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Neue Biografie
Carl Meinhof, umstrittener Begründer der Afrikanistik

Carl Meinhof war weltweit der erste Afrikanistik-Ordinarius und gilt als Begründer der Disziplin. Seine Tätigkeit prägte das Bild des Faches für Jahrzehnte. Doch Meinhof, der 1933 in die NSDAP eintrat, war auch ein Befürworter des Kolonialismus und glaubte an die Überlegenheit der weißen "Rasse".

Von Ursula Storost | 23.06.2022
Porträtfoto von Carl Meinhof (Ausschnitt) - historische Aufnahme aus der Zeit des deutschen Kaiserreichs
(Bildarchiv der Deutschen Kolonialgesellschaft, Universitätsbibliothek Frankfurt am Main, Bildnummer 018-0081-05)
Der Afrikanist Carl Meinhof (Ausschnitt) auf einer historischen Aufnahme aus der Zeit des deutschen Kaiserreichs (Bildarchiv der Deutschen Kolonialgesellschaft, Universitätsbibliothek Frankfurt am Main)
Im Juli 1940 veröffentlichte Carl Meinhof in der von ihm herausgegeben „Zeitschrift für Eingeborenensprachen“ folgenden Text:

„Dank dem Weitblick und der Tatkraft unseres großen Führers und dank der Tüchtigkeit des deutschen Heeres hat eine neue Zeit begonnen auch für die deutschen Kolonien und damit für die Erforschung der Eingeborenen-Sprachen.“

Er hoffe, so Meinhof weiter, dass Deutschland endlich wieder seine „rechtmäßig erworbenen Kolonien“ zurückbekomme. Denn, so schreibt er, er halte die Deutschen für besonders tüchtig „in der Behandlung der Eingeborenen und in der Erforschung ihrer Sprachen“.

Vom Landpastor zum Sprachwissenschaftler

Carl Meinhof, Theologe und Sprachwissenschaftler, war ab 1919 an der neu gegründeten Hamburger Universität der weltweit erste ordentliche Professor für Afrikanistik. Er träumte nach dem verlorenen 1. Weltkrieg weiter von großen deutschen Kolonien und von voll besetzten afrikanischen Sprachkursen unter seiner Leitung, sagt Ludwig Gerhardt. Der emeritierte Afrikanistikprofessor an der Universität Hamburg hat gerade eine Biografie über Carl Meinhof veröffentlicht.

„Der war vorher Landpastor in Hinterpommern und hatte da angefangen auf Missionsfesten, sich für Afrika und afrikanische Sprachen zu interessieren. Hat dann alles, was es damals gab, an Literatur zusammengekratzt und dort in seiner Klitsche durchstudiert.“

Missionare auf Heimaturlaub und deren Familien nutzte Pastor Meinhof für seine Sprachstudien. Als wertvolle Hilfe erwies sich ein Jugendlicher aus Kamerun, der in Deutschland eine Ausbildung bekommen sollte. Meinhof unterrichtete ihn im Deutschen und ließ sich von ihm Duala beibringen.

"Christianization, Colonisation, Civilisation"

Dabei erkannte er, dass afrikanische Sprachen, entgegen der verbreiteten Annahme, nicht primitiv waren, sondern ähnliche Strukturen aufwiesen wie indogermanische Sprachen. In einem historischen Tondokument der Reichsrundfunk-Gesellschaft von 1938 erklärt er:

„Diese Sprachen sind nämlich keineswegs einfach. Viele von ihnen verfügen sogar über eine reiche Formenlehre, wie z.B. die Bantusprachen mit ihren mancherlei Klassen der Hauptwörter und ihrer Fülle von Verbalformen.“

Obwohl Meinhof die große Kunstfertigkeit afrikanischer Kultur erkannt hatte, sah er doch die Europäer auserkoren, die Afrikaner zu erziehen. Ludwig Gerhardt verweist auf den Zeitgeist um 1900: „Es wird angenommen, die Afrikaner sind unterlegen, und die Europäer müssen kommen - auf Englisch waren das die drei Cs Christianisierung, Kolonisierung und Zivilisierung, die man den Afrikanern bringen müsste - um sie dann irgendwie annähernd auf das gleiche Niveau zu bringen wie die Europäer.“

In allen Wissenschaften, die sich mit Afrika beschäftigten, in Geografie, Völkerkunde und Geschichte, galt die Grundannahme: afrikanische Kulturen sind den westlichen unterlegen. „Und das hat sich ja bis Ende des zwanzigsten Jahrhunderts gehalten; solange, wie sich die Apartheid gehalten hat, dieses Überlegenheitsgefühl, das ist ja überhaupt charakteristisch für die historische Beziehung zwischen Afrikanern und Europäern.“
Koloniale Truppen in den afrikanischen Gebieten des Deutschen Kolonialreichs vom Ende des 19. Jahrhunderts bis 1918 (Farbige Zeichnung)
Als Zivilisations-Bringer für eine vermeintlich unterentwickelte Bevölkerung - so sahen sich die Kolonialherren gerne selbst (imago / imagebroker)

Afrikaner sollten nicht Deutsch lernen

Aber mit seiner vergleichenden Lautlehre der Bantusprachen hat Meinhof 1899 ein sensationelles und epochales Werk geschaffen, sagt Ludwig Gerhardt. „Und darin liegt eigentlich auch die bleibende Bedeutung von Meinhof, dass er da einen systematischen Vergleich afrikanischer Sprachen in Gang gebracht hat und da auch Ergebnisse erzielt hat, die wirklich noch nach hundert Jahren Bestand haben.“

Carl Meinhof erhielt Stipendien und Ehrungen, der Kaiser finanzierte ihm eine monatelange Reise nach Zanzibar und Daressalaam. 1903 wurde er Sprachlehrer, dann Professor für Orientalische Sprachen an der Universität Berlin, 1909 berief Hamburg ihn ans Kolonialinstitut, aus dem später die Universität hervorging.
Die Kenntnis afrikanischer Sprachen war gerade für das koloniale Deutschland außerordentlich wichtig. Die meisten Kolonialstaaten, so Ludwig Gerhardt, verlangten von den Afrikanern, die jeweilige Sprache der Kolonisatoren anzunehmen.

