Sonntag, 28. April 2024

Söder-Aiwanger-Entscheidung
Wo Umfragen an ihre Grenzen stoßen

Einer Befragung für den „Stern“ zufolge finden es 58 Prozent der Deutschen gut, dass Hubert Aiwanger als bayerischer Wirtschaftsminister im Amt bleibt. Aber an der Zahl gibt es Zweifel. Der Fall zeigt, woran es bei Umfragen in den Medien häufig hakt.

Eine Analyse von Stefan Fries | 06.09.2023
Hubert Aiwanger (l, Freie Wähler), Stellvertretender Ministerpräsident und bayerischer Staatsminister für Wirtschaft, Landentwicklung und Energie, und Markus Söder (r, CSU), Ministerpräsident von Bayern, stehen bei einer Pressekonferenz nebeneinander.
Eine Entlassung wäre ""nicht verhältnismäßig", entschied der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU, r.) in der Causa Aiwanger (l.). (picture alliance / dpa / Peter Kneffel)
Trotz schwerer Vorwürfe hält der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) an seinem Vize und Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger von den Freien Wählern fest. Die Affäre um ein antisemitisches Flugblatt hatte schon seit Tagen für Aufruhr gesorgt und auch Söders Entschluss wurde viel diskutiert. „Finden Sie diese Entscheidung richtig oder hätte Markus Söder Hubert Aiwanger entlassen sollen?“ ließ das Magazin „Stern“ über das Meinungsforschungsinstitut Forsa fragen und kommt zu dem Ergebnis: 58 Prozent der Deutschen fänden die Entscheidung richtig. Klare Sache? Nicht ganz, wenn man sich die Umfrage genauer anschaut.

Erhebungszeitraum und Fragestellung problematisch

Denn hier gibt es gleich mehrere Probleme. Zum einen ist die Umfrage in einem sehr kurzen Zeitraum durchgeführt worden, nämlich am Montag, dem 04.09.2023, zwischen 9 und 16:30 Uhr - also zu einer Zeit, in der viele Menschen arbeiten. Dadurch, dass online befragt wurde, könnten bestimmte Berufsgruppen von vornherein ausgeschlossen sein.
Forsa selbst verteidigt die Stichprobe. Da nur jeder Zweite in Deutschland arbeite, habe die andere Hälfte Zeit. Die übrigen potenziellen Teilnehmer könnten in Arbeitspausen oder bei Leerlauf im Job oder im Home-Office antworten, und wer im Schichtdienst arbeite, könne auch frei haben. Wie genau der Rücklauf der verschiedenen Gruppen war, weiß aber nur das Institut selbst.
Zum anderen ist auch die Fragestellung der Umfrage problematisch. Das zeigt sich schon in der Länge:

Nach den Diskussionen über ein antisemitisches Flugblatt, das der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger als Schüler vor 35 Jahren verfasst haben soll, gab es Forderungen, dass Ministerpräsident Markus Söder Hubert Aiwanger als Wirtschaftsminister entlassen solle. Markus Söder hat nun entschieden, Hubert Aiwanger nicht zu entlassen, sondern ihn im Amt zu belassen. Finden Sie diese Entscheidung richtig oder hätte Markus Söder Hubert Aiwanger entlassen sollen?

Man braucht für die Beantwortung der Frage viel Wissen, das die Befrager versuchen, sehr kompakt zu geben. Doch der Sachverhalt, nach dem gefragt wird, ist kompliziert. 92 Prozent der Befragten darauf geantwortet - angesichts der Fragestellung ein erstaunlich hoher Wert, zumal fraglich ist, ob ein bayerischer Wirtschaftsminister überhaupt bundesweit bei 92 Prozent Bekanntheit liegt. Forsa selbst sagte gegenüber @mediasres, dass Aiwanger sehr bekannt sei – bereits seit seiner umstrittenen Rede in Erding und erst recht durch die Berichterstattung über das Flugblatt.

Das „Non-Attitude-Problem“

Für den Sozialforscher Rainer Schnell von der Universität Duisburg-Essen ist die hohe Antwortrate erstaunlich. Ein Grund dafür könne das „Non-Attitude-Problem“ sein: Man sage in Befragungen ungern, dass man keine Meinung beziehungsweise keine Ahnung habe - also antworte man lieber irgendetwas.
Zudem ist die Fragestellung aus Sicht von Schnell auch sprachlich kompliziert. Gefragt wird nicht „Finden Sie die Entscheidung richtig oder falsch?“ oder „Hätte Söder Aiwanger entlassen sollen oder nicht?“, sondern eine Mischung aus beidem: „Finden Sie diese Entscheidung richtig oder hätte Markus Söder Hubert Aiwanger entlassen sollen?“
Und: Es gebe sicher Leute, die alle Entscheidungen von Söder richtig finden oder die grundsätzlich gegen alle Entlassungen sind, so der Sozialforscher. Es sei also nicht klar, ob deren Meinung überhaupt von dem ganzen Sachverhalt abhänge.

Statistische Unsicherheiten bleiben oft unerwähnt

Hinzu kommt, dass es bei Umfragen immer statistische Unsicherheiten gibt, da nur eine Auswahl von Menschen befragt wird, die für alle Wählerinnen und Wähler stehen sollen. Forsa gibt für diese Umfrage 3 Prozentpunkte Unsicherheit an, in Realität seien es bei derartigen Umfragen eher 6 Prozentpunkte, sagt Schnell: Statt 58 Prozent Unterstützung könnten es auch 64 Prozent sein – oder eben auch 52 Prozent. Bei halbe/halbe könnte man genauso gut eine Münze werfen.
Diese Probleme finden sich bei vielen Umfragen wieder, die von Medien in Auftrag gegeben werden. Denn gute Ergebnisse brauchen Zeit und Geld. Doch Medien wollen meist schnell Schlagzeilen bringen – und auch von anderen zitiert werden. Dabei bleibt oft unerwähnt, wie unsicher die Zahlen eigentlich sind und wie wenig man daraus ablesen kann. Deswegen sollte man als Nutzer immer skeptisch sein, wenn man sehr schnell oder sehr überraschende Umfrageergebnisse bekommt.
Der Branche ist das Problem jedoch auch bewusst. Der Pressekodex schreibt zum Beispiel vor, dass Medien die Zahl der Befragten, den Zeitpunkt der Befragung, den Auftraggeber sowie die Fragestellung immer nennen müssen sowie, ob die Ergebnisse repräsentativ sind (Richtlinie 2.1). Doch oft wird schon die Fragestellung nicht korrekt genannt, aus der man einiges ablesen kann, so beispielsweise bei einer aktuellen von "Bild" in Auftrag gegebenen Umfrage, über die "Bildblog" berichtete. Und im Kopf bleibt oft die Zahl - ganz egal, wie sie zustande gekommen ist.