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Universelle Melodien
Die Sprache der Tiere ist eigentlich Gesang

Seit Jahrzehnten versuchen Menschen, die Bedeutung zum Beispiel von Vogelrufen oder Walgesängen zu entschlüsseln. Voran gekommen sind wir dabei kaum. Eine Wiener Forschergruppe äußert nun einen Verdacht: Vielleicht sollten wir in den Lauten der Tiere nicht nach Worten suchen - sondern nach Gesang.

Von Joachim Budde | 30.12.2021
(Gesang "woooo") Hier singen Indris – etwa einen Meter große schwarz-weiße Feuchtnasenaffen, die in den tropischen Regenwäldern im Nordosten Madagaskars leben.
"Indris sind Lemuren. Sie singen diese schönen, gespenstischen Choräle. Diese Gesänge folgen den rhythmischen Mustern menschlicher Musik."

Auch Tiere bremsen beim Sprechen langsam

Tecumseh Fitch ist Professor für Kognitionsbiologie an der Universität Wien. Die madagassischen Primaten singen in Strophen. Am Ende jeder Strophe tun sie etwas, was auch wir Menschen beim Sprechen oder beim Musizieren tun: Wir werden langsamer, dehnen die letzte Silbe einer Phrase, sagt Theresa Matzinger.
"Der Grund dafür kann eben in unserer Sprachphysiologie liegen. Nämlich dass wir unsere Artikulatoren, also Zunge, Lippen usw. langsam abstoppen am Ende, also vor einer Pause zum Beispiel. Man kann das vergleichen, zum Beispiel mit dem Laufen gehen. Man stoppt ja auch nicht komplett abrupt ab, wenn man joggen geht, sondern lässt es irgendwie langsam ausklingen, weil das energetisch auch effizienter ist, als komplett abrupt zu stoppen."
Die Forscherin beschäftigt sich mit Sprache, Evolution und Wahrnehmung. So wie die Lemuren machen es auch andere Tiere. "Es gibt schon erste Erkenntnisse, zum Beispiel bei Wellensittichen, dass die auch die letzten Silben von ihren Phrasen oder Einheiten, was immer das jetzt in ihren Vokalisationen auch ist, in die Länge ziehen, und beim Menschen wissen wir schon: Verlängerte Silben werden auch von den Zuhörern als Endpunkte oder Grenzen wahrgenommen."

Der Körperbau bestimmt das Repertoire

Anders als die Mehrzahl bisheriger Studien, interessieren sich Theresa Matzinger und Tecumseh Fitch weniger dafür, Entsprechungen für Worte in der Tierkommunikation zu finden. Sie fragen sich, wie die Anatomie und die kognitiven Fähigkeiten von Mensch und Tier tatsächlich bestimmen, welche Laute und welche Melodien sie hervorbringen können. Wie also der Körperbau bestimmt, dass sie so ähnlich sind.
"Der Grund dafür, dass es diese Ähnlichkeiten gibt, ist, dass wir eine ähnliche Evolution durchlaufen haben und auch Menschen eine Form von Primaten und Tieren sind und es dadurch Ähnlichkeiten in der Anatomie, Physiologie oder Kognition zu diesen zu diesen Ähnlichkeiten kommt."
Ein Kehlkopf mit Stimmbändern bei den Säugern und der Stimmkopf bei den Vögeln etwa ähneln sich. Tecumseh Fitch: "Wenn man die Lauterzeugung von der Anatomie aus betrachtet, leuchten Ähnlichkeiten sofort ein. Wenn man sich hingegen fragt: Wo ist der Satzbau in Tierkommunikation? Dann hat das weniger Aussicht, etwas hervorzubringen."

Tierkommunikation ist mehr Musik als Sprache

Wer also nach der Sprache der Tiere sucht, ist für den Kognitionsbiologen auf dem Holzweg: "Wir begehen einen Fehler, wenn wir automatisch annehmen, dass Tierkommunikation Sprache ist. Das ist zwar eine intuitive Idee, aber ich denke, sie hält uns davon ab zu sehen, dass es in vielen Fällen – nicht nur im Vogelgesang, sondern auch bei vielen anderen Tierarten – eher eine Art Musik ist."
"Da geht es weniger um präzise Bedeutungen als vielmehr um emotionale, effektive Gruppenkommunikation. Wir sollten also weniger danach fragen, wie wir mit Tieren sprechen können, sondern es wäre produktiver zu denken: Wie können wir mit Tieren singen? Dann stehen uns Übereinstimmungen zur Verfügung, die uns bei Sprache fehlen."
Gemeinsam musizieren – vielleicht liegt es daran, dass uns so viele Tiergesänge so tief im Innern berühren. Die Natur ist ein Konzerthaus.