Gegen rechts
Mit Demos, Bildung und Bier die Demokratie verteidigen

Gegen die AfD und Rechtsextremismus gehen Hunderttausende auf die Straße. Doch reichen Demos? Zivilcourage zeigen viele Menschen schon seit Jahren: indem sie zum Beispiel Bildung vermitteln, Konzerte veranstalten – oder Neonazis Bier wegkaufen.

    Vor einer Bühne halten viele Menschen ihre hell leuchtenden Handys ins die Dunkelheit.
    Gegen Neonazis: Das Demokratiefestival "Jamel rockt den Förster" zog 2023 mehr als doppelt so viele Zuschauer als im Vorjahr an. Danger Dan trat neben anderen auf. (picture alliance / dpa / Bernd Wüstneck)
    Was kann die Mitte der Gesellschaft gegen Rechtsextremismus tun? Diese Frage wird mit neuer Dringlichkeit diskutiert, seit das Recherchenetzwerk Correctiv ein konspiratives Treffen enthüllt hat. Dabei hatten sich am 25. November 2023 Rechtsextremisten in Potsdam getroffen und über Möglichkeiten gesprochen, Menschen mit Migrationsgeschichte aus Deutschland zu vertreiben. Auch AfD-Politiker und Vertreter der Werteunion waren dabei.
    In der Folge demonstrierten Hunderttausende gegen die AfD und Rechtsextremismus. Andere engagierten sich bereits vorher. Wir haben einige Beispiele.

    Inhalt

    Ostritz: Freibad retten und Bier gegen Neonazis bunkern

    In der Kleinstadt Ostritz am östlichen Rand von Sachsen haben sich Ehrenamtliche zusammengetan, um ein Schwimmbad zu retten und dort einen Ort der Begegnung zu schaffen. Im Mewa-Bad kommen Menschen zusammen, die sonst nicht mehr miteinander reden würden: beim gemeinsamen Kochen ukrainischer oder arabischer Gerichte zum Beispiel oder bei Filmabenden zu kontroversen Themen wie Flucht und Migration. In Ostritz leben 15 verschiedene Nationen.
    „Das Wichtigste ist, dass Leute sagen: Wir wollen es – und dann klappt in der Demokratie auch viel“, sagt Mitinitiator Georg Salditt.

    Als Rechter kann man in Ostritz nicht gut feiern

    Mehrfach setzten sich Ostritzer gegen rechtsextreme Musikfestivals im Ort zur Wehr. Im Jahr 2018 organisierten sie zum ersten Mal ein Demokratiefest auf dem Marktplatz – als Gegenveranstaltung. Bei einem anderen Neonazifestival sorgten Bürgerinnen und Bürger dafür, dass im ganzen Ort das Bier ausverkauft war.
    „Ich denke, dass sich das in der rechten Szene herumgesprochen hat, dass man in Ostritz als Rechter nicht unbedingt gut feiern kann“, sagt Georg Salditt.
    Politisch scheint sich das Bemühen auszuzahlen: Im Ostritzer Stadtrat hat die AfD nur ein Mandat. Auch bei der letzten Landtagswahl erhielt die Partei weniger Stimmen als in benachbarten Kommunen.

    Spreewald: Zwei Lehrkräfte gegen rechts

    Laura Nickel und Max Teske machten rechtsextremistische Sprüche, Hitlergrüße und Hakenkreuzschmierereien an ihrer damaligen Schule im brandenburgischen Burg öffentlich. Dafür wurden die beiden Lehrkräfte massiv angefeindet: Eltern forderten mit einer Unterschriftenaktion ihre Entlassung, in sozialen Medien wurde zur Jagd auf sie aufgerufen.

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    Nickel beklagte im Deutschlandfunk Kultur unter anderem eine Mauer des Schweigens an der Schule. Eine große Rolle habe auch der Begriff „Nestbeschmutzer“ gespielt. Immerhin hätten einige Kollegen sie aber auch unterstützt.
    Nickel, die wie Teske mittlerweile an einer anderen Schule unterrichtet, blickt nun etwas optimistischer auf Burg, auch wegen eines neuen Schulleiters. Mit ihrem Kollegen hat sie das Bündnis „Schule für mehr Demokratie“ auf den Weg gebracht. Darin sollen sich Eltern, Schüler, Lehrpersonal und Sozialarbeiter miteinander vernetzen. Das Ziel: Menschen zu helfen, die an Schulen von Rechtsextremismus bedroht sind.
    Für ihr Engagement erhielten Nickel und Teske den Preis für Zivilcourage vom Förderkreis „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ gemeinsam mit der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Bundespräsident Steinmeier würdigte beide bei einem Bürgerfest für rund 3.000 Ehrenamtliche in Schloss Bellevue.

