Spark telegraphy – Funkentelegrafie – nannte Adolf Slaby, einer der ersten Elektrotechniker in Deutschland, 1897 die Sendeversuche Guglielmo Marconis im Bristolkanal. „Let it be so“ war die erste Message, die über eine Distanz von sechs Kilometern drahtlos übertragen wurde.
Das Experiment war gelungen, es hatte funktioniert. Mit der spark telegraphy war der Grundstein für die Radiotechnik gelegt. Bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts sprühten die Analog-Radios Funken. Da erinnert das berühmte magische Auge, das beim Einschalten langsam aufleuchtet und beim Abschalten leise verglimmt, an die Glühkathode in der Braunschen Röhre, die für die Rundfunktechnik bis zum Einsatz von Transistoren die Maßstäbe setzte.
Die radiohistorischen Essays von Stephan Krass „entfalten die Geschichte des Mediums in elegant geschriebenen Episoden“, schreibt Rezensent Stephan Wackwitz in der FAZ. „Die paradoxe Struktur der neuartigen Verbreitungsform, die seltsame und unbekannte Vermischung von An- und Abwesenheit, löste produktive Irritationen aus. Den Wiener Essayisten Anton Kuh erinnerte sie an Spuk. Niemand kann sich im Zeitalter unbeschränkter Internet-Verfügbarkeit jedes beliebigen Musiktitels mehr vorstellen, wie es war, wenn ‚die Stimme im Radio plötzlich einen Titel ansagte, den man einmal gehört hatte und für ein nächstes Mal barfuß zum Nordpol gelaufen wäre‘.“
Stephan Krass, geboren 1951, ehemaliger Redakteur des SWR, beschreibt in seinem Essayband „Radiozeiten“ die Rundfunkgeschichte von den Anfängen in der Weimarer Republik über die Gleichschaltung unter Goebbels und dem akustischen Krieg alliierter Geheimdienste bis hin zu den legendären philosophischen Streitgesprächen der frühen Bundesrepublik, den Hörspielen, Bildungs- und Unterhaltungssendungen, Sportübertragungen und Livereportagen.
Im Begriffskonzept des Wortes Rundfunk glüht noch jener Funke, den Prometheus den Göttern entwendete, um den Menschen das Feuer zu bringen, sie aus Kälte und Dunkelheit zu erlösen und ihnen eine warme Mahlzeit auf den Tisch zu stellen. Seitdem glimmt und glüht, blitzt, leuchtet und köchelt es auf Erden an allen Ecken und Enden. Und manchmal brennt es auch. Das göttliche Energiefeld, das in dem Ur‑Funken steckt, hat seine mythische Kraft bis heute bewahrt. Metaphorisch spannt der Funke einen reichen Licht- und Bilderbogen durch die Jahrtausende – theologisch, erotisch, politisch oder technisch, um nur einige markante Stationen zu benennen. Von dem Lebensfunken, der in der Sixtinischen Kapelle von Gottes Zeigefinger auf Adam überspringt, bis zu dem amourösen Funkenflug in Romeo und Julia, von den funkensprühenden Elektrisiermaschinen, die die Phantasien des 18. Jahrhunderts beflügelten, bis zu den revolutionären Funken, die die Freiheitskämpfe des 19. Jahrhunderts angefacht haben, von Schillers Ode Freude schöner Götterfunken bis zu dem von Hans Bredow 1919 geprägten Begriff Rundfunk – überall fliegen die Funken.
Spark telegraphy – Funkentelegraphie – nannte 1897 Adolf Slaby, der den ersten Lehrstuhl für Elektrotechnik in Deutschland innehatte und selbst erfolgreich an Verfahren drahtloser Nachrichtentechnik experimentierte, die Sendeversuche Guglielmo Marconis im Bristolkanal. Let it be so war die erste Message, die über eine Distanz von sechs Kilometern drahtlos übertragen wurde. Das Experiment war gelungen, es hatte funktioniert. Mit der spark telegraphy war der Grundstein für die Radiotechnik gelegt. Bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts sprühten die Analog-Radios Funken. Da erinnert das berühmte magische Auge, das beim Einschalten langsam aufleuchtet und beim Abschalten leise verglimmt, an die Glühkathode in der Braunschen Röhre, die für die Rundfunktechnik bis zum Einsatz von Transistoren die Maßstäbe setzte.
