Perspektiven in der Pandemie
Wie geht es weiter nach der Omikron-Welle?

Die Omikron-Welle hat ihren Höhepunkt erreicht, die Corona-Neuinfektionen gehen bereits leicht zurück. Doch ein Ende der Pandemie ist damit noch nicht in Sicht. Im Herbst wird das Infektionsgeschehen wahrscheinlich wieder zunehmen. Welche Maßnahmen dann nötig werden, wird vor allem von der Impfquote abhängen.

    Ein Schild ist zu sehen, auf dem "Corona-Krise" durchgestrichen, darüber steht "Freedom Day".
    Für die warmen Monate erwarten Experten relativ niedrige Fallzahlen (IMAGO / Michael Weber)
    Seit mehr als zwei Jahren ist Deutschland im pandemischen Ausnahmezustand – mal mit mehr mal mit weniger Beschränkungen des privaten und öffentlichen Lebens. An diesem Mittwoch (16.2.2022) haben Bund und Länder nun weitreichende Lockerungen der Corona-Maßnahmen ab dem 20. März beschlossen. Doch wie ist eigentlich die mittelfristige Perspektive zum Leben mit Corona? Wann könnte ein Leben ohne Beschränkungen wieder möglich sein? Und zu welchem Preis? Ein Überblick.


    Lockerungen in drei Schritten

    Bei ihrem Treffen am 16. Februar 2022 haben Bund und Länder beschlossen, bis zum 20. März die meisten Corona-Schutzmaßnahmen auslaufen zu lassen. Bundeskanzler Olaf Scholz und die 16 Ministerpräsidenten einigten sich auf einen Drei-Stufen-Plan für die Rücknahme von Beschränkungen.
    In der ersten Stufe fallen die Kontaktbeschränkungen für Geimpfte und Genesene sowie 2G-Regeln im Handel. Ab dem 4. März soll dann für Gastronomie und Hotels wieder eine 3G-Regel gelten (geimpft, genesen, getestet). Dann sollen auch Diskotheken und Bars mit einer 2G-Plus-Regel wieder öffnen können und neue Obergrenzen für Großveranstaltungen gelten. Die Höchstgrenze für Außenveranstaltungen soll auf 25.000 Besucher hochgesetzt werden, die in Innenräumen auf 6000 oder eine maximale Auslastung von 60 Prozent.

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    Ab dem 20. März sollen dann alle schwerwiegenden Corona-Beschränkungen fallen, "wenn die Situation in den Krankenhäusern dies zulässt", heißt es in dem Beschluss. Allerdings sollen die gesetzlichen Möglichkeiten geschaffen werden, dass die Bundesländer auch danach noch Maßnahmen wie Maskenpflicht und bestimmte Testauflagen verhängen können. Es müssten für die Zeit nach dem 20. März noch einige Basis-Schutzmaßnahmen beibehalten werden, sagte Scholz, da die Pandemie noch nicht vorbei sei.

    Überwiegend positive Reaktionen

    Die Reaktionen von Experten auf den bereits vorab bekannt gewordenen Stufenplan fallen überwiegend positiv aus.
    Der Intensiv-Mediziner Christian Karagiannidis, der auch Mitglied des Expertenrates der Bundesregierung ist, bewertete die angedachten Lockerungen als grundsätzlich sinnvoll. Vor allem das Stufenkonzept sei wichtig, sagte der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin in der ARD. Es sollte aber angepasst sein an die Entwicklung der Infektionszahlen. Es dürften am 20. März auch nicht alle Maßnahmen auslaufen. Zumindest die Möglichkeit der Maskenpflicht und des Abstandsgebots sollte im Gesetz verstetigt werden, so Karagiannidis.
    Auch nach Meinung des Virologen Martin Stürmer dürften die Lockerungen nicht starr nach Terminen ablaufen. Stattdessen müssten die Schritte an die pandemische Situation gekoppelt sein, sagte Stürmer vorab am 15. Februar 2022 im Deutschlandfunk. Insgesamt kämen die Lockerungen etwas zu früh, man sei noch nicht über den Berg, mahnte der Virologe. Die 2G-Regel aufzugeben, sei aber vertretbar, da diese gegen Omikron nicht mehr so wirksam sei wie gegen Delta. Stattdessen solle es eine konsequente FFP2-Maskenpflicht geben.
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    Positiv hatte sich im Vorfeld auch der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß in der "Rheinischen Post" (15.2.2022) geäußert. Er sagte, die Gesellschaft brauche einen Plan für schrittweise Lockerungen, diesen aber selbstverständlich mit Augenmaß. Er mahnte jedoch: "Wir brauchen politische Weichenstellungen, die dafür sorgen, dass wir für den Winter gerüstet sind. Die Politik sollte deshalb dringend an der allgemeinen Impfpflicht festhalten."
    Kritik äußerte dagegen der Virologe Klaus Stöhr. Ihm gehen die Lockerungen nicht schnell genug. Dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ sagte Stöhr (15.2.2022): „Man muss überall dort lockern, wo es nachweislich nicht zu Corona-Ausbrüchen kommt. Eine Aufhebung aller G-Regeln in Einzelhandel und in Gastronomie ist zwingend notwendig, da beides nie Hotspots waren.“

