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Debatte um Kohleausstieg
Studie: Kohlekommission hat öffentlichen Diskurs nicht versöhnt

Die 2018 eingesetzte Kohlekommission habe eines ihrer wichtigen Ziele verfehlt, sagt der Leiter einer Studie des Mercator Research Center MCC: die öffentliche Meinung zu dieser kontroversen Frage zusammenzubringen. Doch die Studie hat eine Schwäche.

Von Christine Westerhaus | 17.08.2022
Protest gegen früheren Kohleausstieg am Kraftwerk Schwarze Pumpe (LEAG).
Ein Kühlturm des Braunkohlekraftwerks Schwarze Pumpe (LEAG) ist anlaesslich des Barbaratages (04. Dezember 2021) rot angestrahlt und mit einem Ausrufezeichen versehen um gegen einen vorgezogenen Kohleausstieg zu protestieren.
Protestaktion gegen den früheren Kohleausstieg am Kraftwerk Schwarze Pumpe (LEAG). (picture alliance / Andreas Franke)
Für ihre Analyse haben die Forschenden gut 700.000 Tweets und mehr als eine Million Retweets ausgewertet – also weitergeleitete Kurznachrichten -, die vor und nach dem Einsetzen der Kohlekomission veröffentlicht wurden. Dabei zeigte sich: Die Zahl der Nachrichten stieg deutlich an, das Thema trieb die Twittergemeinde also um, sagt Finn Müller-Hansen vom Mercator Research Center MCC in Berlin. Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen ging er in einer Studie der Frage nach, wie sich der öffentliche Diskurs über den Kohleausstieg verändert hat, während die Kohlekommission am runden Tisch tagte: "Und da haben wir eben diese Twitter-Daten als eine Annäherung an die öffentliche Debatte genommen.“

Twitter-Daten als Grundlage für eine Bild der öffentlichen Meinung

Um aus den Twitternachrichten ablesen zu können, wie sich das Stimmungsbild durch die Arbeit der Kohlekommission gewandelt hat, haben die Forschenden ein Computerprogramm genutzt, das die Tweets nach bestimmten positiven und negativen Begriffen durchforstete, erklärt Müller-Hansen:

„Wir haben uns vor allen mit drei Dimensionen beschäftigt. Einerseits haben wir eine Methode benutzt, die nennt sich Sentiment-Analyse. Da guckt man sich an, wie positiv oder negativ über ein bestimmtes Thema geredet wird. Und da haben wir herausgefunden dass sich Tweets zum Kohleausstieg während dieser Zeit immer negativer dargestellt haben. Und diese Methode hat auch gezeigt, dass die Polarisierung zugenommen hat, also die positiven Tweets sind positiver geworden und die negativen negativer. Wir haben uns außerdem noch Netzwerke von Retweets angeschaut - also die Leute, die diese Tweets weiter gepostet haben - und festgestellt: Die Leute haben den jeweiligen Content nicht stärker als sonst außerhalb ihrer Bubbles geteilt.“ 

Forscher: Kohlekommission hat wichtiges Ziele verfehlt

Damit hätte die Kohlekommission eines ihrer wichtigsten Ziele verfehlt, sagt Finn Müller-Hansen. Sie sollte dafür sorgen, dass sich Menschen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen untereinander austauschen und miteinander über die Vor- und Nachteile des Kohleausstiegs diskutieren:
"Wir können, glaube ich, schon sagen, dass das sekundäre Ziel nicht erreicht wurde, die öffentliche Meinung zu dieser doch relativ kontroversen Frage zusammenzubringen. Es ist natürlich nur eine Fallstudie hier, die wir machen, insofern ist es schwierig, das zu generalisieren. Aber in diesem Fall würde ich schon sagen, hätten sich andere Formate der politischen Meinungsbildung wahrscheinlich eher angeboten, wenn das primäre Ziel gewesen wäre, die öffentliche Meinung zu einem Konsens zu bringen." 

Kommunikationsforscher: Twitter ist nicht repräsentativ

Doch die Frage ist, inwieweit sich Twitter oder andere soziale Medien wie Facebook oder Youtube überhaupt dazu eignen, den Puls der öffentlichen Meinung zu fühlen. Denn viele Studien zeigen: Das Meinungsbild auf Twitter ist nicht repräsentativ für die gesamte Bevölkerung. Beobachtungen aus solchen Analysen sollten deshalb sehr vorsichtig interpretiert werden, sagt der Leipziger Kommunikationswissenschaftler Christian Hoffmann, der nicht an der Studie beteiligt war.
„Ich würde sagen, dass man aus Twitteranalysen keine Rückschlüsse auf die öffentliche Meinung ziehen kann, weil eben nur ein sehr kleiner Teil der Deutschen überhaupt Mitglied ist auf Twitter. Das ist keine Zufallsauswahl, sondern bestimmte Personengruppen sind überrepräsentiert auf Twitter - Personen mit einem hohen sozioökonomischen Status und so weiter. Insbesondere wenn man sich dann die wenigen Twitter Nutzer anschaut, die wirklich viel posten, dann sehen wir halt wirklich, dass dort vor allem Personen repräsentiert sind, die irgendwie einen kommunikativen Beruf haben. Also Journalisten, Politiker, Wissenschaftler und so weiter. Und deswegen ist Twitter eher ein interessantes Abbild von einem Fach- oder Eliten-Diskurs.“ 

Wichtige Hinweise durch Fallstudien

Facebook- oder Reddit-Analysen würden sich womöglich besser dazu eignen, ein allgemeines Stimmungsbild in der Bevölkerung zu erfassen. Denn dort sind eher Menschen aus unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaft aktiv. Doch die Betreiber dieser Plattformen halten ihre Daten unter Verschluss. Sie sind deshalb für Forschende nicht so einfach zugänglich. Für Kommunikationswissenschaftler biete die Fallstudie zur Diskussion über den Kohleaussteig bei Twitter dennoch wichtige Hinweise, sagt Christian Hoffmann:
"Das scheint mir ein ganz interessantes Ergebnis zu sein, dass man dann feststellen kann, dass da eigentlich im Laufe der Zeit nicht mehr Interaktion zwischen diesen Gruppen im Netz festzustellen ist, obwohl einige dieser Gruppierungen in der Kohlekommission vertreten sind und da miteinander reden. Insofern überträgt sich diese Zusammenarbeit in der Kommission offenbar nicht so sehr auf die Online-Kommunikation dieser Gruppierungen."