Das Radio ist ein elektronisches Erleuchtungsmedium im Zeichen des Pyrozäns. Sein Betriebsgeheimnis liegt in einer frappanten Koppelung: kontrollierte Funkenentladung plus Sendungsbewusstsein. Die Emissionen des Radios sind unsichtbar, immateriell, ubiquitär. Elektromagnetische Wellen schicken drahtlos akustische Signale durch den Raum. Austragungsort ist der Himmel. Aber war der nicht bereits prominent besetzt und sollte, wie es im ersten Gebot heißt, von anderen Göttern frei bleiben? Bei dem Begriff Himmel handelt es sich zudem um ein Singularwort. Es kommt nur in der Einzahl vor – wie das All, das Nichts oder die Dunkelheit. Offenbar duldet die christlich-abendländische Weltsicht für den Himmel kein plurales Konzept. Das hohe Zelt, das wie ein schützendes Dach über uns ausgespannt ist, beschreibt einen monotheistischen Raum. Deshalb kann es ihn nur im Singular geben.
Die Entwicklung der Radio-Technik holt nun den Himmel auf die Erde. Durch die Entdeckung der elektromagnetischen Felder, die im feinstofflichen Fluidum des Äthers pulsieren, erhält der Himmel eine neue Codierung. Seit dem Nachweis durch Heinrich Hertz, dass dieser Raum durch Wellen und Strahlen definiert ist, hat die religiöse Konnotation des Himmels weiter an Autorität eingebüßt und muss mit der physikalisch-technischen um die Lufthoheit konkurrieren (…). Sollte man das letzte Wort über den Himmel wirklich den Naturwissenschaftlern und Technikern überlassen (…)? Ist Radio nicht Hausfriedensbruch im Vorzimmer Gottes?
Fremde Stimmen und Geräusche, die scheinbar aus dem Nichts kommen, dringen aus einem quaderförmigen, mit Magie aufgeladenen Kasten (…). Gegen alle Evidenz schwirren die Stimmen körperlos im Raum und treiben den menschlichen Sinnesapparat in eine Wahrnehmungskrise. Auch befindet sich der Absender der Stimmen und Geräusche an einem Ort, der sich nicht zweifelsfrei lokalisieren lässt. Die Stimmen sind präsent, aber sie operieren auf einer anderen Wirklichkeitsebene. Bei Nachfragen antworten sie nicht. Sie sprechen, aber sie hören nicht. Diese verstörende Erfahrung, die das neue Hörmedium in die Welt bringt, spiegelt sich auch in einem Ausruf des Radiotheoretikers Rudolf Arnheim aus dem Jahre 1932: „Das leere Zimmer ist voller Menschen, die man verspürt, aber nicht sieht und daher auch nicht identifizieren kann. Das ist gespenstisch (…) Sie sind da und doch nicht da – Geister!“ Das Setting, nach dem der Rundfunk funktioniert, wirft Irritationen auf, die sich durch Erklärungen aus der Wissenschaft, so plausibel sie sein mögen, nicht einfach aus der Welt schaffen lassen. Woher kommen die Stimmen? Wer hat sie gerufen? Handelt es sich um eine Sinnestäuschung, um Phantomlaute, um Geisterstimmen? Sind fremde Mächte im Spiel?
Das also ist Radio, zumal in seinen Anfangsjahren, auch: Budenzauber mit einer Geräuschkulisse ungeklärter Provenienz. Die Skala der Irritationen reicht bei den Zeitzeugen der Einführung des Radios von ahnungslosem Staunen bis zu notorischer Verweigerung, von vorsichtiger Skepsis bis zu pathologischer Abwehr, von diffusem Schrecken bis zur ausgeprägten Paranoia. Im Untergrund entwickeln derweil die offenen Fragen ihre eigene Dynamik. Hocken in den Echokammern der Lautsprecher nicht Spukgestalten, Geister und Gespenster? Beginnt nicht gleich hinter der Stoffbespannung das Hoheitsgebiet des Übersinnlichen? Sind all diese akustischen Phänomene nicht die perfekte Camouflage für Stimmen aus dem Jenseits? Wurde nicht aus verschiedenen Quellen glaubhaft berichtet, man könne im Radio auf entlegenen Frequenzen den geheimen Botschaften von toten Verwandten lauschen?
