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Organtransplantation
Mediziner verpflanzen erstmals Schweineherz

Chirurgen der Universität von Maryland in den USA haben erstmals ein Schweineherz in einen Menschen transplantiert. Damit es nicht abgestoßen wird, hatten Gentechniker das Erbgut des Schweins verändert. Die Operation dauerte acht Stunden - doch noch hängt der Patient an einer Herzlungenmaschine.

Von Michael Lange | 11.01.2022
Das Bild ist aus dem Kranken-Haus: Chirugen in blauen Kitteln beugen sich über einen OP-Tisch.
In den USA haben Ärzte erstmals einem Menschen ein Schweine-Herz eingesetzt. (imago / ZUMA Wire / University Of Maryland School)
Das transplantierte Herz habe die Arbeit aufgenommen, dem Patienten gehe es gut, teilte die US-Uniklinik in einer Pressemeldung mit. Er ist aber noch lange nicht über den Berg. Der Ausgang des klinischen Experimentes dürfte darüber entscheiden, wie schnell weitere Versuche zur Xenotransplantation gewagt werden.
Wie geht es dem Patienten mit dem neuen Herz vom Schwein?  
Der 57-jährige Handwerker David Bennet hat die riskante Operation vor drei Tagen gut überstanden. Er befand sich in einer lebensbedrohlichen Situation, einer Herzinsuffizienz im Endstadium. Die Verpflanzung eines menschlichen Spenderherzens kam nach Angaben der Klinik nicht in Frage. Drei Tage nach dem Eingriff ist er immer noch an eine Herzlungenmaschine angeschlossen und wird beatmet.
Wie riskant war diese Transplantation?
Die Operation stellt für den Patienten ein enormes Risiko dar. Ob er es überlebt, wird sich zeigen, wenn in Kürze die Herzlungenmaschine abgeschaltet wird. Dann muss das angeschlossene Schweineherz die Pumpfunktion übernehmen. Der verantwortliche Chirurg hat die Technik zuvor etwa 50-mal an nicht menschlichen Primaten ausprobiert. Er äußerte sich vorsichtig: „Wir sind begeistert. Aber wir wissen nicht, was morgen passiert.“
Warum wurde das Herz eines Schweines verwendet? 
Das Herz vom Schwein hat etwa die gleiche Größe wie ein Menschenherz und übernimmt genau die gleichen Aufgaben. Es pumpt Blut durch den ganzen Körper. Anders als bei Niere oder Leber spielen biochemische Unterschiede beim Herzen keine Rolle. In anderen Organen werden vielfach andere Enzyme produziert. Unterschiedliche Substanzen werden abgebaut oder freigesetzt.  
Warum musste das Schweineherz gentechnisch verändert werden?
Ohne genetische Manipulationen wäre das Schweineherz vom Immunsystem des Empfängers abgestoßen worden. Insgesamt haben Gentechniker der Firma Revivicor das Schweineerbgut an zehn Stellen verändert. Vier Gene wurden stillgelegt oder inaktiviert, außerdem sechs menschliche Gene in das Schweineerbgut eingebaut. Besonders wichtig ist die Veränderung bestimmter Zucker auf der Zelloberfläche der Schweinezellen. Das Immunsystem unterscheidet daran eigene Zellen von fremden Zellen. Die Schweinezellen wurden gewissermaßen verkleidet, so dass das menschliche Immunsystem die Schweinezellen nicht als fremd erkennt und abstößt.  
Werden in Zukunft mehr Tierorgane von Tieren auf Menschen verpflanzt?
Teams aus München und New York haben ebenfalls Methoden zur Verpflanzung von Schweineorganen entwickelt. In München wurden bereits mehrfach Schweineherzen in Paviane verpflanzt. Bruno Reichart und sein Team erreichten dabei Überlebenszeiten von mehr als einem halben Jahr. Andere Gruppen konnten in Laborversuchen mit Schweinezellen Dutzende Gene parallel verändern. Das gelang durch so genannte Genom-Editierung mit der Genschere CRISPR/Cas. Diese Verfahren sollen in den nächsten jahren auch in die medizinische Praxis kommen.  
Wie stehen die Chancen langfristig für den ersten Patienten?
Noch ist nicht klar, ob der Patient überleben wird. Zwei wichtige Fragen können die Fachleute erst in einigen Wochen beantworten: Übernimmt das Schweineherz die volle Pumpfunktion, wenn die Herzlungenmaschine ausgeschaltet wird? Und lassen sich mittel- und langfristige Abstoßungsreaktionen beherrschen? Wenn alles gut geht, braucht der Patient lebenslang starke Medikamente, die sein Immunsystem bremsen. Es ist offen, inwiefern der Patient ein normales Leben außerhalb des Krankenhauses führen kann.
Könnten Tierorgane künftig den bestehenden Spenderorganmangel lindern?
Die Ärzte in den USA äußern sich sehr optimistisch. Der leitende Mediziner Muhammad Mohiuddin erklärte: „Wenn das funktioniert, wird es einen endlosen Nachschub dieser Organe für Menschen geben.“ Ob diese Hoffnung gerechtfertigt ist, lässt sich aber noch nicht sagen. Wenn es dem ersten Patienten in einigen Wochen besser gehen sollte, werden sicher weitere Verpflanzungen von Tierorganen folgen.