Mittwoch, 24. April 2024

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Sicherheit und Katastrophenschutz
Innenministerin Faeser (SPD): "Wir sollten Kompetenzen bündeln"

Die letzte Flutkatastrophe habe gezeigt, dass der Bevölkerungsschutz in Deutschland besser aufgestellt werden müsse, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) im Dlf. Daher wolle man die Kompetenzen von Bund und Ländern in einem Zentrum in Bonn bündeln. Es sei wichtig, dies jetzt gemeinsam anzugehen.

Nancy Faeser im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 01.06.2022
Treffen der deutschsprachigen Innenministerinnen und Innenminister
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) spricht sich für besseren Katastrophenschutz in Deutschland aus (picture alliance / Flashpic)
Vom 1. bis zum 3. Juni findet in Würzburg die Ständige Konferenz der Innenminister und –senatoren der Länder statt. Drei Tage lang wird Würzburg im Mittelpunkt der Bundesinnenpolitik stehen. Dort soll es vor allem um den Ausbau des Bevölkerungsschutzes, mehr Sicherheit im digitalen Raum und besseren Schutz von Demokratie und Verfassung gehen. Aber auch die Auswirkungen des russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche sollen Thema sein.
Mit Blick auf den Katastrophen- und Zivilschutz soll ein wichtiger Beschluss gefasst werden: Geplant ist, dass das neu geschaffene "Gemeinsame Kompetenzzentrum Bevölkerungsschutz" mit Sitz in Bonn im Anschluss an die Konferenz seine Arbeit aufnimmt.
Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) wird in Würzburg dabei sein. Im Deutschlandfunk-Interview sagte sie, dass Bund und Länder in diesem Zentrum bei der Krisenbewältigung zusammenarbeiten werden. "Da sollten wir aber jetzt gemeinsam voranschreiten und unsere Bemühungen auch verstärken, für die Menschen, für mehr Schutz vor Klimakatastrophen, Naturkatastrophen, aber auch gerade jetzt angesichts der kriegerischen Bedrohung durch den furchtbaren Angriffskrieg von Putin zu sorgen", so Faeser.

Die Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz habe gezeigt, dass Deutschland besser aufgestellt sein müsse und ein ein besseres Frühwarnsystem brauche. Der Forderung Bayerns nach Milliardeninvestitionen in den Katastrophenschutz erteilte sie im Interview eine Absage erteilt. Die von Landesinnenminister Herrmann verlangten zehn Milliarden Euro seien eine sehr hohe Summe, so Faeser.

Auch mit Blick auf Cyber-Sicherheit, sagte Faeser, müsse Deutschland sich besser aufstellen. "Wir sehen ganz andere Cyber-Attacken, die Russland gegenüber insbesondere der Ukraine ausübt, so dass wir dort zukunftsgewandt uns neu aufstellen müssen", so die Bundesinnenministerin.

Das Interview im Wortlaut:

Dirk-Oliver Heckmann: Kommen wir mal zum ersten Thema Katastrophenschutz. Die Flutkatastrophe im vergangenen Jahr hat gezeigt, dass Deutschland in diesem Gebiet schlechter aufgestellt ist als bisher immer gedacht. Auch die sicherheitspolitische Lage hat sich ja nun dramatisch geändert. Brauchen wir andere Strukturen?
Nancy Faeser: Ja! Ich glaube, dass wir im Bereich des Bevölkerungsschutzes auf jeden Fall draufsatteln müssen. Die Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz hat gezeigt, dass wir besser aufgestellt sein müssen, dass wir ein besseres Frühwarnsystem brauchen. Ich glaube, dass wir Kompetenzen bündeln sollten. In Ihrem Bericht gerade haben Sie ja schon darauf hingewiesen, dass es ein gemeinsames Kompetenzzentrum mit Bund und Ländern geben soll, weil bislang die Verantwortung insbesondere bei den Bundesländern liegt.


Da sollten wir aber jetzt gemeinsam voranschreiten und unsere Bemühungen auch verstärken, für die Menschen, für mehr Schutz vor Klimakatastrophen, Naturkatastrophen, aber auch gerade jetzt angesichts der kriegerischen Bedrohung durch den furchtbaren Angriffskrieg von Putin zu sorgen.

