Freitag, 29. März 2024

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Ethnologie-Forschungsprojekt "NoJoke"
Wenn Clowns Politiker werden und Politiker Clowns

Schon früh wurden Politiker parodiert, etwa in Charlie Chaplins Film „Der große Diktator“. Mittlerweile machen ehemalige Satiriker Politik, etwa Beppo Grillo, Martin Sonneborn oder Wolodymyr Selenskyj. Seit kurzem verschwimmen die Grenzen endgültig. Groteskes Verhalten in der Politik? Völlig normal.

Von Michael Stang | 11.08.2022
Der große Diktator (1940), Regie, Produktion und Hauptrollen: Charlie Chaplin als Diktator Adenoid Hynkel, Diktator von Tomamia
Der Komiker Charlie Chaplin in einer Szene aus "Der große Diktator": Zu Chaplins Zeit war der Unterschied zwischen Politik und Satire noch klar - heute ist das oft nicht mehr so eindeutig. (imago/United Archives)
In der Satire "The Great Dictator" von 1940 parodiert Charlie Chaplin Adolf Hitler und den Faschismus. "Daher habe ich mich entschlossen, den Befehl zu geben, unverzüglich in Osterlitsch einzurücken."

Die Fronten, um im Militärjargon zu bleiben, waren geklärt: der Komiker wechselte nie in die Politik, im Gegensatz zu vielen seiner beruflichen Nachfolger. Mirco Göpfert von der Goethe-Universität Frankfurt: "Der erste, der auch in meinem Fach, der Ethnologie, aufgefallen ist, war Jón Gnarr, der Bürgermeister von Reykjavik wurde - das jetzt auch schon fast 20 Jahre her - mit einer Satirepartei. Wie kann das sein, dass ein Lustiger auf einmal Politiker wird?"

Die Namensliste lässt sich fast beliebig fortführen, so Göpfert: Beppe Grillo in Italien, Jimmy Morales in Guatemala und nicht zuletzt Wolodymyr Selenskyj in der Ukraine. Sie alle waren einst erfolgreiche Komiker und wurden später Berufspolitiker. Zu diesem Thema hat der Ethnologieprofessor gerade ein Forschungsprojekt gestartet. Es heißt: „NoJoke.“

Ethnologisches Forschungsprojekt "NoJoke"

"Die Idee hinter „NoJoke“ ist geboren aus einer recht nüchternen Bestandsaufnahme, dass es mir schien, als wäre immer schwieriger zu unterscheiden, was ernst und was lustig ist, was ernst gemeint und was lächerlich gemeint ist."

Mit dem Vorhaben will Göpfert auf eine politische Gegenwart reagieren, in der es immer schwerer wird, das Ernste vom Lächerlichen und die Parodie vom Aufrichtigen zu unterscheiden. "Wie kommt das eigentlich, dass politische Information und Humor, also Entertainment, so nah zusammengerückt sind, -- dass manche dieser satirischen Nachrichtenformate konventionellen Nachrichtenformaten sogar den Rang ablaufen?"

In den kommenden fünf Jahren will der Ethnologe mit seinem Team in mehreren Ländern untersuchen, wie Satire zum Verständnis dieser mit Dissonanzen durchsetzten politischen Gegenwart beiträgt.

"Wie lässt sich das verstehen? Und ich glaube, das lässt sich mit Humor verstehen. Nicht indem wir einfach Witze darüber machen, sondern indem wir uns anschauen, wie Humorist*innen, also Leute, die das mehr oder weniger dauerhaft oder sogar professionell betreiben, wie die auf die Welt gucken, wie die die politische Gegenwart wahrnehmen und wie die in der politischen Gegenwart selbst agieren, ob mit politischen Ambitionen oder ohne. Und das versucht dieses Projekt zu ergründen."

Wo hört Satire auf und wo fängt Politik an?

Mehrere Dinge bringen Humoristinnen mit, die ihren Erfolg ausmachen, etwa die Sensibilität für Widersprüchliches, für paradoxes Verhalten. Sie besitzen zudem die Fähigkeit, diese Widersprüche der Politik zu pointieren, zu verschärfen und alles zu radikalisieren. Dadurch entstehen Dissonanzen, Lachen oder Irritationen, oder mitunter beides. Und die Komiker, die die Grenzen verschieben, können das alles gut kommunizieren in einem immer professionelleren Rahmen, so Mirco Göpfert.

"Ein Beispiel, das in Deutschland anderen bekannt sein müsste, ist die Redaktion, die hinter Jan Böhmermann steht. Also da ist ein Stab von professionellen, auch Investigativjournalisten, die Tatsachen ans Tageslicht bringt, also proaktiv in die Welt hineingeht und versucht, Dinge aufzudecken."

