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"Noch immer versucht man, sich gegenseitig übers Ohr zu hauen"

Die Politik und die Akteure am Finanzmarkt könnten nur miteinander die Dinge wieder in Ordnung bringen, sagt Unternehmensberater Norbert Walter, ehemaliger Chefökonom der Deutschen Bank. Doch die kooperative Haltung fehle, insbesondere auf der Seite der Finanzmarktakteure.

Norbert Walter im Gespräch mit Dirk Müller |
    Dirk Müller: Von Magengeschwüren sind die Finanzminister in der Eurozone nicht weit entfernt, fast täglich neue Hiobsbotschaften. Die Schulden ufern aus, die Sparprogramme auch. Reparaturarbeiten sind angesagt, die Staats- und Regierungschefs bemühen sich jedenfalls darum, doch die Finanzmärkte zeigen sich davon wenig beeindruckt. Auch die Banken geraten wieder ins Straucheln. Wer hat noch Vertrauen zu wem? Auf Schritt und Tritt verfolgt hat das Ganze der Unternehmensberater und Finanzexperte Norbert Walter, viele Jahre Chefökonom der Deutschen Bank. Er ist jetzt bei uns am Telefon, guten Morgen!

    Norbert Walter: Ja, guten Morgen, Herr Müller!

    Müller: Herr Walter, kein Tag ohne Euro, wie halten Sie das aus?

    Walter: Das geht gut, das ist eine sehr praktische Währung, mit der man in großen Teilen Europas richtig gut zurechtkommt, und die Währung war besser in ihren ersten zwölf Jahren als die 60 Jahre D-Mark, die ich ja glücklicherweise auch weitgehend erleben durfte, bewusst erleben wurde. Also die Aufregungen, die die Politik und die die Schuldenkrise in Europa für den Euro bewirkt hat, hat eigentlich im Wesen des Euro seiner Funktion als gutes Zahlungsmittel und seiner Funktion als Wertaufbewahrungsmittel - ja, jedenfalls bislang - nicht geschadet.

    Müller: Wussten Sie denn, dass das Ganze, die gemeinsame Währung und auch die großen hohen Schulden zum Sündenfall werden würden?

    Walter: Dass die Finanzpolitik die Achillesferse sein würde, das war von Anfang an klar, sonst hätten ja damals wichtige deutsche Verantwortliche in Geld- und Finanzpolitik, also damals Tietmeyer und Waigel, nicht so um den Stabilitäts- und Wachstumspakt gekämpft, der ja die finanzpolitische Disziplin in Europa zur Vorausbedingung für den Eintritt und zur dauerhaften Bedingung für den Verbleib machte. Und an der Stelle wusste man, dass die Achillesferse liegt, und jetzt im Nachhinein wissen wir, dass dort halt eben nicht nur die Gefährdung liegt, sondern dass dort Risiken eingetreten sind.

    Müller: Hatten Sie wie viele andere Politiker auch oft Bauchschmerzen, morgens die Zeitungen aufzuschlagen und die nächste Krisenmeldung zu lesen?

    Walter: Ich habe mich in diesem Jahr, was die Krisenmeldungen anlangt, immer wieder gewundert, wie Krisenmeldungen aus Politik - wir haben jetzt gerade in der Nachschau auf das Jahr ja wieder einiges davon noch mal Revue passieren lassen - und in den Finanzmärkten mit Erstaunen und Überraschung ob der Aufgeregtheit und Größe ebenso empfunden wie Verwunderung darüber, dass die Wirtschaft, dass unser deutscher Arbeitsmarkt, dass die Bürger in einer vergleichsweise großen Ruhe und Gelassenheit ihr wirtschaftliches Tun vorangebracht haben. Und wir haben eine ganze Menge von Dingen - denken Sie mal an den Export von Autos - in bewundernswerter Weise vorangebracht.

    Müller: Also wenn ich Sie richtig verstehe, Herr Walter, Sie sehen das alles ganz gelassen?

