Freitag, 19. April 2024

Archiv

Kommentar zur Berufung von Pistorius als Verteidigungsminister
Nicht erste, aber doch eine gute Wahl

Es bleibe schleierhaft, warum es Kanzler Olaf Scholz nicht gelang, die Lambrecht-Nachfolge schneller zu regeln, kommentiert Frank Capellan. Vieles spreche für Pistorius. Dass er nicht erste Wahl war, werde im Zweifel eher an Scholz hängenbleiben.  

Ein Kommentar von Frank Capellan | 17.01.2023
Boris Pistorius (SPD)
Boris Pistorius bringe vieles mit, was Anlass zur Hoffnung gebe dass er sich am Ende doch als gute Wahl erweisen wird, meint Frank Capellan (Matthias Balk/dpa)
Er ist zweite Wahl. Dabei liegt es nicht einmal an Boris Pistorius, dass er den ersten Vorstellungen des Kanzlers nicht entsprach. Im Gegenteil: Der 62-Jährige bringt vieles mit, was Anlass zur Hoffnung gibt, dass er sich am Ende doch als gute Wahl erweisen wird. Olaf Scholz allerdings hätte ihn auch als Bundesinnenminister gebrauchen können. Denn wenn Nancy Faeser im Sommer nach Hessen geht, um dort Ministerpräsidentin zu werden, hat er das nächste Personalproblem.
Nach der Enttäuschung mit Christine Lambrecht musste Scholz ein Schwergewicht ins Rennen schicken. Experimente konnte er sich nicht mehr erlauben. Auf seinen Parteivorsitzenden Lars Klingbeil mit guter militärischer Expertise hätte er sich verlassen können, auch Arbeitsminister Hubertus Heil mit seiner langjährigen Ressorterfahrung wäre eine Option gewesen. Doch offensichtlich ist sein Plan nicht aufgegangen, er hat sich zwei Körbe geholt.

Eine holprig herbeigeführte Personalentscheidung

Ein Versprechen hat Scholz nun gebrochen: Es gibt erst einmal keine Parität mehr im Kabinett. Eva Högl, die Wehrbeauftragte, passte dem Kanzler offenbar nicht - jetzt muss er damit leben, dass ihm die Grünen und Teile seiner SPD Wortbruch vorhalten.
Es bleibt schleierhaft, warum es Olaf Scholz nicht gelungen ist, die Lambrecht-Nachfolge schneller zu regeln. Seit Anfang des Jahres stand der Rücktritt im Raum, dieses Gewürge wirft kein gutes Licht auf seine Führungsqualitäten. Nicht einmal ein gemeinsamer Auftritt von Scholz und Pistorius ist heute zustande gekommen, Sinnbild für die holprig herbeigeführte Personalentscheidung. Der Neue beginnt in Hannover eine Pressekonferenz, während der Chef in Brandenburg an der Havel noch am Thema des Tages vorbeiredet und erst später seine Wahl präsentiert.

Pistorius ist in der SPD vernetzt

Die Entscheidung über die Lieferung von Kampfpanzern in die Ukraine bleibt beim Kanzler, Pistorius darf sie nur überbringen und ausführen. Aber er muss die Bundeswehr auf Vordermann bringen, endlich Verträge zur Munitionsbeschaffung schließen, dafür sorgen, dass die 100 Milliarden Euro auch ankommen. Er muss die Zeitenwende umsetzen. Als „roter Sheriff“ hat sich Pistorius einen Namen gemacht, etwa als es um Abschiebungen ging. Er kann sich durchsetzen. Er hat gedient, sogar in einer Waffengattung, die es nicht mehr gibt, die aber durch den Export von ausgedienten Gepard-Panzern wieder in aller Munde ist: Die Heeresflugabwehr. Er ist in der SPD vernetzt, wollte wie Scholz einmal Parteichef werden. Vieles spricht für den Niedersachsen. Dass er nicht erste Wahl war, wird im Zweifel nicht an ihm hängenbleiben, sondern an Olaf Scholz. 
Frank Capellan, Hauptstadtstudio
Frank Capellan, Hauptstadtstudio
Frank Capellan, geboren 1965 im Rheinland, studierte Publizistik, Neuere Geschichte und Politikwissenschaften, Promotion an der Universität Münster. Nach einer Ausbildung bei der Westdeutschen Zeitung folgte ein Volontariat beim Deutschlandfunk, dem er bis heute treu geblieben ist. Zunächst Moderator der Zeitfunk-Sendungen, unter anderem der Informationen am Morgen; seit vielen Jahren als Korrespondent im Hauptstadtstudio tätig, dort u. a. zuständig für die SPD und Familienpolitik.