Dabei könnte alles auch ganz einfach sein. Ist das Radio nicht Ansprache, stiftet Kontinuität, leistet den Hörerinnen und Hörern Gesellschaft, bildet Vertrauen und ist ein Fenster in die Welt draußen? Hat es nicht einen stabilen Realitätsbezug? Sicher, das Radio prägt Gewohnheiten, schafft Teilhabe und Bindung, bringt Struktur in Alltag und Leben. Es ist welthaltig, informiert und unterhält. Radio erdet. So ist es auch bei Irene und Jim. Aber so bleibt es nicht. In der Kurzgeschichte Das grauenvolle Radio des amerikanischen Schriftstellers John Cheever aus dem Jahre 1954 erfährt das unverfängliche Hörvergnügen von einem Tag auf den anderen eine böse Wende. Im heimischen Empfangsgerät tun sich plötzlich Abgründe auf, in denen das Programm ein bedrohliches Eigenleben entwickelt. Und das kam so. Wie aus dem Nichts hatte das gute alte Radio aus den frühen Jahren von Jims und Irenes Ehe seinen Geist aufgegeben, und ein Ersatzgerät musste angeschafft werden. Irene war der neue Apparat, dessen Skalen in einem „bösartigen grünen Licht“ erstrahlten, von Anfang an suspekt. Wie ein „feindlicher Eindringling“ war er ihr vorgekommen. „Die gewaltigen Kräfte, die in dem häßlichen Eukalyptusgehäuse eingeschlossen waren“, hatten schon beim ersten Einschalten ihren Argwohn geweckt.
Zuerst sind es nur Störungen, „knisternde Geräusche wie von einer brennenden Zündschnur“. (Da ist er wieder, der Funke.) Doch dann hört Irene „zwischen den Mozartmelodien das Klingeln von Telefonen, die Drehgeräusche von Nummernscheiben und das Brummen eines Staubsaugers“. Kein Zweifel, diese Geräusche können nur aus den Nachbarwohnungen des Mietshauses kommen, in dessen zwölftem Stock die Westcotts wohnen. Wenige Tage später ertönen plötzlich fremde Stimmen aus dem Radio-Lautsprecher. Ganze Dialoge spulen sich da vor den Ohren von Irene ab. „‘Hast du das gehört?‘ fragte Irene. ‚Was?‘ Jim aß seinen Nachtisch. ‚Im Radio. Ein Mann sagt mitten in das Prélude hinein etwas Unanständiges.‘ ‚Vielleicht ist es ein Hörspiel.‘“
Das Radioprogramm der Westcotts bestreiten in der Folgezeit die Nachbarn aus dem Mietshaus. Mal ertönen aus dem Lautsprecher Mitteilungen über den Lachsfang in Kanada, mal ist es eine Bridgepartie, mal eine Heimkinovorführung, mal ein erbitterter Familienstreit. Es dauert nicht lange, da ist Irene den Stimmen und Geräuschen, die aus dem Innern des Kastens mit dem magischen grünen Auge dringen, heillos verfallen. Schon tagsüber kann sie sich kaum dem Sog des intimen Programms entziehen; am Abend muss sie nur warten, bis Jim eingeschlafen ist. Dann stiehlt sie sich heimlich aus dem Bett, geht ins Wohnzimmer und stellt das Radio an. Eines Nachts kommt Jim ihr jedoch auf die Schliche und beschließt, dem Spuk ein Ende zu bereiten. Am nächsten Morgen ruft er den Reparaturdienst an und lässt das Gerät abholen.
Als der Apparat wenige Tage später zurückkommt, ist von seinem Doppelleben nichts geblieben. Das stattliche Eukalyptusgehäuse steht in dezenter Unschuld an seinem gewohnten Platz und sendet brav, was im Programmheft abgedruckt ist.
Obwohl sich das neutralisierte Gerät nicht den geringsten Rückfall erlaubt, lastet die Hypothek der Geisterstunden schwer auf Irene und Jim. Die Unschuld des unbefangenen Hörens ist ein für allemal dahin. Als Jim seiner Frau im Streit vorhält, wie teuer die Reparatur des Apparats war, fleht sie ihn an, seine Stimme zu senken. „Denk an das Radio.“ Aus dem Lautsprecher kommen indes nur freundliche und harmlose Stimmen. „Die Temperatur beträgt acht Grad, die relative Luftfeuchtigkeit neunundachtzig Prozent.“ Doch mit Beschwichtigungsrhetorik lässt sich Irene nicht mehr täuschen. Jetzt nicht mehr. Sicher kann sie sich nur dessen sein, was sie hört, was aus dem Gehäuse zu ihnen in die Wohnung hereindringt. Aber was dringt heraus? Was hören die anderen? Hören sie mit? „Denk an das Radio.“
