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Gentherapie bei Epilepsie
Neuronen gezielt runterfahren

Eine neue Art der Gentherapie könnte epileptische Anfälle dort unterdrücken, wo sie entstehen: In den Nervenzellen, deren Aktivität zu hoch ist. Letztere könnte gezielt runtergefahren werden. Die Methode funktioniert bislang zumindest bei Mäusen.  

von Anneke Meyer | 22.12.2022
Darstellung eines Gehirns - eine Hirnpartie ist rot erleuchtet.
Darstellung eines Gehirns - eine Hirnpartie ist rot erleuchtet. (imago/Science Photo Library)
Bei einem epileptischen Anfall spielen Nervenzellen im Gehirn verrückt: Ihre Aktivität ist viel zu hoch, die Kommunikation in einem Teil des Gehirns wird gestört. Medikamente sollen, die Aktivität der außer Kontrolle geratenen Neurone drosseln. In der Praxis funktioniert das aber oft nicht:

„Bei etwa einem Drittel der Patienten hilft keines der bekannten Medikamente. Für sie ist die einzig bleibende Möglichkeit, den Teil des Gehirns entfernen zu lassen, von dem die Anfälle ausgehen. Auch das ist aber nicht immer möglich. Wir müssen deshalb neue Ansätze entwickeln, wie diesen Leuten geholfen werden kann.“

Gabriele Lignani ist Professor am University College London. Er erforscht, was im Gehirn schiefgeht, wenn es zu einem epileptischen Anfall kommt und was man dagegen tun kann. Dabei setzen er und sein Team auf Gentherapie: Harmlose Viren, so genannte Vektoren oder auch “Gen-Fähren“, werden benutzt, um Erbinformationen in Zellen einzuschleusen und sie damit gezielt zu verändern.

Gentherapie bei hyperaktiven Neuronen


Ein Ansatz, der in der Epilepsie-Forschung relativ neu ist. Zugelassene Behandlungen gibt es noch nicht, aber vorklinische Studien zeigen das Potential auf, das die Methode für die Behandlung von Epilepsie haben könnte.

Gabriele Lignani und sein Team haben einen gentherapeutischen Ansatz entwickelt, der hyperaktive Nervenzellen erkennt und ihre Aktivität herunterfährt. Neurone die ganz regulär funktionieren, bleiben davon unbeeinflusst.

“Der Vektor liefert immer zwei Teile: Den Promotor, das ist ein Stück DNA, das festlegt, wodurch die Therapie in Gang gesetzt wird, und den Effektor. Ein Gen, das bestimmt, was passiert. In diesem speziellen Fall haben wir einen Promotor gefunden, der anspringt, wenn eine Zelle sehr stark feuert. Er aktiviert ein Gen, das für einen Ionenkanal kodiert, durch den die Zellaktivität gesenkt wird. Das heißt, wenn ein Neuron hyperaktiv wird, reagiert dieser Mechanismus und beruhigt das Neuron.“ 

Bei Untersuchungen im Maus-Modell gelang es dem Team so, epileptische Aktivität im Anfallsherd deutlich zu senken. Das Verhalten und die Lernfähigkeit der Tiere war normal. Anzeichen für Nebenwirkungen gibt es damit bisher nicht.

Ergebnisse, die den Erregungszustand bei Gabriele Lignani und seinem Team auf einer Scala von eins bis zehn ganz eindeutig in die Höhe treiben.  

“Is ten the Maximum? Ten plus!”

Eingebauter Aktivitäts-Schalter kontrolliert Neuronen

Denn: Durch den eingebauten Aktivitäts-Schalter, kontrolliert die Therapie grundsätzlich selbst, ob sie gebraucht wird oder nicht. 

„Die Sache ist in doppelter Hinsicht smart: Man muss den Ort der Zielzellen nicht vorher ganz genau festlegen. Die Gen-Therapie wird nur dort aktiv, wo sie Hyperaktivität feststellt. Man muss auch nicht festlegen, wann die Therapie wirken soll, denn auch das wird nach Bedarf durch die Aktivität gesteuert. Theoretisch, schaltet sich die Gen-Therapie damit selber an und ab, je nachdem was gebraucht wird.“

Theoretisch… Praktisch könnte in dieser Stärke des Ansatzes aber auch ihr Nachteil liegen:

„Die Wirkung der Therapie setzt erst nach einem primären Anfall ein.“

Christoph Schwarzer will kein Spielverderber sein, aber dieser Punkt macht ihn skeptisch. Der Professor an der medizinischen Universität Innsbruck forscht in Zusammenarbeit mit der Charité auch an Möglichkeiten, Gentherapien zur Behandlung von Epilepsie zu nutzen.

„Der Ionenkanal ist dann über eine Zeitspanne da, wird aber immer weniger und dann ist die Wirkung wieder weg.“

Muss die Gentherapie immer wieder angestoßen werden?

Bräuchte es also in regelmäßigen Abständen „Erinnerungs-Anfälle“ um die Gentherapie wieder anzuschalten? Gabriele Lignani sieht in seinen Daten Hinweise, dass das nicht zwingend der Fall ist. Eindeutig überprüfen kann man das im Maus-Modell nicht.
Christoph Schwarzer verfolgt in seiner Forschung lieber einen Ansatz, dessen Wirkung nicht auf einem initialen Anfall beruht.     

„Es ist zu diesem Zeitpunkt, wo sehr viele Gentherapien parallel entwickelt werden, keine absehbar, die hundertprozentig perfekt ist. Die ohne jegliche Kritik zu sehen ist. Und das macht es enorm schwierig, dieses Zukunftspotenzial dieser Therapien abzuschätzen.“
 Was letztlich wirklich funktioniert, wird sich erst in klinischen Untersuchungen mit Patienten zeigen.