    Entspannung im Frühjahr, neue Welle im Herbst

    Anfang Januar 2022 haben Modellierer den Höhepunkt der Omikron-Welle für Mitte Februar prognostiziert - und damit recht behalten. Nun sei mit abnehmenden Inzidenzen zu rechnen, sagte Modellierer Dirk Brockmann am 11. Februar 2022 im Deutschlandfunk. Es könne allerdings sein, dass der sich zunehmend ausbreitende Omikron-Subtyp BA.2 den Rückgang bremst. Denn BA.2 verbreitet sich etwas leichter als der noch dominierende Omikron-Subtyp BA.1.

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    „Wenn die Fallzahlen runter gehen und wir diese Welle hinter uns haben, dann spricht auch gar nichts dagegen, schrittweise zu öffnen“, sagte Brockmann. Es sei dann auch nicht damit zu rechnen, dass die Zahlen in der Reaktion wieder ansteigen. Die Omikron-Welle folge einem typischen Verlauf und der Rückgang sei dabei durch zunehmende Immunität nach überstandenen Infektionen in Kombination mit der Immunität durch Impfstoffe zu erwarten.
    Zu niedrigeren Inzidenzen dürfte dann auch das zunehmend warme Wetter beitragen, sagte der Pharmazieprofessor und Modellierer Thorsten Lehr am 12. Januar 2022 im Deutschlandfunk. Der positive Effekt der Saisonalität wird allerdings im Herbst verloren gehen. Spätestens dann bestehe "das Risiko erneuter Infektionswellen", schreibt der Expertenrat der Bundesregierung in seiner Stellungnahme vom 13.2.2022.

