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Global Vaccine Data Network
Weltweites Projekt soll Impfstoff-Sicherheit verbessern

Nebenwirkungen gibt es bei jedem Medikament, also auch bei Impfungen. Die Frage ist: Warum erleiden manche Menschen Impfnebenwirkungen und andere nicht, was unterscheidet sie voneinander? Um das herauszufinden wollen Forschende des "Global Vaccine Data Network" Studien für Impfungen nachholen.

Von Joachim Budde | 07.07.2022
Eine Krankenschwester impft in Zimbabwe eine Mutter, die ihr Kind auf dem Rücken trägt.
Impfung in Zimbabwe (picture alliance / AA / Abdulhamid Hosbas)
Als im Jahr 1976 eine Schweinegrippe-Epidemie drohte, entschieden die Gesundheitsbehörden der Vereinigten Staaten, eilig einen Impfstoff zuzulassen, um den Ausbruch einzudämmen. Die Pandemie blieb aus, aber etwa 450 Impflinge erlitten aufsteigende Lähmungen des Guillain-Barré-Syndroms, sagt Bruce Carleton von der University of British Colombia im kanadischen Vancouver.
„Diese Menschen erhielten ein Schmerzensgeld. In den Vereinigten Staaten sind viele Menschen nicht krankenversichert. Wenn die Komplikationen erleiden, benötigen sie Geld, um die Behandlungen zu bezahlen. Darum wurden Entschädigungen die Regel. Aber niemand hat sich die Biologie angeschaut, die hinter den Nebenwirkungen steckt.“
Die Biologie – damit meint der Pharmakologe, wie sich zum Beispiel die genetischen Voraussetzungen zwischen Menschen unterscheiden. Bei Medikamenten sind solche Studien längst gang und gäbe. Bruce Carleton und seine Kollegen vom Global Vaccine Data Network wollen solche Studien jetzt für Impfungen nachholen, und deren Nebenwirkungen nach Biomarkern aufschlüsseln.
„Zu behaupten, dass Impfstoffe keine unerwünschten Nebenwirkungen verursachen, wäre töricht. Die eigentliche Frage ist: Wie groß ist das Risiko, zum Beispiel für eine Herzmuskelentzündung? Das ist nach einer Corona-Impfung zwar viel niedriger, als bei einer Covid-Erkrankung. Aber natürlich möchte überhaupt niemand so etwas bekommen. Wir wollen verstehen, was an den Menschen anders ist, bei denen Impfnebenwirkungen auftreten.“

Untersuchen, bei welchen Personen Impfnebenwirkungen auftreten

Auch die Gesundheitsbehörden überwachen Impfstoffe. Dazu beobachten sie, ob Nebenwirkungen – etwa die Herzmuskelentzündungen – bei Geimpften häufiger auftreten als bei Ungeimpften – in sogenannten Observed-versus-Expected-Studien.
„Solche Studien können sehr hilfreich sein, klinische und demographische Besonderheiten zu zeigen. Aber das reicht nicht. Ich ziehe sogenannte Fall-Kontroll-Studien vor. Wenn wir Menschen mit Impfschäden finden, katalogisieren wir sorgfältig klinische und demographische Variablen und bestimmen, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass sie tatsächlich von den Impfungen kommen.“

Besonderheiten im Blut von Betroffenen

Wenn ein Zusammenhang einigermaßen wahrscheinlich ist, vergleichen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sie mit einer Kontrollgruppe, mit Menschen also, die nicht betroffen waren. Auf diese Weise suchen sie nach Besonderheiten im Blut von Betroffenen. Und dann suchen sie andere Menschen mit diesen Biomarkern und schauen, ob sie ebenfalls stark auf die Impfungen reagiert haben. Gelingt das, ist das ein deutliches Zeichen dafür, dass hier ein Zusammenhang besteht. Und schließlich testen sie die Biomarker mit weiteren Methoden – etwa in Zellen in der Petrischale oder Tierversuchen.
„Wenn die Ergebnisse mehrerer Untersuchungen sich gegenseitig bestätigen, können wir zum Beispiel Patienten warnen, die ein höheres Risiko haben. Genauso wichtig ist es aber, dann zu erforschen, wie wir Impfstoffe entwickeln können, die diese Risiken in Zukunft vermeiden.“
Wichtig ist den Wissenschaftlern dabei, Menschen aus der ganzen Welt einzuschließen. „Nicht alle Menschen sind europäischer Abstammung. Bei Menschen aus anderen Regionen können Medikamente andere Effekte haben. Im Fall von Vincristin zum Beispiel einem wichtigen Krebsmittel, bekommen Kinder in Kenia eine um 42 Prozent höhere Dosis als in Nordamerika, ohne dass sie neurotoxische Effekte erleiden: weil sie sich genetisch unterscheiden! Wir müssen unbedingt Patienten aus Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen in unsere Studien einschließen.“

Genetische Unterschiede spielen eine Rolle


Zwar arbeiten nordamerikanische und europäische Gesundheitsbehörden und natürlich auch die Weltgesundheitsorganisation bei der Überwachung von Impfstoffen zusammen. Doch Bruce Carleton von der Global Vaccine Initiative sieht da Mängel:
„Die Zusammenarbeit zwischen den Überwachungsbehörden ist nicht wirklich gut. Oft begrenzen ihre Budgets ihre Möglichkeiten. Und ihr Auftrag ist, sich auf die Bürger ihrer Länder zu konzentrieren. Wir hingegen haben einen weitaus globaleren Blickwinkel eingenommen, wir sagen: Es darf keine Rolle spielen, woher Du kommst.“
In dem Punkt hat die Pandemie die Global Vaccine Initiative vorangebracht. Auch dieses Projekt hat zusätzliches Geld erhalten.