Bündnis 90/Die Grünen – das ist zurzeit eine Partei im Krisenmodus, obwohl es noch gar nicht so lange her ist, dass sich die Grünen Hoffnungen auf das Kanzleramt machten. Doch inzwischen ist die Partei in den Umfragen abgestürzt, hat drei desaströse Landtagswahlen hinter sich.
Die Parteispitze ist deswegen zurückgetreten und musste neu besetzt werden. Das sind keine guten Voraussetzungen für die kommende Bundestagswahl am 23. Februar. Wie positionieren sich die Grünen nun im Wahlkampf nach dem Ampel-Aus? Schafft die Partei noch die Trendwende?
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Wer führt die Grünen in die Bundestagswahl?
Wirtschaftsminister Robert Habeck ist der Spitzen- bzw. Kanzlerkandidat der Grünen, er wurde Mitte November auf dem Bundesparteitag in Wiesbaden von den Deligierten nominiert. Lange schon gab es keinen Zweifel an Habecks Ambitionen. "Ich will Verantwortung suchen und tragen", bekräftigte er in seiner Bewerbungsrede: "Und wenn es uns ganz weit trägt, dann auch ins Kanzleramt."
Zuvor hatte Habeck bereits ein Bewerbungsvideo veröffentlicht. „Wir dürfen nicht davon ausgehen, unsere liberale Demokratie sei auf ewig garantiert. Wir müssen um und für sie kämpfen“, begründete er hier seine Kandidatur.
Angesichts des Bruchs der Regierung und mauer Umfragewerte seiner Partei ist sich Habeck allerdings bewusst, dass die Ausgangslage "nicht optimal" ist. Derzeit liegen die Grünen in Umfragen bei etwa zwölf Prozent, 2022 waren es noch über 20 Prozent. Noch vor einigen Jahren war Habeck als großer Erklärer und zukünftiger Kanzler gefeiert worden. Der Realo und Buchautor war Umfragen zufolge der beliebteste Politiker in Deutschland.
Dieser Hype hat sich deutlich relativiert - der Wirtschaftsminister stand in den vergangenen drei Jahren, in denen die Grünen an der Regierung beteiligt waren, oft in der Kritik.
Am schädlichsten für ihn und seine Partei war wohl die emotionale Debatte über das vom Wirtschaftsministerium vorgelegte Heizungsgesetz, das einen Wechsel zu alternativen Wärmequellen vorsieht. Begriffe wie „Heizhammer“, „Heizverbot“ oder „Energie-Stasi“ fielen. „Das Heizungsgesetz machte Robert Habeck vom Liebling der Nation zur Hassfigur“, titelte der „Spiegel“ Ende 2023.
Umfragen zufolge ist Habeck derzeit populärer als Bundeskanzler Olaf Scholz – liegt aber knapp hinter dem CDU-Spitzenkandidaten Friedrich Merz. Habecks Aufgabe ist es nun, nicht nur die Wähler, sondern auch den linken Flügel der Partei von seinem Kurs zu überzeugen.
Dass die innerparteiliche Verständigung Grenzen hat, zeigte unter anderem der Rück- und Austritt des gesamten Vorstands der Grünen Jugend. Rückhalt soll Habeck nun von der neuen Parteispitze erhalten, die auf dem Bundesparteitag in Wiesbaden gewählt wurde. Felix Banaszak und Franziska Brantner sollen die Grünen mit aus dem Umfragetief führen.
Mit welchen Inhalten geht Bündnis 90/Die Grünen in den Wahlkampf?
Über das Programm für die Bundestagswahl wollen die Grünen im Januar beraten. Einige Themen standen aber bereits beim Bundesparteitag in Wiesbaden Mitte November auf der Agenda. In entsprechenden Anträgen ging es um mehr Verteilungsgerechtigkeit und eine menschenrechtsorientierte Migrationspolitik.
Außerdem plädieren die Grünen für mehr Anstrengungen beim Klimaschutz und eine Lockerung der Schuldenbremse. In den letzten Jahrzehnten sei zu wenig in die Infrastruktur des Landes investiert worden, sagt Habeck. "Wir haben unsere Haushalte saniert, also die Schuldenquote reduziert, aber in der öffentlichen Infrastruktur quasi eine große Schuld aufgebaut. Die Brücken brechen zusammen. Die Bahn ist nur noch zynisch als 'pünktlich wie die Bahn' zu bezeichnen." Kitas, Schulen, Turnhallen und Spielplätze seien mitunter marode.
Mit Blick auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine fordern die Grünen ein stärkeres Engagement beim Zivil- und Katastrophenschutz sowie bei der inneren und äußeren Sicherheit. Außenministerin Annalena Baerbock rief im Bundestag dazu auf, die Ukraine-Hilfen noch vor der Wahl sicherzustellen. Habeck setzt sich außerdem für ein weiteres Sondervermögen für die Bundeswehr ein.
Wie ist Bündnis 90/Die Grünen derzeit aufgestellt?
