Donnerstag, 18. April 2024

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Fehlende Kooperation in der Arktis
Wie der Krieg in der Ukraine die Klimaforschung beeinträchtigt

Die Sanktionen wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine behindern auch die Klimaforschung. Große Teile der arktischen Gebiete gehören zu Russland. Um diesen Hotspot des Klimawandels zu erforschen, haben deutsche Wissenschaftler jahrelang mit russischen Kollegen zusammengearbeitet.

Von Sven Kästner | 14.04.2022
Auf diesem Bild ist das Forschungs- und Expeditionsschiff Mikhail Somov zu sehen, das in der Vilkitsky-Straße zwischen dem russischen Festland und dem Sewernaja-Semlja-Archipel im Arktischen Ozean im Eis festsitzt.
Das Forschungs- und Expeditionsschiff Mikhail Somov - die Sanktionen wegen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine behindern auch die Klimaforschung (imago images/ITAR-TASS)
„Seit Wochen sind die Forscher der Expedition ‚Mosaic‘ bereits mit der ‚Polarstern‘ unterwegs in der Arktis. Die etwa 300 Wissenschaftler sollen ein Jahr lang Klimaveränderungen erkunden.“ - Tagesschau im Februar 2020, ein Bericht von der bisher größten arktischen Forschungsreise.
Ohne russische Beteiligung wäre sie kaum möglich gewesen, sagt die Direktorin des federführenden Alfred-Wegener-Instituts, Antje Boetius: „Russland hatte wichtige Elemente dieser großen Nordpol-Drift-Expedition. Das eine war technischer Natur. Dann gab es natürlich aber auch Technik und Innovation und Forschung auf Augenhöhe, im Bereich zum Beispiel Physik des Meereises oder Atmosphäre. Also verschiedene Elemente, wo es einfach auch in Russland starke Forschung gibt.“

Großer Teil der Arktis ist russisch

Russische Forschende spielen in den Polarwissenschaften eine wichtige Rolle – nicht zuletzt, weil ein großer Teil der Arktis zu Russland gehört. Antje Boetius lässt keinen Zweifel daran, dass ihr Institut die westlichen Sanktionen gegen Russland wegen des Angriffs auf die Ukraine erfüllt. Aber der Boykott beeinflusst die internationale Klimaforschung.
„Erstmal können Leute nicht hin und her reisen, das ist klar. Und zweitens können wir unsere Beobachtungsstationen - die zum Teil sehr hightech sind, wo man Sensoren austauschen muss, kalibrieren muss, verschiedenes reparieren muss - da kommen wir nicht dran. Bedeutet also, es fallen dann einfach Messungen aus, die teils zum internationalen Wissen gehören: Wie schnell taut der Permafrost, wie viel Gas kommt raus? Wie verändert sich die Lebensvielfalt in der Arktis?“
Weite Teile Sibiriens zählen zu den Hotspots des Klimawandels. Dort erwärmt sich die Atmosphäre schneller als anderswo. Das Meereis schmilzt und lässt den Meeresspiegel steigen. Der tauende Permafrostboden setzt Kohlenstoff in die Atmosphäre frei, was die Erderwärmung zusätzlich anheizt. Die Veränderungen sind längst spürbar am Polarkreis.
„Wo wir schon in den letzten Jahren Extremzustände hatten. Jeder erinnert sich vielleicht an die gigantischen Brände in der sibirischen Tundra oder auch an Infrastruktur-Unfälle. Es stehen nämlich natürlich kleine Städte, Dörfer, Schienen, aber auch Formen industrieller Infrastruktur auf diesem tauenden Permafrost. Und diese Unfälle, die dann passieren können, schon passiert sind, betreffen auch wieder wesentlich mehr Menschen als die, die in Russland leben.“

Jährlicher Besuch bei russischen Kollegen entfällt

Auch Mathias Göckede vom Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena untersucht den Permafrostboden. Er leitet eine Forschungsgruppe, die seit neun Jahren im nordostsibirischen Tscherski beobachtet, welchen Einfluss die steigenden Temperaturen auf die Böden haben.
„Wird jetzt mehr oder weniger Kohlenstoff aufgenommen, wenn es wärmer wird oder wenn es nasser wird, wenn sich sonstige Störungen in der Landschaft einstellen? Also wir wollen letztendlich die Funktionsweise dieser Ökosysteme besser verstehen, um aufgrund dieses Prozessverständnisses dann bessere Vorhersagen machen zu können, wie diese Systeme reagieren werden, wenn es in Zukunft dort noch wärmer wird.“
Bisher haben die Jenaer Forschenden jeden Sommer ihre russischen Kollegen vor Ort besucht, Daten ausgelesen, Instrumente gewartet und getauscht. Dieses Jahr wollten sie sogar einen weiteren Messturm errichten. Das alles fällt jetzt weg. Stattdessen werden Göckede und seine Mitstreiter auf Standorte im Nordwesten Kanadas ausweichen. Ein Verlust für die Forschung, denn das Messnetz weist gerade in den sibirischen Weiten große Lücken auf.  
„Wir hätten deswegen sehr gerne die Ressourcen, die wir jetzt investieren können, um Lücken zu schließen und neue Erkenntnisse zu sammeln, hätten wir sehr gerne in Sibirien investiert. Und das geht jetzt leider nicht. Das wird alles in Zukunft fehlen und natürlich für die Forschung des arktischen Klimawandels an sich einen großen Rückschritt bedeuten.“

Wunsch nach baldigem Frieden - auch wegen der Wissenschaft

Gerade jetzt sind die Veränderungen in der Arktis wieder spürbar. Es ist ungewöhnlich warm dort, verbunden mit für die Gegend außergewöhnlichen Wetterphänomenen: starker Regen über dem Meereis etwa oder Wolken fast so hoch wie in den Tropen. In diesen Wochen erhebt das internationale Forschungsprojekt HALO-(AC)3 Messdaten aus der arktischen Atmosphäre. Mit fünf Messflugzeugen nehmen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Proben der polaren Luftmassen. Auch hier behindert der Krieg die Wissenschaft.
„Schon nur einen Tag nach dem Einmarsch in die Ukraine - also schon am 25. Februar - hatten wir die klare Auskunft: Nein, russischer Luftraum geht nicht. Weiter östlich als 25 Grad Ost ist nicht erlaubt.“
Johannes Schneider vom Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz wertet das zwar als nur kleine Einschränkung für die Messflüge. Trotzdem wünscht er sich baldigen Frieden - im Sinne der Kriegsopfer, aber auch mit Blick auf die Wissenschaft. „Ich kann nur hoffen, dass irgendwann mal Friedensverhandlungen kommen und dann, auch wenn es weiter Wirtschaftssanktionen gibt, dass doch zumindest die wissenschaftliche Zusammenarbeit wieder erlaubt sein wird.“ Allerdings schränkt er ein: „Wie realistisch das ist, das weiß ich jetzt nicht."