"Es geht jetzt darum, die Bevölkerung zu schützen"

Heckmann: Derzeit, Frau Faeser, ist es ja so, dass Katastrophenschutz Ländersache ist und Zivilschutz im Verteidigungs- und Spannungsfall Sache des Bundes. Ist das so noch zeitgemäß, diese Trennung?
Faeser: Nein. Ich glaube, dass wir angesichts der tatsächlichen unterschiedlichen Krisensituationen, angefangen von der Pandemie, wo wir ja auch sehr in Deutschland darüber beraten haben, was haben wir eigentlich an Bevorratung, an medizinischen Schutzmaterialien, dann die Flutkatastrophe und jetzt Krieg mitten in Europa, ich glaube, die Zeiten sind vorbei, wo man sich gegenseitig die Kompetenzen vorwerfen sollte. Das sollte man gemeinsam angehen. Deswegen freue ich mich auch auf die Innenministerkonferenz in Würzburg, an der ich selbstverständlich teilnehme.
Heckmann: Das heißt, mit diesem Kompetenzzentrum zum Bevölkerungsschutz, das in Bonn angesiedelt werden soll, wollen Sie den Ländern Kompetenzen abnehmen?
Faeser: Was heißt abnehmen? Wir wollen bündeln. Das ist ja eine gemeinsame Idee. Wir wollen diese Erklärung morgen unterzeichnen. Ich denke, alle Beteiligten wissen, dass es jetzt darum geht, vor allen Dingen die Bevölkerung zu schützen und deswegen Kompetenzen zu bündeln. Da geht es nicht um abnehmen oder verlagern, sondern da geht es um gemeinsames Handeln.
Heckmann: Was heißt das genau, Kompetenzen bündeln? Was schwebt Ihnen da vor?
Faeser: Na ja. Wir wollen, wenn Sie beispielsweise eine Großschadenslage haben, das in diesem Kompetenzzentrum bündeln. Das heißt, wenn eine Flutkatastrophe eintritt und die Frage ist, wer übernimmt jetzt dort die Leitung, dann kann das in diesem gemeinsamen Kompetenzzentrum sehr schnell geklärt werden, weil manchmal ist es so, dass manche Bundesländer da eher Erfahrungen mit haben. Die könnten das dann beispielsweise übernehmen. Oder, wenn es um andere Schadenslagen, Pandemie oder Ähnliches geht, dass man sagt, okay, da gibt man eine koordinierende Funktion dem Bund. Das sind alles nur Beispiele, muss nicht genauso laufen, aber so könnte ich mir eine Zusammenarbeit in dem Kompetenzzentrum vorstellen.

"Wir haben mit dem Ergänzungshaushalt noch mal Geld oben draufgelegt"

Heckmann: Wir haben es gerade im Beitrag von Michael Watzke gehört. Bayern fordert zehn Milliarden Euro vom Bund für die Länder, zum Wiederaufbau eines landesweiten Sirenensystems unter anderem. Werden Sie diesen Betrag zusagen können?
Faeser: Nein! A bin ich nicht der Finanzminister. Insofern kann ich solche Summen natürlich nicht zusagen. Es ist eine sehr, sehr hohe Summe. Ich denke, man sollte sich erst mal anschauen: In den letzten Jahren waren 80 Millionen vorgesehen für neue Sirenensysteme in Deutschland. Das wird nicht reichen. Wir haben jetzt schon mit dem Ergänzungshaushalt noch mal Geld oben draufgelegt als Bund. Wir werden jetzt sehr genau gucken müssen, wo lohnen sich jetzt Investitionen. Es macht jetzt auch keinen Sinn, zu viel zu fordern. Es geht um Steuergelder. Aber ja, es ist klar, dass wir verstärken müssen, dass wir auch mehr investieren müssen in Bevölkerungsschutz.
Heckmann: Aber die zehn Milliarden, die können sich die Länder abschminken?
Faeser: Was heißt abschminken? Das ist immer eine Verhandlung mit dem Finanzminister, mit dem Haushaltsausschuss und insofern sollte man sehen, was ist sach- und zeitgemäß. Es geht ja sicherlich auch nicht um ein Haushaltsjahr, sondern um die nächsten Jahre, soweit ich das gesehen habe in der Vorlage. Insofern werden wir darüber in den nächsten drei Tagen beraten.

"Wir sehen ganz andere Cyber-Attacken"

