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Wachstum versus Klimaschutz
Ulrike Herrmann sieht Kapitalismus am Ende

Wirtschaftswachstum und Klimaschutz schlössen einander aus, deshalb habe der Kapitalismus keine Zukunft, schreibt die Wirtschaftsjournalistin Ulrike Herrmann in ihrem neuen Buch. Dabei versucht sie, den Kapitalismus nicht grundsätzlich schlecht zu reden.

Von Katja Scherer | 12.09.2022
    Ulrike Herrmann: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden", Kiepenheuer & Witsch Verlag
    Grünes Schrumpfen statt grünem Wachstum stehe im Sinne von Klimaschutz an, erklärt die Journalistin Ulrike Herrmann in ihrem aktuellen Buch. (Foto: imago images / teutopress, Buchcover: Kiepenheuer und Witsch Verlag)
    Wie funktioniert der Kapitalismus? Mit dieser Frage beschäftigt sich Ulrike Herrmann seit Jahren. Sie hat in ihren Büchern analysiert, wie das kapitalistische System entstanden ist, welche Schwächen es hat und warum es zu Krisen neigt. Jetzt sei der Kapitalismus am Ende, schreibt sie. Er lasse sich mit Klimaschutz nicht vereinbaren:
    „Der Kapitalismus […] erzeugt nicht nur Wachstum, sondern muss auch wachsen, um stabil zu sein. Ohne ständige Expansion bricht der Kapitalismus zusammen. In einer endlichen Welt kann man aber nicht unendlich wachsen.“
    Klimaschutz bedeutet Ressourcen schonen. Kapitalismus ohne Wachstum aber sei unmöglich. Das ist Ulrike Herrmanns zentrale These. Die taz-Journalistin stellt sich damit gegen die Annahme vieler Volkswirte und Politiker, dass es „grünes Wachstum“ geben kann. Sie argumentiert, dass die erneuerbare Energie dafür in absehbarer Zeit nicht ausreichen wird:
    „Diese Aussage mag zunächst überraschen, schließlich schickt die Sonne 5.000-mal mehr Energie zur Erde, als die acht Milliarden Menschen benötigen würden, wenn sie alle den Lebensstandard der Europäer genießen könnten. […] Solarpaneele und Windräder liefern jedoch nur Strom, wenn die Sonne scheint und der Wind weht. Um für Flauten und Dunkelheit vorzusorgen, muss Energie gespeichert werden – und dieser Zwischenschritt ist so aufwendig, dass Ökostrom knapp bleiben wird.“

    Die Bilanz des Kapitalismus

    Daher müsse sich die Gesellschaft einschränken. Die Autorin gibt sich große Mühe, keine pauschale Kapitalismuskritik zu betreiben. Im ersten Kapitel beschreibt sie ausführlich die Vorteile des Kapitalismus. Er habe den Menschen mehr Gesundheit, Komfort und Freiheit beschert:
    „Der materielle Wohlstand hat immaterielle Folgen. Nicht nur die Lebenserwartung hat sich verdoppelt; auch allgemeine Bildung, Gleichberechtigung und Demokratie werden erst möglich, wenn eine Gesellschaft reicher wird.“
    Allerdings sei das mit fossiler Energie, also: auf Kosten der Vergangenheit, erkauft worden, schreibt sie. Das stoße nun an Grenzen. Sie erläutert, warum es zu aufwändig sei, Treibhausgase aus der Atmosphäre zu filtern und warum sich Wachstum und Energieverbrauch nicht entkoppeln ließen. Der technologische Fortschritt biete da keine Rettung, argumentiert sie:
    „Auf die Technik ist kein absoluter Verlass. Mal gelingt es nicht, gute Lösungen zu finden – mal bleiben Erfindungen teuer, obwohl sie seit Jahrtausenden im Einsatz sind. […] Vor allem aber werden die Zeitebenen verwechselt. Die lustigen Anekdoten sollen nahelegen, dass die technologische Zukunft immer besser war als gedacht. Das mag sein. Nur fehlt heute die Zeit, um auf eventuelle Durchbrüche zu warten.“