„Die Deutschen hatten da ein anderes Konzept. Sie wollten nicht, dass die Afrikaner Deutsch lernen. Da könnten sie ja mithören, was die entsprechenden Politiker reden, und könnten da sozialdemokratische Zeitungen lesen - das ist damals wirklich so formuliert worden - und da mitkriegen können, dass es auch in Deutschland Leute gab, die gegen Kolonien waren. Und deswegen wollten sie also möglichst die Afrikaner in afrikanischen Sprachen unterrichten, mit ihnen in afrikanischen Sprachen kommunizieren. Aber dazu musste man die ja lernen.“

Sprach-Lehrbücher atmen kolonialen Zeitgeist

Am orientalischen Seminar in Berlin und am Hamburger Kolonialinstitut wurden Beamte in afrikanischen Sprachen unterrichtet. Lernsätze aus Meinhofs Suaheli-Lehrbuch atmen Zeitgeist: „Mir sind 10 Träger entlaufen." „Boy, bring das Wasser!"

Dieses Lehrbuch wurde noch bis in die 1960er Jahre an deutschen Universitäten verwendet. Meinhof hat dazu beigetragen, das Bild des primitiven Afrikaners über Jahrzehnte zu zementieren, so der Geschichtsprofessor Jürgen Zimmerer, Leiter der Forschungsstelle „Hamburgs postkoloniales Erbe“. Der erste Afrikanist, sagt er, war nicht nur Sprachwissenschaftler, sondern betrieb auch angewandte Kolonialwissenschaften.

„Das Problem bei Meinhof zeigt sich dann, als er die so genannte Hamiten-These im Grunde weiterentwickelte, die aus Großbritannien kam und eigentlich davon ausgeht, dass die Kulturleistungen in Afrika, die die Europäer im Zuge der Kolonisierung ja durchaus sahen, eben nicht von den AfrikanerInnen selbst erbracht worden wäre. Sondern dass es im Grunde eine so genannte hamitische Rasse gäbe, die in Afrika eingewandert sei, die dunkler ist als die Europäer, aber heller als die Afrikaner und die diese Kulturleistungen eigentlich gebracht hat.“

Hamiten-These hat dramatische Folgen in Ruanda

1912 veröffentlichte Carl Meinhof das Buch „Die Sprache der Hamiten“. Darin beschreibt er eine fiktive Rasse der Hamiten; eine überlegene Zwischenrasse, von Europäern abstammend, die den Afrikanern kulturelle Leistungen erst ermöglicht hat. Ein Mythos, der von den deutschen Kolonialherren aufgegriffen wurde und der weitreichende Folgen bis in die Gegenwart hat, sagt Jürgen Zimmerer:

„Diese Vorstellung, dass es eine überlegene Zwischenrasse gäbe, entwickelt vor allem in Ruanda ganz katastrophale Folgen: Als der Gegensatz zwischen Hutu und Tutsi, der eigentlich ein sozialer Gegensatz ist, unter Heranziehung der Hamitenthese als Gegensatz zweier ‚Rassen‘ im Grunde konstruiert wurde und dann in diesen Genozid von 1994 mündete. Dass die Tutsi von den Hamiten abstammen, weil sie etwas größer sind und die einen ethnischen Gegensatz bilden, der dann über Genozid gelöst werden sollte - während es tatsächlich eigentlich ein sozialer Gegensatz war zwischen Ackerbauern und Viehzüchtern.“

Rassistische Kontinuitäten in der Afrikanistik

Auch eine Geschichte, die vorbei ist, ist eben nicht vorbei, so Jürgen Zimmerer. Dem Rassismus des Carl Meinhof folgten viele Lehrstuhlinhaber nach:

„Sein Nach-Nachfolger Damann, der in den 30er-Jahren nach Ostafrika geht, dort die NSDAP-Ortsgruppe leitet, dann hier Professor für Afrikanistik wird, als Nach-Nachfolger von Meinhof. Und der Zeit seines Lebens, soweit wir wissen, zum Beispiel das Apartheid-Regime in Südafrika verteidigt hat. Also da gibt es dann schon Kontinuitäten.“

Kontinuitäten, die bis heute nachwirken. Und, so Jürgen Zimmerer, die auch in der Wissenschaft noch längst nicht aufgearbeitet sind: „Für das ganze Wissenschaftssystem ist der Kolonialismus ein wichtiger Antrieb und auch ein wichtiges Durchgangsstadium. Die Geografie gäbe es wahrscheinlich gar nicht als akademische Disziplin, genauso wenig wie die Völkerkunde ohne den Kolonialismus. Und alle diese Fächer reflektieren das kaum.“