Niedrige Umfragewerte, schwindende Zustimmung bei jungen Wählern, drei miserable Landtagswahlen, der anhaltende Streit in der Ampel und schließlich das Ende der Regierungskoalition: Die Grünen gehen mit einer langen Liste von Problemen in den verkürzten Bundestagswahlkampf.
Auch das Image als vermeintliche „Verbotspartei“ macht den Grünen zu schaffen. Es sei schon ein bisschen zum Volkssport geworden, Grüne zu hassen, sagte die ehemalige Parteichefin Ricarda Lang in einem Podcast von „Focus online“.
Man merke bei den Grünen eine gewaltige Verunsicherung durch die schlechten Wahlergebnisse, sagt die Spiegel-Journalistin Melanie Amann - "und durch die erfolgreiche Erzählung der politischen Konkurrenten, dass die Grünen bevormundend sind, dass sie arrogant sind“ .
Hinzu komme, dass die Partei an einem politischen Scheideweg stehe, meint Amann. Es gehe um die Frage: „Wollen wir Habeck-mäßig in die Mitte des politischen Angebots dringen und den Leuten aus der Mitte heraus ein Angebot machen? Oder wollen wir die reine Lehre - wollen wir uns fokussieren auf Klimaschutz, einen migrationsfreundlichen Kurs?“
Wie sehen die Umfragen für Bündnis 90/Die Grünen aus?
„Erstmals sind die Grünen laut ARD-Deutschlandtrend stärkste Partei“, hieß es im Juni 2019. Damals lagen sie in Umfragen mit 26 Prozent knapp vor der Union. Wird Bündnis 90/Die Grünen zur neuen Volkspartei? Das war eine medial viel diskutierte Frage ehemals.
Bei der Bundestagswahl 2021 holten die Grünen dann fast 15 Prozent – immerhin ein Gewinn von knapp sechs Prozentpunkten im Vergleich zur Wahl 2017. Im Sommer 2022 erreichten die Grünen noch einmal ein Umfragehoch von 23 Prozent. Danach sanken die Zustimmungswerte. Nun liegen die Grünen den bundesweiten Wahlprognosen zufolge bei etwa zwölf Prozent.
Vor allem bei jungen Wählern scheint die Partei immer weniger punkten zu können. Das legen zumindest die Ergebnisse der Europawahlen im Sommer 2024 nahe, bei denen die Partei bei den Wählern zwischen 16 und 24 Jahren starke Verluste hinnehmen musste.
Auch in Ostdeutschland tun sich die Grünen schwer: Bei der Landtagswahl in Brandenburg holten sie zuletzt etwa vier Prozent und verpassten damit den Einzug ins Parlament. In Thüringen (3,2 Prozent) blieben sie ebenfalls unter der Fünf-Prozent-Hürde. Nur in Sachsen gelang ihnen knapp - mit 5,1 Prozent – der Einzug in den Landtag.
Wie stehen die Chancen auf eine Regierungsbeteiligung nach der Bundestagswahl?
Um zu prognostizieren, wie es mit einer künftigen Regierungsbeteiligung der Grünen aussehen könnte, lohnt sich vor allem ein Blick auf die CDU, die Umfragen zufolge vermutlich stärkste Kraft im neuen Bundestag werden wird.
CDU-Spitzenkandidat Friedrich Merz weiß: Eine absolute Mehrheit wird es nicht geben, er ist also auf Koalitionspartner angewiesen. Die AfD hat die Union klar ausgeschlossen. Ob die FDP ins Parlament einziehen wird, ist ungewiss. Und CDU und BSW scheinen auf Bundesebene nur schwer vereinbar.
Es bleiben also nur SPD und Grüne als mögliche Koalitionspartner. Doch der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat einem schwarz-grünen Bündnis auf Bundesebene bereits eine Absage erteilt, CDU-Chef Friedrich Merz lehnt es hingegen nicht grundsätzlich ab.
Nur die SPD als möglichen Koalitionspartner zu benennen, wäre für die Union auch strategisch unklug - das würde den Sozialdemokraten einen deutlichen Vorteil bei möglichen Verhandlungen verschaffen. Außerdem könnte die CDU nach der Wahl auch auf zwei Koalitionspartner angewiesen sein.
Ob Söder also bei seinem Nein zu den Grünen bleibt, steht in den Sternen. Die Grünen sind momentan verwundbar, und der bayerische Ministerpräsident rechnet sich vermutlich aus, das ausnutzen und einen harten Wahlkampf führen zu können.
Doch wenn die Grünen nachher gebraucht werden, könnte Söder auch mit der ihm eigenen Flexibilität reagieren. Für Deutschlandfunk-Chefkorrespondent Stephan Detjen ist Söder "das wendigste Schnellboot", das es in den politischen Gewässern gebe.
Für eine mögliche Kooperation spricht außerdem, dass eine schwarz-grüne Zusammenarbeit nichts Neues wäre und in den Ländern schon funktioniert hat. Auch außenpolitisch – beispielsweise bei den Ukraine-Hilfen – gibt es zwischen CDU und Grünen große Schnittmengen.
lkn