    Grünes Schrumpfen statt grünem Wachstum

    Herrmann ist überzeugt, dass sich die Gesellschaft auf ein „grünes Schrumpfen“ einstellen muss. Es werde weniger Autos, weniger Flüge und weniger Wohnungen geben, schreibt sie. Und das müsse auch nicht schlimm sein: 
    „Die Wachstumskritiker haben klar gezeigt, dass klimaneutrales Leben auch schön sein kann. Das ungelöste Problem ist allein, wie sich diese ökologische Kreislaufwirtschaft erreichen lässt, ohne unterwegs eine schwere Wirtschaftskrise zu provozieren, die die Bevölkerung in Panik versetzt und einen Diktator an die Macht bringt.“
    Als Lösung für diesen Übergang schlägt die Autorin die britische Kriegswirtschaft ab 1939 vor. Damals teilte die britische Regierung privaten Unternehmen Rohstoffe, Kredite und Arbeitskräfte zu. Jeder Einwohner bekam eine feste Menge an Lebensmitteln. „Luxusgüter“ wie Möbel oder Kleidung konnten über ein persönliches „Punktebudget“ bezahlt werden. Ein geordneter, sozial gerechter Rückbau, findet Herrmann.
    „Der Konsum fiel damals um ein Drittel – und zwar in kürzester Zeit. […] Der deutsche Verbrauch muss ähnlich drastisch sinken, wenn das Klima gerettet werden soll.“
    … schreibt sie. Eine Schätzung, die ohne Zweifel unsicher ist. Herrmanns Fokus auf Großbritanniens Kriegswirtschaft hat drei Gründe:
    „Erstens: Die Briten lebten in einer Demokratie. […] Zweitens: Die Briten führten keinen Angriffskrieg […]. Sie befanden sich in einer unfreiwilligen Notsituation, die zudem verspätet erkannt wurde. Drittens: Die Briten mussten ihre normale Wirtschaft in kürzester Zeit stark herunterfahren, […] um Militärgüter herzustellen. Von den Briten lässt sich also lernen, wie sich eine schrumpfende Wirtschaft organisieren lässt.“

    Die Grenzen der Technologie

    Herrmanns Buch ist historisch lehrreich und gut zu lesen. Es zeigt auf, wo technologische Limitationen der Klimawende liegen. Doch es wirkt dabei deterministisch. Herrmann erkennt an, dass Menschen in der Vergangenheit viele Probleme gelöst haben. Sie bezweifelt aber offenbar, dass das dieses Mal auch so sein wird. Außerdem lässt ihr Buch Fragen offen. Es erklärt zum Beispiel kaum, wie genau die neue staatliche Planwirtschaft aussehen soll. Wo sollen all die Fachkräfte arbeiten, die aus ihrer Sicht in der Luftfahrt, bei Banken und Autofirmen obsolet werden? Auch die politische Durchsetzbarkeit bleibt vage. Herrmann schreibt:
    „Viele Menschen hängen immer noch dem Irrtum an, dass sie die Wahl hätten. Doch diese Wahl gibt es nicht. […] Entweder sie verzichten freiwillig auf Wachstum – oder die Zeit des Wachstums endet später gewaltsam, weil die Lebensgrundlagen zerstört sind.“
    Damit hat sie möglicherweise Recht. Es erklärt aber nicht, wie eine Planwirtschaft demokratisch durchgesetzt werden könnte. Außerdem übersieht sie, dass grüner Optimismus hilft, Menschen für mehr Klimaschutz zu motivieren. Sie betont:
    „Nur Verzicht sichert das Überleben – wie im Krieg.“
    Herrmanns Buch ist lesenswert und setzt einen Kontrapunkt zu all denen, die die technologischen Möglichkeiten beim Klimaschutz womöglich überbewerten. Die Autorin betont zu Recht: Klimaschutz ohne Verzicht geht nicht. Was aber fehlt, ist eine positive Vision für diesen Wandel. Und ob dieses Mal tatsächlich das Ende des Kapitalismus erreicht ist? Abwarten.
    Ulrike Herrmann: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden", Verlag Kiepenheuer & Witsch, 341 Seiten, 24 Euro.