Donnerstag, 28. März 2024

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Sexuelle Gewalt im Sport
Athleten Deutschland schaffen neue Anlaufstelle

Der Verein Athleten Deutschland will die Opfer von Gewalt und Missbrauch im Spitzensport künftig besser unterstützen und hat mit dem Aufbau einer Anlaufstelle begonnen. Das war nötig geworden, weil sich zuletzt verstärkt Betroffene beim Verein gemeldet und den Verein in akuten Handlungsdruck versetzt hatten.

Von Andrea Schültke | 16.12.2021
Der Verein "Athleten Deutschland" will eine Anlaufstelle für Betroffene von Gewalt im Sport einrichten.
Human Rights Watch: Missbrauch im japanischen Sport ein Problem (AFP / Yasuyoshi CHIBA)
Das ist für viele Betroffene die große Frage: "An wen soll man sich wenden? Das Problem hatte ich 30 Jahre lang", schildert Boris Kaminski vor wenigen Tagen. Im DLF-Sportgespräch hatte der Basketballtrainer öffentlich gemacht, dass er als Kind durch seinen Tennislehrer jahrelang schwere sexuelle Gewalt erfahren hatte.
Boris Kaminski steht an einem Waldrand
Boris Kaminski erfuhr als junger Sportler sexualisierte Gewalt durch seinen Trainer (Schültke/dlf)
30 Jahre später geht er an die Öffentlichkeit. Eine unabhängige Anlaufstelle habe er lange gesucht, aber nicht gefunden. Dort hätte er vielleicht schon viel früher seine Geschichte erzählen und bei Bedarf psychologische oder juristische Hilfe bekommen können.

Zentrum für Fragen bei der Bekämpfung von Gewalt im Sport

Genau an so einer Stelle wird jetzt gearbeitet, erläutert Johannes Herber, Geschäftsführer des Vereins Athleten Deutschland. "Wir haben ein Kern-Projektteam gebildet und auch mit den mit den potenziellen Projektpartnern, das heißt einer Anwaltskanzlei einer psychologischen Beratung und einem etablierten Hilfstelefon. Und mit denen gemeinsam werden wir jetzt eben diese Prozesse, die es braucht, ausdifferenzieren."
Diese Anlaufstelle ist nicht zu verwechseln mit einem Zentrum für Safe Sport, das Athleten Deutschland seit einem Jahr vorantreibt. Das Zentrum soll eine unabhängige Struktur sein für alle Fragen bei der Bekämpfung von Gewalt und Missbrauch im Sport.

"Akuter Handlungsdruck"

Durch die Arbeit daran sei Athleten Deutschland so sichtbar geworden, dass sich bereits jetzt verstärkt Betroffene beim Verein gemeldet hätten. "Die Anlaufstelle, die wir jetzt einrichten, ist erstmal unsere Antwort auf den akuten Handlungsdruck, den wir identifiziert haben".
In der großen Struktur eines von der neuen Regierung unterstützten Zentrums für Safe Sport ist die Anlaufstelle so etwas wie der erste Praxisbaustein - komplett unabhängig von Vereins- oder Verbandsstrukturen. Darauf haben Betroffene wie die ehemalige Fußballerin Nadine lange gewartet.

"Deutliches Zeichen, dass jetzt konkret gehandelt wird"

Vor mehr als zwei Jahren hatte Nadine im Interview mit dem DLF ihre Geschichte erstmals öffentlich erzählt. Dann auch an anderer Stelle. In der Folge hatte sie konkretes Handeln vermisst. Bis jetzt der Verein Athleten Deutschland den Beginn der Arbeit an der Anlaufstelle verkündet hat: "Aus meiner Sicht bedeutet das auch tatsächlich emotional sehr viel, weil es ein deutliches Zeichen ist, dass das Thema nicht nur besprochen wird, sondern jetzt konkret gehandelt wird."
Nadine ist von Beginn an in den Entstehungsprozess der Anlaufstelle eingebunden und arbeitet aktiv daran mit.

Viele Taten sind verjährt

Die Finanzierung des Ganzen sei durch zwei große Stiftungen gesichert. Schon in wenigen Monaten soll die Stelle laut Johannes Herber an den Start gehen. Bis dahin seien noch einige Fragen zu klären. Unter anderem wie die Anonymität der Betroffenen gewährleistet wird. Und ob und wie Betroffene aus dem Breitensport betreut werden könnten oder Erwachsene, die in ihrer Kindheit Gewalterfahrungen im Sport gemacht haben:
"Wir werden niemandem die Tür vor der Nase zuschlagen, weil er nicht gerade aktiver Kaderathlet ist. Wenn es ein großes Fallaufkommen aus dem Breitensport geben sollte, dann müssen wir Mittel und Wege finden, wie wir vielleicht eine anderweitige Weiterleitung organisieren."
Betroffene wie die ehemalige Fußballerin Nadine oder auch der frühere Tennisspieler Boris Kaminski würden so auf jeden Fall unabhängige Unterstützung bekommen, die sie viel früher gebraucht hätten. Boris Kaminski hat vor kurzem Anzeige erstattet gegen seinen früheren Trainer – zu spät wie er feststellen musste, die Taten sind verjährt.