    Chemnitz: Initiativen gegen Rassismus bei Fußball-Fans

    Chemnitz wird 2025 Kulturhauptstadt Europas. Doch die Stadt gilt als ein Sammelbecken der rechtsextremen Szene aus ganz Deutschland. In der Fankurve des Regionalligisten Chemnitzer FC haben über Jahre Neonazis das Sagen. Ein Beispiel: Im März 2019 gedachten Fans im Stadion des verstorbenen Neonazis Thomas Haller, der die Fangruppe HooNaRa („Hooligans Nazis Rassisten“) gegründet hatte.
    Rechtsextremistische Gruppierungen demonstrierten auch schon außerhalb des Stadions ihren Einfluss: Nach einer tödlichen Messerattacke kam es 2018 zu massiven Ausschreitungen in der Stadt. Rund 800 Rechtsextremisten aus ganz Deutschland waren dem Aufruf der neonazistischen Fußballgruppierung Kaotic gefolgt.
    Wer sich im Chemnitzer FC gegen rechts positioniert, wie die 2019 gegründete Fangruppe „CFC-Fans gegen Rassismus“, hat es schwer: „Fans, die antirassistisch eingestellt sind, Fans, die für Demokratie und Vielfalt stehen und sich dazu äußern wollen, werden bedroht. Da dürfen wir uns nichts vormachen, das findet statt“, sagt Martin Ziegenhagen, Antirassismus-Beauftragter des Vereins.

    Mutige Menschen der Chemnitzer Stadtgesellschaft

    Doch der Chemnitzer FC stemmt sich gegen die Bedrohung von rechts außen: mit anti-rassistischen Aktionen, einer verschärften Stadionordnung und einem neuen Leitbild. Darin positioniert sich der Verein klar gegen extremistisches und fremdenfeindliches Gedankengut.
    Dass zumindest die „Hälfte des Wegs“, wie Ziegenhagen meint, geschafft wurde, liegt an der neuen Vereinsführung, aber auch an mutigen Menschen in der Chemnitzer Stadtgesellschaft. Mit dem Projekt „#HEIMSPIEL Chemnitz“ stellten der Kulturverein „ASA-FF“ und die „CFC-Fans gegen Rassismus“ 2023 ein großes Fußball-Kulturprogramm auf die Beine. Dazu zählten mehr als ein Dutzend Veranstaltungen wie Ausstellungen, Filmvorführungen und Podiumsdiskussionen.
    Auch der alternative Fußballverein Athletic Sonnenberg beteiligte sich. Er hat sich Diversität und Antidiskriminierung auf die Fahnen geschrieben. Der Verein und „#HEIMSPIEL Chemnitz“ wurden mit dem renommierten Julius-Hirsch-Preis der DFB-Kulturstiftung ausgezeichnet.
    Und der Chemnitzer FC hat die Preise für Dauerkarten und Tickets gesenkt. Familien sollen ins Stadion kommen und dabei keine Angst haben.

    Jena: Jenoptik wirbt für Offenheit

    Die AfD in Thüringen liegt wenige Monate vor der Landtagswahl in Umfragen bei über 30 Prozent. Der Landesverband mit seinem Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke wird vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft. Eine Partei, aus deren Reihen Zuwanderung immer wieder abgelehnt wird, kann einem Unternehmen mit Verbindungen in alle Welt kaum passen: Im November 2023 meldete sich Jenoptik-Chef Stefan Traeger zu Wort.
    Es gehe ihm nicht um Tagespolitik, machte er deutlich. Doch er wolle sich aber einmischen, weil er die Weltoffenheit in Gefahr sehe. Jenoptik startete eine Kampagne, die für Offenheit, Freizügigkeit innerhalb der EU, Vielfalt und Diversität wirbt.
    Das Unternehmen mit 4.000 Mitarbeitenden aus 29 Nationen schaltete Anzeigen und ließ Plakate in Thüringen und Sachsen kleben. Mit Slogans wie „Bleib offen für Vielfalt“ oder „Bleib offen für andere Perspektiven“ stehen Menschen aus dem Unternehmen in ihrer Heimat mit ihrem Gesicht für diese Kampagne ein, wie Thüringen-Korrespondent Henry Bernhard unterstreicht.
    Nach seiner Erfahrung ist es „extrem selten“, dass ein Unternehmen politisch Stellung bezieht: „Die meisten schweigen“.