    Walter: Nein, ich sehe es nicht gelassen, ich sehe aber, dass die Dinge nicht überall in dramatischer Unordnung sind. Ich bin froh, dass beispielsweise die Firmenchefs, dass die Mitarbeiter ihrer Pflicht nachgehen und die so gut erfüllen, dass sie international sehr respektabel angesehen werden. Ich wünschte, davon schnitten sich auch diejenigen, die in den Banken, die in den Behörden für Geld- und Finanzpolitik arbeiten, eine Scheibe ab.

    Müller: Sie kennen viele der Akteure persönlich. Wir reden ja auch im Deutschlandfunk in den vielen Interviews, die wir auch in diesem Jahr zum Euro, zur Eurokrise geführt haben, ganz oft über Mechanismen, über Systeme, über das Zusammenspiel von Politik und Finanzmärkten und so weiter. Wie wichtig, wenn wir auf die Akteure blicken, ist der menschliche Faktor?

    Walter: Er ist sehr wichtig, und der wichtigste Punkt, den ich sehr bedauere, ist, dass das, was im Grunde das Wichtigste, den Kitt darstellt, nämlich das Vertrauen zwischen den Menschen, dass der im Finanzmarkt zutiefst erschüttert ist und dass es auch so etwas wie eine Sprachlosigkeit, wie eine gegenseitige Verdächtigung statt eines Miteinanders zwischen den Akteuren des Finanzmarktes und der Politik gibt. Und da würde ich sagen, haben wahrscheinlich die Akteure des Finanzmarktes größere Verantwortung für diese Sprachstörung. Denn anders als die Politik, die jeden Tag im Urteil ihrer Wähler steht, sind die Chefs von Unternehmen eigentlich Leute, die nicht in diesem Sinne täglich überprüft werden - die könnten in meinem Urteil ihre Fehler, die sie im Verlauf der letzten Jahrzehnte gemacht haben, endlich erkennen und systematisch korrigieren. Und wenn sie dies in kooperativer Weise mit der Politik aufarbeiten würden, könnten wir auch wieder zu Vertrauen zwischen den Akteuren in Politik und der Finanzwirtschaft kommen.

    Müller: Weil alle Akteure, nehmen wir alle Akteure, doch zu wenig miteinander reden oder gegeneinander reden?

    Walter: Sie handeln nicht miteinander. Sie sind noch immer der Meinung, man könnte durch einen Haken, den man selber schlägt, für sich selber mehr herausholen. Die kooperative Haltung ist etwas, der Gemeinschaftssinn ist etwas, was in unserer Gesellschaft grundsätzlich, aber in diesem Verhältnis in ganz besonderer Weise verloren gegangen ist - zum Schaden für uns alle.

    Müller: Weil doch nur der Wettbewerb, die Konkurrenz zählt?

    Walter: Das ist in meinem Urteil der vorgeschobene Grund. Da gibt es einige, die glauben immer noch, die haben immer noch nicht gelernt, dass nur in einem Miteinander von beispielsweise Regulatoren des Finanzmarkts und Akteuren am Finanzmarkt die Dinge wieder in Ordnung gebracht werden können. Noch immer versucht man, sich gegenseitig übers Ohr zu hauen, und das macht keinen Sinn.

    Müller: Wir wollen ja auch über Ihre persönliche Perspektive noch einmal sprechen. Was hat Sie besonders bewegt 2011?

    Walter: Es ist schwer zu sagen. Da waren ganz, ganz viele Dinge, die mich bewegt haben. Aber ich sag es mal sehr persönlich: Die Kraft, mit der unser Finanzminister eine so schwere Aufgabe so engagiert, so couragiert und auch so praktisch und damit für die Bevölkerung in guter Weise erklärend angepackt hat - Hut ab vor einem solchen Mann!

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der Unternehmensberater und Finanzexperte Norbert Walter. Vielen Dank für das Gespräch, auf Wiederhören und Ihnen einen guten Rutsch!

    Walter: Ja, besten Dank!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.