Donnerstag, 25. April 2024

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Studie zu Multipler Sklerose
Löst das Epstein-Barr-Virus die Krankheit aus?

Bei der Frage nach den Auslösern von Multipler Sklerose sind Forschende aus den USA einen wichtigen Schritt vorangekommen: Die Autoimmunerkrankung könnte demnach eine seltene Spätfolge einer Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus sein. Die Forschenden haben dazu Blutproben von Militärangehörigen analysiert.

Von Magdalena Schmude | 14.01.2022
Blutproben in einer Halterung in einem Labor.
Die Forschenden kamen dem Zusammenhang mithilfe einer Blutproben-Datenbank des US-Militärs auf die Spur. (Symbolbild) (imago / Science Photo Library)
Marianna Cortese ist Medizinerin und arbeitet an der Harvard School of Public Health in Boston. Wir untersuchen Risikofaktoren von neurologischen Erkrankungen, also die Entwicklung von den neurologischen Erkrankungen, aber auch den Verlauf.“
Eine dieser Erkrankungen ist Multiple Sklerose, kurz MS, eine Autoimmunerkrankung, bei der das Immunsystem irrtümlich die isolierende Schicht um die Nervenfasern im zentralen Nervensystem angreift und zerstört. Wie MS entsteht, ist bis heute nicht geklärt. Neben genetischer Veranlagung könnten verschiedene Umweltfaktoren eine Rolle spielen.

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Epstein-Barr schon bisher vermuteter Risikofaktor

„Es wird schon seit Jahrzehnten jetzt an möglichen Ursachen geforscht, und das Epstein-Barr-Virus war auch ein Top-Kandidat unter den Risikofaktoren, unter anderem aber niedrigeres Vitamin D, Rauchen und Fettleibigkeit im Jugendalter. Das waren so die Faktoren, die jetzt am meisten Übereinstimmung in Studien gezeigt haben, würde ich sagen. Aber es ist natürlich schwierig, da den ursächlichen Zusammenhang wirklich raus zu kitzeln.“

Schwierige Suche nach Probanden

Etwa 95 Prozent alle Erwachsenen kommen im Lauf ihres Lebens mit dem Epstein-Barr-Virus in Kontakt. Es kann das Pfeiffersche Drüsenfieber auslösen und bleibt nach der Erstinfektion lebenslang im Körper, meist inaktiv. Entsprechend schwer ist es, Personen zu finden, die noch nicht mit dem Virus infiziert sind. Marianna Cortese und ihre Kollegen hatten Glück. Sie bekamen Zugriff auf eine Datenbank des US-Militärs, in der neben den Gesundheitsinformationen von über zehn Millionen Militärangestellten auch Blutproben gesammelt sind, die den Beschäftigten in regelmäßigen Abständen abgenommen werden.

Blutproben aus Militär-Datenbank

Die Forschenden suchten als erstes die Personen heraus, die während ihrer Dienstzeit eine MS-Diagnose erhalten hatten. Die gelagerten Blutproben der gut 800 Betroffenen nahmen sie näher unter die Lupe. „Und dann haben wir in diesen Blutproben untersucht, wie der Infektionsstatus mit EBV war. Um dann noch weiter ins Detail zu gehen, haben wir in der allerersten Blutprobe, die erhältlich war von den Personen, geschaut: Waren die zu Beginn der Dienstzeit noch negativ? Also, waren sie nicht infiziert?“
Nur 35 der späteren MS-Patienten hatten zum Zeitpunkt der ersten Blutentnahme noch keine Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus durchgemacht. 34 von ihnen infizierten sich im Verlauf der Zeit mit dem Virus, bevor bei ihnen einige Jahre später Multiple Sklerose diagnostiziert wurde. Nur bei einem MS-Patienten fanden die Wissenschaftler in allen Blutproben keine Anzeichen für eine vorangegangene EBV-Infektion.

Nach EBV-Infektion deutlich erhöhtes Risiko

„Und dann haben wir das natürlich verglichen mit Leuten, die nicht die Multiple Sklerose entwickelt haben, also mit Kontrollen. Wir haben gesehen, dass nur 50 Prozent die Infektion durchlaufen haben. Und das ergibt dann eben ein 32fach erhöhtes Risiko an MS zu erkranken, wenn man die Infektion hat im Vergleich zu wenn man sie nicht hat.“
Um auszuschließen, dass die MS-Erkrankung der Betroffenen unerkannt bereits vor der Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus begonnen hatte, suchten Marianne Cortese und ihre Kollegen in den Blutproben außerdem nach einem bestimmten Peptid, der leichten Neurofilament-Kette, einem Marker für das Absterben von Nervenfasern. Nach Beginn einer MS-Erkrankung ist seine Konzentration im Blut häufig erhöht.
In keinem dieser Menschen stieg das Neurofilament an, bevor die Infektion stattfand. Und das unterstützt auch noch mal den ursächlichen Zusammenhang, dass das Epstein-Barr-Virus vor der Erkrankung kommt, und die verursacht wahrscheinlich.“

Starke Korrelation, aber noch kein Beweis

Die Ergebnisse belegen allerdings nur eine starke Korrelation, einen kausalen Zusammenhang beweisen sie nicht. Das betonen auch andere Experten, wie Roland Martin, der die Arbeitsgruppe Neuroimmunologie und Multiple Sklerose am Universitätsspital Zürich leitet. Ihm gehen die Schlussfolgerungen etwas zu weit, da Daten aus der Vergangenheit vor allem auf einen komplexen genetischen Hintergrund von MS hinwiesen.
Hoffnung für Multiple-Sklerose-Patienten
Marianne Cortese ist dennoch sicher: Das Epstein-Barr-Virus spielt bei der Entstehung von Multipler Sklerose eine wichtige Rolle. „Auch unter den mutmaßlichen Kandidaten, die jetzt noch erforscht werden, gibt es nichts, was so stark hervorsticht und auch so stark in Verbindung gebracht wurde. Mit dem heutigen Erkenntnisstand würde ich sagen, EBV ist die führende Ursache von MS. Und wir als Epidemiologen sagen das nicht häufig.“

Suche nach genauem Zusammenhang

Multiple Sklerose könnte demnach eine seltene Spätfolge einer Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus sein, an der aber zum Glück nur wenige Infizierte erkranken. Jetzt müssen weitere Untersuchungen den direkten Zusammenhang belegen und zeigen, wie genau die die EBV-Infektion zu Multipler Sklerose führt.
Eine Vermutung lautet, dass die wiederholte Reaktivierung des Virus und die Immunantwort darauf Multiple Sklerose auslöst. Denkbar wäre aber auch, dass die Antikörper, die gegen EBV gebildet werden, zufällig auch ein Protein in der Hülle der Nervenfasern angreifen. Wüsste man genaueres, könnte durch eine Therapie oder Impfung gegen das Epstein-Barr-Virus eines Tages auch Menschen mit Multipler Sklerose geholfen werden.