlage und das Wohlergehen ihrer Familie gefährde. Sie erinnere sich an Waldbrände, bei denen Stromkabel über Dutzende Kilometer hinweg verbrannt seien, "so dass wir einen Monat lang keinen Strom hatten".
    Den jugendlichen Klägerinnen und Klägern, die laut dem US-Fernsehsender CNN auf Viehfarmen, in Reservaten und in aufstrebenden Industriestädten in ganz Montana aufwachsen, ging es nicht um eine finanzielle Entschädigung, sondern stattdessen um eine Erklärung, dass ihre Rechte verletzt wurden. Ihr Erfolg ist kein Schnellschuss – siebenmal waren die Klimaaktivisten laut dem juristischen Vertreter von Our Children's Trust zuvor mit Gerichtsanträgen gescheitert.

    Klimawissenschaftler im Kreuzverhör

    Der Klimajurist Michael Gerrard von der Columbia Universität nannte das Urteil im US-Nachrichtensender NPR „einen Wendepunkt“. Erst zum zweiten Mal seien Klimawissenschaftler im Zeugenstand ins Kreuzverhör genommen worden, so Gerrard.
    Das Urteil habe Signalwirkung, weitere Klimaklagen in anderen Bundesstaaten würden folgen, zeigte sich auch Our Children’s Trust nach einem Bericht der New York Times sicher. Experten teilen diese Einschätzung, dass nun ähnliche Klagen in anderen Bundesstaaten folgen werden. Allerdings nannte Sprecherin des Generalstaatsanwalts von Montana das Urteil „absurd“ und kündigte an, in Berufung zu gehen. Das dürfte die Klimaaktivisten von Montana aber nicht schrecken.

    Junge Leute und das Recht auf Generationengerechtigkeit

    Die Agrarstudentin Sophie Backsen von der Insel Pellworm und Luisa Neubauer von Fridays for Future zeigten sich am 29. April 2021 erleichtert und glücklich. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe bewertete das Klimaschutzgesetz in Teilen als verfassungswidrig - es müsse nachgebessert werden.

    Epochales Urteil in Karlsruhe

    Die Klagenden würden durch die gesetzlichen Regelungen in ihren Freiheitsrechten verletzt, urteilte Karlsruhe. "Die Vorschriften verschieben hohe Emissionsminderungslasten unumkehrbar auf Zeiträume nach 2030," so die Richterinnen und Richter. Den Anstieg der Erderwärmung auf möglichst 1,5 Grad zu begrenzen, sei dann nur mit immer dringenderen und kurzfristigeren Maßnahmen machbar. Im Gesetz fehlten ausreichende Vorgaben, wie genau die Treibhausgasemissionen ab dem Jahr 2031 gemindert werden sollen, so das oberste deutsche Gericht. Bis Ende 2022 müsse bei den Reduktionszielen nachgebessert werden.
    Backsen und Neubauer gehörten zu einer großen Gruppe vorwiegend junger Klägerinnen und Klägern aus dem In- und Ausland. Unterstützt wurden diese von Greenpeace und von weiteren großen Umweltschutzorganisationen wie BUND, Germanwatch und der Deutschen Umwelthilfe, dem Solarenergie-Förderverein Deutschland und Protect the Planet unterstützt.
    Organisation dürfen in Deutschland nicht selbst klagen, sondern nur Menschen, die unmittelbar in eigenen Grundrechten betroffen sind. In den Niederlanden ist das anders, dort hatte 2019 die Umweltschutzorganisation Urgenda erfolgreich geklagt – mit dem Ergebnis, dass das Tempolimit auf Autobahnen verschärft und der Kohleausstieg beschleunigt wurde.
    Sophie Backsens Famile war neben zwei anderen Familien von der Umweltschutzorganisation Greenpeace angesprochen worden, ob sie sich an der Klimaklage beteiligen würde. Backsen studierte zu der Zeit Agrarwissenschaft und will später vielleicht den Biohof ihrer Eltern auf der nordfriesischen Insel Pellworm übernehmen. Pellworm liegt schon jetzt teilweise unter dem Meeresspiegel. Dort vernünftig Landwirtschaft zu betreiben, wird künftig immer komplizierter, sagte Sophie Backsen. Sie will ein Recht auf Zukunft, hatte Sophie Backsen argumentiert.