    Impfquoten und Mutationen sind für das Ende der Pandemie entscheidend

    SARS-CoV-2 wird nicht einfach wieder verschwinden. Aber mit zunehmender Immunität der Bevölkerung, könnte man irgendwann ohne einschränkende Infektionsschutzmaßnahmen auskommen. Wann das sein wird, hängt von vielen Faktoren ab. Bis dahin ist mit wiederkehrenden Infektionswellen zu rechnen. SAGE, eine wissenschaftliche Beratergruppe aus Großbritannien geht davon aus, dass dieser Prozess noch über zwei bis zehn Jahre dauern könnte.
    Wie verändert sich das Virus?
    Eine zentrale Frage ist, wie sich das Virus zukünftig verändern wird. Wir müssten „hoffen, dass keine neue Variante kommt, die vielleicht einen anderen Immune Escape oder andere Bösartigkeiten noch auf Lager hat“, sagte der Pharmazieprofessor und Modellierer Thorsten Lehr im Januar im Deutschlandfunk. Solche Varianten könnten die Wirkung bisheriger Impfstoffe deutlich abschwächen und damit den Kampf gegen die Pandemie erheblich zurückwerfen. Die wissenschaftliche Beratergruppe SAGE geht davon aus, dass neue Varianten sich stets schneller verbreiten werden, als ein angepasster Impfstoff zur Verfügung stehen wird.
    Aber nicht nur neue Varianten könnten Probleme bereiten, sagte der Epidemiologe André Karch am 14. Februar 2022 im Deutschlandfunk. Auch die Delta-Variante könnte im kommenden Herbst wieder eine Rolle im Infektionsgeschehen spielen. Die Infektionen mit Delta seien zurückgegangen, weil Impfungen und durchgemachte Infektionen in der Bevölkerung eine gute Immunität gegen die Mutation erzeugt hätten. Der spezifische Schutz gegen Delta werde aber nun wieder abnehmen.
    Ein Meilenstein wäre hier ein Impfstoff, der weniger anfällig für Mutationen ist. Forscher am Universitätsklinikum Tübingen suchen danach und fokussieren sich dabei auf die T-Zellen, sozusagen die zweite Abwehrlinie unseres Immunsystems nach den Antikörpern. Der Vorteil: Die T-Zellen erkennen nicht nur das Spike-Protein des Coronavirus und sind damit weniger sensibel für Mutationen. Erste Ergebnisse machen Hoffnung. In einer kleinen Phase-1-Studie hat der Impfstoff in den Probanden eine starke T-Zell-Antwort hervorgerufen. Profitieren würden davon insbesondere auch Risikopatienten, die aufgrund einer Erkrankung oder wegen bestimmter Therapien, keine Antikörper bilden können, deren T-Zell-Antwort aber funktioniert. Ein Nachteil der T-Zellen: Vor einer Infektion können sie nicht schützen, wohl aber vor schweren Krankheitsverläufen.

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    Wie gut ist die Bevölkerung immunisiert?
    Wie groß der Anteil der immunisierten Bevölkerung sein muss, damit ein Leben ohne besondere Infektionsschutzmaßnahmen risikoarm möglich ist, hängt auch von der jeweils grassierenden Variante ab. Zu Beginn der Pandemie haben viele Wissenschaftler eine Impfquote von zirka 70 Prozent als Zielmarke genannt. Doch da das Virus mutiert, mit Delta gefährlicher und mit Omikron ansteckender geworden ist, hat das Robert-Koch-Institut (RKI) diese Marke auf zirka 90 Prozent nach oben korrigiert. Mitte Februar sind in Deutschland 74,9 Prozent der Gesamtbevölkerung zweifach geimpft, 55,6 Prozent haben eine Auffrischungsimpfung erhalten (Stand 15.2.2022).
    Immunität gegen das Virus lässt sich auf zwei Wegen erreichen: Durch Impfung oder Infektion. Dabei sei die Impfung aber klar zu bevorzugen, sagte der Virologe Christian Drosten am am 23. Januar 2022 im Deutschlandfunk. Denn Immunität durch Infektion habe einen hohen Preis "in Form von Todesfällen in Bevölkerungen, die relativ alt sind“. Zudem seien Ungeimpfte, die bereits eine Infektion mit einer Variante durchgemacht haben, keineswegs automatisch gegen eine neue Variante immun.
    Impfungen würden dagegen wahrscheinlich zumindest teilweise gegen neu aufkommende Varianten schützen. Um eine stabile Immunität zu erreichen, müssten sich Menschen nach der Grundimmunisierung durch Impfung dann mehrfach infizieren – ein äußerst langwieriger Prozess. Drosten glaubt nicht, dass es gelingen werde, bis zum Beginn des nächsten Winters eine komplette Immunisierung durch Impfung zu erlangen – also dass die große Mehrheit auch zusätzlich eine Omikron-spezifische Impfung nachgeholt habe. „Wenn wir das hinbekämen, könnte ich mit Überzeugung sagen: Im nächsten Winter ist die Pandemie vorbei.“
    Auch der Expertenrat der Bundesregierung, dem neben Drosten 18 weitere Experten angehören, sieht Impfungen als den Schlüssel aus der Pandemie. "Die zumindest dreifache Impfung erweist sich weiterhin als das effektivste Instrument, um die Krankheitslast durch COVID-19 zu minimieren und das Ende der Pandemie schrittweise zu erreichen", heißt es in der Stellungnahme vom 13. Februar 2022.
    Quellen: Arndt Reuning, SAGE, RKI, Expertenrat der Bundesregierung, dpa, AFP, pto