Die Vermischung wurde etwa 2019 deutlich, als Böhmermann "bekanntgab": "Ich bewerbe mich um den SPD-Vorsitz in der Doppelspitze und zwar zusammen mit der SPD-Frau, die mir bis Sonntag 18:00 Uhr fünf Unterbezirke oder einen Landesverband und eine gültige SPD-Mitgliedschaft organisiert."

In der Redaktion von Böhmermanns "ZDF Magazin Royale" arbeiten Investigativjournalistinnen und -journalisten gemeinsam mit Witzeschreiberinnen und Witzeschreibern, darunter der ehemalige Chefredakteur der Titanic, Tim Wolff. Auch in anderen Ländern gibt es viele Beispiele für solche investigativen Satire-Redaktionen, in den USA etwa "Last Week Tonight" mit John Oliver. Ihnen allen gemein ist, dass sie eine breite öffentliche Resonanz erzielen.
Bundeskanzler Olaf Scholz am langen Tisch in Moskau mit Russlands Präsident Wladimir Putin Mitte Februar.
Vladimir Putins Vorliebe für auf den ersten Blick merkwürdig dimensionierte Möbel hat sicherlich ganz ernsthafte Gründe (picture alliance / AP / Mikhail Klimentyev)

Immer mehr Politiker werden selbst grotesk

Wie das gelingt, wird das "NoJoke"- Projekt in insgesamt fünf Projekten untersuchen. Neben Satire-Parteien werden Redaktionen, die sich mit investigativer Satire beschäftigen, untersucht. "Und drei andere Projekte werden sich mit verschiedenen Genres des Komischen beschäftigen, einmal mit Karikatur, einmal mit geschriebener Satire und einmal mit Stand-Up-Comedy."

Geforscht wird dabei nicht nur in Deutschland, sondern auch im Iran und in Südafrika. Aber es sind längst nicht mehr nur die politisch ambitionierten Satiriker, auch von der anderen Seite her verschwimmen die Grenzen.
Mirco Göpfert hat es gewundert, dass immer mehr Politiker selbst grotesk wirken. Ganz vorne stehe Donald Trump, der politische Programme zu Papier und in die Medien gebracht hat, die fast im Wortlaut dem Wahl- oder Parteiprogramm der Satirepartei die Partei in Deutschland ähneln. Gleiches gelte für das groteske Verhalten, das Wladimir Putin an den Tag legt, mit seinem absurd langen Tisch, an dem er nicht nur den französischen Präsidenten Macron und Bundeskanzler Scholz empfangen hat, sondern an dem er auch mit seinen eigenen Mitarbeitern spricht.

"Wenn wir jetzt mal auf die Seite der professionellen Politiker*innen schauen, da gibt es immer mehr Profipolitiker, die auf einmal witzig sind oder sein wollen. Boris Johnson in Großbritannien hat Wahlkampfvideos produziert, produzieren lassen, die nahezu identisch wirken wie Szenen aus der britischen Sitcom-Serie 'The Office'. Auch da lässt sich nicht mehr genau sagen, meint er das ernst oder gibt er sich ganz bewusst der Lächerlichkeit preis?"
Donald Trump sitz mit gesenktem Blick an einem Konferenztisch und schaut auf das erleuchtete Display seines Smartphones.
Rund die Hälfte der US-Bevölkerung hält Ex-Präsident Donald Trump für einen ernsthaften und ernstzunehmenden Politiker (picture alliance / AP Photo / Alex Brandon)

Politische Clowns oder clowneske Politiker?

Der französische Historiker Patrick Boucheron beschäftigte sich im Rahmen seiner Vorlesung am Collège de France schon Anfang 2017 mit Politikern wie Silvio Berlusconi, Donald Trump und Boris Johnson, die wie Clowns wirken und gängige Kategorien verwischen. Er fragte: Wie soll man Wirklichkeit untersuchen, wenn sie sich bereits im Gewand der Fiktion präsentiert?
Eine gewaltige Aufgabe also für Mirco Göpfert. "Ich glaube, ein besseres Verständnis davon können wir nur entwickeln, wenn wir das Lustige ernst nehmen. Also wenn wir Charlie Chaplin als Analytiker des Faschismus zum Beispiel ernst nehmen."

Denn häufig ist unklar, was in der Politik wie in der Satire ernst ist und was nicht. Und das Verschwimmen der Grenzen hält Mirco Göpfert für eine sehr beunruhigende Tendenz, da dies langfristig Folgen für die Politik, die Demokratie und die Gesellschaft haben kann, etwa ein Vertrauensverlust gegenüber gewählten Volksvertretern. Denn alle Akteure, egal ob Trump, Böhmermann, Selenskyj oder Johnson, weisen große Professionalität in ihrem Handeln aus. Mirco Göpfert:

"Man darf sie nicht unterschätzen."