Kommentar zur Berlinale
Kein grundsätzliches Antisemitismusproblem

Äußerungen im Rahmen der Berlinale haben für Empörung gesorgt. Dabei hat die Kultur in Deutschland kein grundsätzliches Antisemitismusproblem, kommentiert Stefan Koldehoff. Viele Museen und Theater bezögen klar Position für das Existenzrecht Israels.

Ein Kommentar von Stefan Koldehoff |
Das Berlinale-Logo ist bei einer Pressekonferenz zu sehen
Die kritiklos übernommene Behauptung, in Palästina finde ein Genozid statt, habe ebenso wenig auf einer Kulturveranstaltung verloren wie die antisemitische Parole „from the river to the sea“, meint Stefan Koldehoff. (picture alliance / abaca / Marechal Aurore / ABACA)
Wenn wir hier internationale Ereignisse wie die Documenta oder die Berlinale veranstalten, holen wir damit auch Positionen nach Deutschland, die jenen, die in diesem Land jahrzehntelang Konsens waren, häufig diametral entgegenstehen.
Dazu gehören stark antikolonialistische Positionen. Aber eben auch antisemitischer Hass auf das ebenfalls als Kolonialmacht angesehene Israel, zum Teil bewusst und mit rüden künstlerischen Mitteln umgesetzt, über deren Legitimität – und übrigens auch Originalität – man streiten darf und muss.
Diese Rolle hat in einer liberalen demokratischen Gesellschaft aber die Kritik und nicht der Staat. Deshalb ist es falsch, für die gestrigen Ereignisse Claudia Roth die ganze Verantwortung zuzuschieben. Was hätte die Kultur-Staatsministerin konkret im Berlinale-Palast tun sollen: aufspringen, der Moderatorin das Mikrofon entreißen – und so der Weltöffentlichkeit deutlich machen, dass in Deutschland der Staat über die Grenzen der Kunstfreiheit entscheidet?
Claudia Roth hat in ihrer Erklärung klar Position bezogen – wie auch der der Deutsche Kulturrat, der noch einmal betont hat: „Antisemitismus im Kulturbereich muss bekämpft werden.“

Polemik hilft auch nicht weiter

Die Kultur in Deutschland hat kein grundsätzliches Antisemitismusproblem. Überall in Museen und Kunsthallen und Theatern und auf Festivals gibt es Ausstellungen, Aufführungen und Veranstaltungen, die ganz klar Position beziehen: für die jüdischen Menschen und für das Existenzrecht ihres Staates.
Wenn vor diesem Hintergrund heute der israelische Botschafter in Deutschland, Ron Prosor, postet, die deutsche Kulturszene rolle „den roten Teppich ausschließlich für Künstler aus (…), die sich für Israels Delegitimierung einsetzen“, ist das Polemik. Und auch das ist nicht hilfreich.

Das grausame Morden der Hamas benennen

Wer mit der auf Zeit gewählten Regierung des Staates Israel und mit ihrem rücksichtslosen Krieg gegen Hamas und Zivilbevölkerung nicht einverstanden ist, ist nicht automatisch Antisemit. Er wird aber dazu, wenn er oder sie nicht die Ursachen für diesen Krieg klar und unmissverständlich benennt: das grausame Morden der Terrororganisation Hamas am 7. Oktober.
Deshalb hat die auch bei der Berlinale wieder kritiklos übernommene Behauptung, in Palästina finde ein Genozid statt, ebenso wenig etwas auf einer Kulturveranstaltung verloren wie die antisemitische Parole „from the river to the sea“.
Das aber müsste die Kulturwelt, die so hohe Ansprüche an sich selbst hat, selbst begreifen. Verstand und Vernunft und Empathie kann man nicht staatlich anordnen. Den Dialog darüber schon.