Der Fall von Julian Assange hat das Thema wieder ins Scheinwerferlicht gerückt: Dem Australier droht nach dem Urteil eines britischen Gerichts die Auslieferung in die USA, wo ihm Spionage vorgeworfen wird. Seine Anwälte dagegen argumentieren, Assange habe als Journalist gearbeitet, als er auf Wikileaks Dokumente veröffentlichte, darunter die geheimen Regierungsdokumente, die ihm Chelsea Manning zugespielt hatte – die so zur Whistleblowerin wurde.
Weitere bekannte Namen aus den USA in dem Zusammenhang sind Frances Haugen, die mit ihren Enthüllungen ihren alten Arbeitgeber Facebook in Bedrängnis brachte. Und natürlich Edward Snowden, der mit seinen Veröffentlichungen 2013 die NSA-Affäre auslöste. Und dem die neue Kulturstaatsministerin Claudia Roth gerade im Deutschlandfunk Asyl in Deutschland in Aussicht stellte.
Union und SPD können sich nicht einigen
Die Grünen-Politikerin und mit ihr die neue Regierungskoalition müssen sich aber auch darüber hinaus mit dem Thema Whistleblowing befassen. Eigentlich hätte die Vorgängerregierung aus CDU/CSU und SPD bis zum 17. Dezember 2021 eine EU-Richtlinie in deutsches Recht umsetzen sollen.
Doch ein Ende 2020 eingebrachter Gesetzentwurf der damaligen Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) scheiterte; der Union ging er zu weit und in der SPD warf man dem Regierungspartner vor, eine „Schmalspurlösung“ zu wollen. Lambrecht hatte noch strengere Regeln geplant, mit denen nicht nur Hinweisgeber geschützt worden wären, die Verstöße gegen EU-Recht melden, sondern auch Whistleblowing bei Verstößen gegen deutsches Recht.
Ein "stummer Protest durch Liegenlassen" sei das gewesen, kommentierte der Deutsche Journalistenverband (DJV). Weil Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren durch die EU drohe, werde "die Angelegenheit politisch peinlich".
Nun gilt vorerst die Whistleblowing-Richtlinie der EU
Nun ist also der Stichtag erreicht – und es gelten vorerst die Vorgaben aus Brüssel. Diese sehen vor, dass Unternehmen ab einer bestimmten Größe „Hinweisgebersysteme implementieren, über die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Verstöße melden dürfen“, erklärt gegenüber dem Deutschlandfunk der Rechtsanwalt Maximilian Degenhart, der mit seinem Dienstleister Hinweisgeberexperte besonders mittelständische Unternehmen zur Umsetzung der Whistleblowing-Richtlinie berät.
Nicht nur private, auch öffentliche Unternehmen müssen solche Hinweisgebersysteme bereitstellen – und dann auch entsprechend reagieren: „Innerhalb strenger Fristen“ sehe die EU-Richtlinie „eine qualifizierte Rückmeldung“ des Unternehmens vor, so Degenhart.
Oder die Rückmeldung einer Behörde, an die sich Hinweisgeber nach der neuen Richtlinie auch wenden dürfen, ergänzt Thomas Kastning vom Verein Whistleblower-Netzwerk. In einer "Notsituation" oder "wenn das öffentliche Interesse bedroht ist", könnten sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter jetzt auch an Medien wenden, sagte Kastning im Deutschlandfunk. Hierfür gebe es aber Regeln. "Was die Revolution bedeutet, ist, dass endlich stärkere Rechtssicherheit für alle Beteiligten entsteht."
Für Unternehmen Frage der Reputation
„Wird die Frist für Rückmeldungen nicht eingehalten, darf der Hinweisgeber unter Umständen direkt an die Öffentlichkeit gehen“, unterstreicht auch Maximilian Degenhart. Und meint: Misstände auf Social Media selbst veröffentlichen - oder eben Journalistinnen und Journalisten informieren. Neben rechtlichen und finanziellen Risiken gehe es für Firmen „also auch um Reputationsrisiken“, also den Ruf eines Unternehmens, so der Jurist.
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Was das konkret bedeutet, zeigt ein Fall, der gerade in der taz geschildert wurde. Unter der Überschrift „Bio ist gut, Kontrolle besser“ beschreibt der Artikel, wie ein Mitarbeiter einer Biokontrollstelle zum Whistleblower gegenüber Medien wurde, nachdem er offenbar in seinem Unternehmen kein Gehör fand.
„Letztlich werden diese Entwicklungen sich immer weiter beschleunigen, was zu bedeutend mehr Hinweisen führen wird“, erwartet Maximilian Degenhart. Der Fall des Biokontrolleurs sei dafür nur ein Beispiel.
Whistleblower-Netzwerk: Verbesserung des deutschen Standards
Bei außerhalb von Deutschland tätigen Unternehmen gebe es längst einen "internen Umgang mit Whistleblowing", so Thomas Kastning vom Whistleblower-Netzwerk. International sei das "längst üblich". Insgesamt bedeute die bereits vor zwei Jahren in Brüssel verabschiedete Richtlinie "eine Verbesserung des deutschen Standards", findet der Geschäftsführer des Vereins. Nun komme es darauf an, wie die Richtlinie umgesetzt werde. "Am Ende muss für einen wirklich sinnvollen Whistleblower-Schutz an einigen Stellen über die Vorgaben der Richtline hinausgegangen werden."
Nach dem Scheitern in der letzten Legislaturperiode werde nun „schnellstmöglich ein Gesetz auf den Weg gebracht“, teilte das Bundesministerium der Justiz (BMJV) dem Deutschlandfunk mit.
SPD, Grüne und FDP seien auf "einem guten Weg", das wäre der Eindruck seines Vereins aus Gesprächen mit den Parteien, so Kastning. Genauer "hingeschaut werden" müsse aber noch bei der Kooperation von Whistleblowern und Medien. Dieses öffentliche Whistleblowing sei ein "extrem wichtiger Punkt".