Heckmann: Stichwort Cyber-Sicherheit, klang gerade im Beitrag auch schon an. Auf Ihren Etat kommen recht hohe Ausgaben auch in diesem Bereich zu. Die Grünen wollten das ja aus dem 100 Milliarden Euro Sondervermögen bestreiten, konnten sich aber nicht durchsetzen. Jetzt heißt es, das muss aus dem normalen Haushalt, aus Ihrem Haushalt kommen. Zunächst aber erwartet Finanzminister Lindner ein Konzept zur Cyber-Sicherheit, und zwar aus Ihrem Haus. Weshalb liegt das nicht schon längst auf dem Tisch, denn die Gefahr, dass es immer wieder Angriffe gibt im Bereich Cyber-Sicherheit, die ist ja schon längst da?
Faeser: Zunächst möchte ich noch mal klarstellen, dass ich es war, die angekündigt hat, dass ich ein Cyber-Sicherheitskonzept vorlege. Das habe ich auch schon im Digitalausschuss gemacht vor den Abgeordneten. Das ist schon ein bisschen länger her. Es ist weder so, dass Herr Lindner mich aufgefordert hat, noch, dass die Grünen mich auffordern. Es war meine Idee, das zu tun, weil ich ebenso wie Sie der Auffassung bin, dass wir bei Cyber-Sicherheit uns angesichts der Bedrohungslage jetzt akut durch Russland anders aufstellen müssen. Wir sehen ganz andere Cyber-Attacken, die Russland gegenüber insbesondere der Ukraine ausübt, so dass wir dort zukunftsgewandt uns neu aufstellen müssen. Das war eine Idee aus unserem Hause und das werden wir auch vor der Sommerpause noch vorlegen. Das hat erst mal damit gar nichts zu tun.
Das nächste ist, dass natürlich dort auch investiert werden muss. Ich habe es bislang nicht so verstanden, dass ich das aus meinem eigenen Haushalt herausschützen muss, sondern dass es durchaus Bereitschaft in der Bundesregierung insgesamt dafür gibt, dort in den nächsten Jahren mehr zu investieren. Es geht vor allen Dingen auch um die Stärkung der Resilienzfähigkeit der Netze des Bundes, um solchen Angriffen standzuhalten.
Heckmann: Sieht das der Finanzminister auch so?
Faeser: Ich glaube, schon.
Heckmann: Was genau? Worauf kommt es an in diesem Gebiet Cyber-Sicherheit aus Ihrer Sicht?
Faeser: Bei der Cyber-Sicherheit kommt es auf mehrere Dinge gleichzeitig an. Das eine habe ich eben genannt, Resilienzfähigkeit stärken. Das ist ein ganz wichtiger Bereich, den wir unbedingt als erstes machen müssen.
Das zweite ist: Auch hier wäre Kompetenzbündelung richtig. Das heißt, auch die Verlagerung auf den Bund. Das haben wir auch im Koalitionsvertrag schon vereinbart. Da waren wir, glaube ich, sehr weitsichtig, was das betrifft. Auch das ist etwas, was mit den Ländern geeint ist, weil klar ist, gerade Cyber-Sicherheitskompetenz zu bündeln, macht einfach Sinn. Das betrifft ja alle gleichermaßen. Dafür ist eine Grundgesetzänderung notwendig. Die werden wir jetzt zügig vorbereiten und auf den Weg bringen.
Das dritte ist zu schauen, was gehört eigentlich zur Cyber-sicherheit noch dazu? Inwiefern muss man auch Angriffen standhalten? Was sind moderne Abwehrmechanismen?

"Anstrengungen gegen sexualisierte Gewalt gegen Kinder verstärken"

Heckmann: Auf der Tagesordnung der Innenministerkonferenz steht auch das Thema sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Da gab es ja am Montag schockierende Erkenntnisse über einen neuen Missbrauchskomplex in Nordrhein-Westfalen. Das ist schon der vierte schwere Fall in Nordrhein-Westfalen mit dutzenden, teils hunderten Tätern. Der Chef des Bundeskriminalamts Münch hat in dem Zusammenhang erwähnt, in fast 20.000 Fällen ist die Aufklärung aber gescheitert in den letzten fünf Jahren, weil die IP-Adressen nicht gespeichert sind, denn die Vorratsdatenspeicherung ist ausgesetzt. Ist es da an der Zeit, nicht dringend nachzubessern?
Faeser: Zunächst mal ist es wichtig, dass wir unsere Anstrengungen gegen sexualisierte Gewalt gegen Kinder verstärken. Es ist wirklich ein entsetzliches Ausmaß, wie Sie es genannt haben. Es sind 49 Kinder, die Tag für Tag Opfer von sexualisierter Gewalt werden. Da müssen wir dringend etwas tun und auch besser vorgehen. Deswegen begrüße ich ja auch grundsätzlich die Vorhaben der EU, die ja vorsehen, dass in Plattformen und in anderen Bereichen schneller die entsetzlichen Bilder gelöscht werden und dass wir dort Mechanismen haben, um Kinder zu schützen, weil darum geht es, so schnell wie möglich zu löschen, um Kinder zu schützen, aber auf der anderen Seite auch Beweissicherung zu betreiben.
Heckmann: Aber Sie sind schon bereit, das noch mal anzupacken, das Thema Vorratsdatenspeicherung?
Faeser: Es geht weniger um die Vorratsdatenspeicherung als Ganzes. Es geht darum, wie können wir die IP-Adressen möglichst sichern, so dass wir in diesen Fällen Zugriff haben und die Täter auch ermitteln können.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.