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Verheimlichte Forschungskooperation mit China
Schuldspruch für US-Forscher Charles Lieber

Der Nobelpreis-Aspirant aus Harvard wurde wegen verheimlichter Beziehungen mit China schuldig gesprochen. Das Urteil könnte Abwanderungstendenzen China-stämmiger aus der US-Wissenschaft verstärken.

Von Thomas Reintjes |
    Die renommierte Universität Harvard in Cambridge (Massachusetts)
    Die renommierte Universität Harvard in Cambridge (Massachusetts) (picture alliance / dpa)
    In Boston ist gestern der Jury-Prozess gegen Charles Lieber zu Ende gegangen. Lieber ist Harvard-Professor und wurde für seine Arbeit an Nanomaterialien schon als Nobelpreiskandidat gehandelt. Doch im Januar vor zwei Jahren wurde Lieber auf dem Campus verhaftet. Er soll Verbindungen nach China verheimlicht haben. Nach fünf Verhandlungstagen befand die Jury ihn für schuldig.

    Drittmittel aus dem Ausland nicht korrekt deklariert

    Er soll in mehreren Fällen gelogen haben, als das US-Verteidigungsministerium und die National Institutes of Health ihn nach seinen Beziehungen zu China befragt haben. Von diesen beiden amerikanischen Institutionen hatte Lieber seit 2008 insgesamt mehr als 15 Millionen US-Dollar an Forschungsgeldern bekommen. Drittmittel, die er in anderen Ländern einwarb, hätte er deshalb deklarieren müssen. Das hat er nach Auffassung der Geschworenen aber nicht ausreichend getan. Ein weiterer Vorwurf vor Gericht war, dass er Einkünfte aus China auch dem Finanzamt verschwiegen hat. In allen Punkten wurde er für schuldig befunden.

    Forscher soll unsauber gearbeitet haben

    Lieber soll ab 2011 mit der Technischen Universität von Wuhan kollaboriert haben. 2012 soll er dann Teil von Chinas Tausend-Talente-Programm geworden sein. Damit will das Land international Leute gewinnen, die zu den Besten ihres Fachs gehören. Liebers Dreijahres-Vertrag mit der Universität in Wuhan sah laut Anklage eine Bezahlung von bis zu 50.000 Dollar pro Monat vor, plus 158.000 für den Lebensunterhalt und 1,5 Millionen Dollar für den Aufbau eines Forschungslabors in Wuhan – alles, ohne das mit seinem Hauptarbeitgeber abzustimmen, der Uni Harvard. Es waren vor allem auch diese hohen Summen, die die Ermittler verdächtig fanden. Wieviel Geld wirklich geflossen ist, ist aber unklar.

    US-Regierung hat große Vorbehalte gegen das Tausend-Talente-Programm

    Das US-Justizministerium sagt, das Programm würde Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dafür belohnen, geistiges Eigentum zu stehlen. 2018 startete das Justizministerium deshalb die “China Initiative”, um gegen die vermutete Spionage vorzugehen. Inzwischen gibt es mindestens 77 Fälle mit mehr als 150 Beschuldigten. Das geht aus einer Datenbank hervor, die das Magazin MIT Technology Review zusammengetragen und Anfang Dezember veröffentlicht hat. Die Daten zeigen auch, dass es nur in einem Viertel der Fälle tatsächlich um Spionagevorwürfe geht. Häufiger lautet der Vorwurf ähnlich wie im Fall Lieber: mangelnde Transparenz bei der Zusammenarbeit mit chinesischen Institutionen. Legal war es aber zu der Zeit, am Tausend-Talente-Programm teilzunehmen. Warum Charles Lieber seine Kooperation mit Wuhan trotzdem verschwiegen hat, ist unklar. Er sagt ja auch, er sei unschuldig und hält es für nicht bewiesen, dass er wissentlich und absichtlich so gehandelt hat. Als er 2018 erstmals dazu befragt wurde, da waren seine angeblichen Verträge mit chinesischen Partnern schon ausgelaufen. Gleichzeitig hatte er Hoffnungen auf einen Nobelpreis. Vielleicht fürchtete er, dass seine Verbindungen zu China seinem Image schaden könnten. Denn das ist auf jeden Fall eine Auswirkung der “China Initiative” des Justizministeriums: Der Ruf von Forschungs-Kollaborationen mit chinesischen Teams hat gelitten.

    US-Forscher mit chinesischen Wurzeln sind verunsichert

    Die Ermittlungen und Festnahmen haben gerade in dieser Gruppe viel Angst erzeugt. Und es ist keine kleine Gruppe: vor der Pandemie haben 372.000 Chinesen und Chinesinnen in den USA studiert oder an ihrer Doktorarbeit geschrieben. Eine Umfrage der Arizona State University unter fast 2000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern hat im Sommer gezeigt, dass rund die Hälfte der Befragten mit chinesischen Wurzeln Angst haben oder beunruhigt sind, dass sie möglicherweise überwacht werden. Von denjenigen ohne chinesische Abstammung sagten das nur zwölf Prozent. Manche Befragte gaben an, dass das ihre Forschung beeinflusst - etwa, mit welchen Themen sie sich beschäftigen oder welche Datenquellen sie nutzen. Fachleute befürchten, dass die USA den Kampf um Talente so erst recht verlieren - weil internationale Forscherinnen und Forscher abgeschreckt werden.

    Strafmaß steht noch aus

    Richterin Rya Zobel kann ihn allein für seine Falschaussagen zu bis zu fünf Jahren Gefängnis verurteilen. Für die China Initiative ist es aber schon jetzt ein großer Erfolg, der ihr neuen Aufwind geben könnte. Denn das Justizministerium ist unter Druck geraten. Nach einem ersten Gerichtsverfahren war ein anderer Wissenschaftler freigesprochen worden. Fünf andere Verfahren wurden daraufhin eingestellt. Und aus dem Kongress kommt von einer großen Gruppe Abgeordneter der Ruf, die China Initiative auf Racial Profiling zu untersuchen – also auf rassistische Diskriminierungen. Denn fast 90 Prozent der Beschuldigten haben eben chinesische Wurzeln. Der Schuldspruch gegen Charles Lieber gibt der China Initiative ihre Berechtigung zurück – es sind jetzt wohl mehr Prozesse zu erwarten. Für die amerikanische Wissenschaft heißt das, dass sie Wege finden muss, in Zukunft Kooperationen einzugehen und weiterhin international Daten auszutauschen, ohne dass dabei die Gefahr von Spionagevorwürfen droht.