    Jamel: Festival gegen rechts

    Seit 2007 organisiert das Künstlerpaar Birgit und Horst Lohmeyer das Festival für Toleranz und Demokratie „Jamel rockt den Förster“. Die beiden wollten nicht tatenlos zusehen, wie sich immer mehr Rechtsextremisten in dem Dorf und der Region in Mecklenburg-Vorpommern ansiedelten. Sie wurden jahrelang mal mehr, mal weniger subtil gemobbt und bedroht. Nach dem Brand ihrer Scheune 2015 wurden sie unter Polizeischutz gestellt.
    Bei dem Open-Air-Festival in Jamel treten regelmäßig namhafte Musikerinnen und Musiker auf. Im Jahr 2023 waren das unter anderem Prinzen-Frontmann Sebastian Krumbiegel, Madsen, Danger Dan, Blumfeld und Fury in the Slaughterhouse. Es kamen nach Angaben der Lohmeyers mehr als doppelt so viele Zuschauer wie im Vorjahr: rund 6.000 Menschen.

    Amadeu-Antonio-Stiftung: Demokratiebildung für Erwachsene

    In Demokratiearbeit investieren und Feindbilder bearbeiten: Das rät der Konfliktforscher Andreas Zick, Mitautor der „Mitte-Studie“. Diese hatte ergeben, dass mehr als acht Prozent der Deutschen ein geschlossen rechtsextremes Weltbild haben. Rund ein Drittel der Befragten zählen zu einem Graubereich – auf der Kippe zur Demokratiefeindlichkeit.
    Diese Menschen seien für Bildungsarbeit noch zu erreichen, sagt Benjamin Winkler von der Amadeu-Antonio-Stiftung, die sich genau darum in zahlreichen Projekten kümmert. Es reiche aber nicht, Fortbildungen an Schulen für Lehrkräfte und Sozialarbeitende anzubieten. Zulegen müsse man vor allem bei bei der Demokratiearbeit für Erwachsene jenseits der 40: Diese Gruppe sei empfänglich für rechts.
    Winkler sieht drei Möglichkeiten:
    • Betriebliche Bildung: Damit werden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erreicht. Gewerkschaften und Bildungswerke können durch Fortbildungen und Module in der Ausbildung über Rechtsextremismus aufklären.
    • Vereine und Verbände: Ob Feuerwehr oder Rotes Kreuz – sie machen viele Freizeitangebote und könnten nach Winklers Ansicht politische Bildung vermehrt integrieren. Das Bundesprogramm „Zusammenhalt durch Teilhabe“ sei dafür ein gutes Beispiel. https://www.zusammenhalt-durch-teilhabe.de/
    • Aufsuchende Angebote: Erwachsene ansprechen, damit sie sich für politische Bildung interessieren – dabei sei Kreativität gefragt, online und offline, so Winkler.
    Zum Beispiel arbeitete die Amadeu-Antonio-Stiftung mit einer Volkshochschule in Leipzig zusammen: In einem prekär situierten Stadtteil hängten Mitarbeitende Plakate auf, die über Verschwörungsideologien aufklärten. Es gab zudem das Angebot zu offenem Dialog. Die Reaktionen seien „überwiegend positiv“ gewesen, so Winkler. Manche hätten von ihrem Frust erzählt, doch es habe keine hitzige Stimmung geherrscht, vielmehr habe es angenehme Diskussionen gegeben.
    Die Wirkung derartiger Projekte kann man Winkler zufolge nicht unmittelbar feststellen. Gefordert sei systematische Arbeit und Geduld: „Wenn sich ein demokratiefeindliches Weltbild entwickelt, braucht es eine Weile, und für Rückentwicklung braucht es auch Zeit.“
    Menschen mit einem geschlossen rechtsextremen Weltbild seien über Bildungsarbeit kaum zu erreichen, betont Winkler. Für sie brauche es andere Ansätze wie De-Radikalisierung und Ausstiegsprogramme. Eines davon ist EXIT.

    bth