    Kleinbauer aus Peru - Klagen gegen die Industrie

    Als der peruanische Bergführer und Kleinbauer Saul Luciano Lliuya am 23. September 2018 mit dem Kasseler Bürgerpreis ausgezeichnet wurde, gratulierte ihm Claudia Kemfert, Energieexpertin vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) nach Angaben der Umweltorganisation Germanwatch dazu, „schon jetzt Rechtsgeschichte geschrieben zu haben“.
    2015 hatte der peruanische Bauer eine Klimaklage gegen den Energiekonzern RWE am Landgericht Essen eingereicht, weil das Schmelzwasser des Gletschers sein Dorf und sein Haus bedroht. Das Verfahren hatte weltweit für Aufmerksamkeit gesorgt. Bis dahin hatte noch nie ein einzelner Mensch in einem zivilrechtlichen Verfahren einen Konzern wegen des Klimawandels vor Gericht gebracht. Unterstützt wird der Bergbauer von der Umweltorganisation Germanwatch.
    Der Kläger Lliuya verlangte, dass der Essener Konzern 0,47 Prozent der Kosten für Schutzmaßnahmen für sein Haus und Dorf übernimmt, weil er als größter Emittent Europas mitverantwortlich für die Folgen des Klimawandels durch die produzierten CO2-Emissionen ist.
    In Essen wurde die Klage in erster Instanz zwar abgewiesen, die Klimaschützer setzten aber ihre Hoffnungen in die Rechtsmittelinstanz – in das Oberlandesgericht in Hamm. Dieses gab dem Kläger in zweiter Instanz Recht.
    Das Gericht ordnete auch eine Beweisaufnahme in Peru an. Nachdem sich der Ortstermin in Huaraz durch die Corona-Pandemie zunächst verzögert hatte, trafen zwei Richter des Oberlandgerichts Hamm (OLG), Rechtsvertreter beider Parteien und Sachverständige im Mai 2022 zum Ortstermin in der Andenstadt Huarez ein. Sie sollten überprüfen, ob das Haus von Saul Luciano Lliuya tatsächlich vor einer möglichen Flutwelle des oberhalb der Stadt liegenden Gletschersees Palcacocha bedroht ist. Bereits am 5. Februar 2019 war eine Eislawine in den Gletschersee gestürzt und hatte meterhohe Wellen ausgelöst.
    Die Kosten für die Reise nach Peru bezifferte das OLG Hamm nach Angaben des Wochenmagazins "Die Zeit" auf 320.000 Euro. Der Kläger musste die Summe vorstrecken. Mit dem Urteil wird das Gericht entscheiden, wer die Kosten am Ende tragen muss.

    Nächste Verhandlungsrunde am OLG Hamm verzögert sich

    Das Gutachten über die Gefahrenlage sollte zunächst bis Ende 2022 vorliegen, dann bis Sommer 2023. Die Anwältin des Klägers, Dr. Roda Verheyen, zeigte sich nach Angaben von Germanwatch enttäuscht: „Es ist schwer verständlich, dass bald ein Jahr nach dem Ortstermin noch kein Gutachten vorliegt.“ Infolge der Verzögerung schiebt sich auch der nächste Verhandlungstermin am OLG Hamm nach hinten.

    Fazit: Was bringen Klimaklagen?

    Zusammengefasst lässt sich sagen: Klimaklagen können Klimapolitik zwar nicht ersetzen, sie aber vorantreiben. Sie stoßen gesellschaftliche Debatten an und üben somit Druck sowohl auf Regierungen als auch auf Unternehmen aus. Indirekt nehmen sie damit also sehr wohl Einfluss auf den Klimaschutz.
    Die Zahl sogenannter Strategischer Klagen hat in den letzten Jahren nicht nur im Klimaschutz, sondern auch in vielen anderen Rechtsgebieten zugenommen. Bürger- und Menschenrechtsorganisationen nutzen dieses Instrument, um auf gerichtlichem Weg ihren Anliegen Nachdruck zu verleihen. 

    Die Geschichten der Kläger und Betroffenen erzählen

    Befürworter sagen, die politische Debatte werde dadurch bereichert und das Rechtsbewusstsein insgesamt gestärkt. Für Caroline Schroeder von der Umweltorganisation Germanwatch zählt aber noch etwas anderes:
    Klimaklagen geben der Problematik des Klimawandels ein Gesicht, die über die rechtliche Bedeutung weit hinausgeht. Es gehe auch darum, „diese Geschichten zu erzählen, von diesen Klägern, aus ihrem Alltag: Inwieweit sind die betroffen? Was macht die Klimakrise eigentlich? Was hat das mit den Grundrechten zu tun?“

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