Woher kommen die Stimmen im Radio, und was passiert mit ihnen, wenn sie so ohne Rückbindung an ihre Quelle durch den Äther schwirren? Das fragte sich auch Günther Stern (das ist der bürgerliche Name des Philosophen Günther Anders) in einem Aufsatz für die Zeitschrift Anbruch aus dem Jahre 1930. Seine Überlegungen hat er unter den Titel Spuk und Radio gestellt. Zur Erläuterung dieser unerwarteten Allianz von Ingenieursgeist und Geisterbeschwörung führt er eine Alltagsbeobachtung an, in der er die irritierende Ungleichzeitigkeit, die das Radio in die Welt bringt, anklingen lässt. „Man tritt aus dem Hause, die Musik aus dem Lautsprecher tönt noch im Ohre, man ist in ihr – sie ist nirgends. Man macht zehn Schritte und die gleiche Musik tönt aus dem Nachbarhause. Nun, da auch hier Musik ist, ist Musik hier und dort, lokalisiert und in den Raum gepflanzt wie zwei Pfähle. Aber es ist ja die gleiche Musik, hier singt X, was er dort begonnen. Man geht weiter – am dritten Hause setzt X fort, vom zweiten X begleitet, vom vorsichtigen X des ersten Hauses leise untermalt.“ Der Beobachter ist verstört und schließt: „Gibt der Mensch seine eigenen Produkte frei, so erntet er den Spuk. Erschreckend hört er die bellende Leinwand des Tonfilms und die doppelgängerhaften Stimmen des Radio.“
Wie kann eine Stimme dieselbe, die originale und unterschiedslose bleiben, wenn sie an keinen definierten Raum mehr gebunden ist, „doppelgängerhaft“ aus mehreren Quellen gleichzeitig ertönt und in der ubiquitären Akustik des Radios allgegenwärtig wird? Oder wie der Literaturwissenschaftler Ole Frahm formuliert: „Die laute Stimme verteilt sich in der Ausstrahlung und bleibt doch mit sich identisch.“ Sie diffundiert in verschiedene Räume und bewahrt gleichwohl als einzelne Stimme ihre phonetische Singularität. Das grenzt an ein paranormales Phänomen. Der Spuk, so folgert Günther Anders im Jahre 1930, ist der Radiotechnik inhärent. In ihr macht sich ein Eigenleben bemerkbar, das in der doppelgängerhaften Radiostimme offenbar wird. Zwanzig Jahre später wird der Philosoph Günther Anders die Gefahr der Verselbständigung der Technik und die strukturelle Dominanz der Maschinen im Bezug auf eine andere Radio-Aktivität, nämlich auf die Radioaktivität, zum Gegenstand seiner Zivilisationskritik machen.
Auch dem Weltbühne-Autor und Bohemien Anton Kuh kommt das Radio unheimlich vor. 1930, im selben Jahr wie Günther Anders, bekennt er in einem Aufsatz für die Zeitschrift Querschnitt: „Ich fürchte mich vor dem Radio. Humanistisch gesinnte Menschen (im Gegensatz zu den Elektrotechnikern) befreunden sich schwer mit der neuen Erfindung. Ihre Phantasie (…), wiewohl doch gerade für Dichtungskraft und Blitzesschnelle bekannt – kommt nicht so rasch mit. Lange Zeit steht das technisch Neue in ihrem Dasein wie ein trojanisches Pferd, das die Götter zur Versuchung ins Leben hineinpraktiziert haben.“ Anton Kuh bittet um Bedenkzeit. Für die Nutzer der technischen Innovation, die das Radio darstellt, möchte er eine Schonfrist aushandeln.
Zumindest solange nicht ausgemacht ist, was sich in dem Empfangskasten sonst noch verbirgt. Der Radioskeptiker plädiert nicht für einen neuen Versuch mit dem Medium. Das wäre die pragmatische Lösung. Es geht um nichts weniger als eine Versuchung. Die „Götter“ haben sie in das menschliche Dasein „hineinpraktiziert“. Ein Versuch scheitert mitunter. Danach kann man es nochmal probieren. Einer Versuchung erliegt man. Danach ist es vorbei mit der Unschuld.
So harmlos und unverfänglich ist also die schöne neue Radiowelt nicht. Haben die „Elektrotechniker“ bei der Entwicklung des Rundfunks fremden Mächten ins Handwerk gepfuscht? Kommt jetzt die Retourkutsche in Form von Stimmen und Geräuschen, die ihre verführerischen Botschaften unter die ahnungslosen Rundfunkempfänger aussenden? Gelangen mit den Wellen und Strahlen auch ungebetene Geisterfahrer ins Haus? Anton Kuh ist über die ungleiche Nachbarschaft im Himmel beunruhigt: „Was haben Götter mit Ingenieuren zu tun?“ Ist es daher nicht konsequent genug, wenn sich das technische Innovationsmedium Radio als trojanisches Pferd in der guten Stube der übermütigen Erdbewohner erweist? Immerhin sind die Menschen mit ihrer Sende- und Empfangstechnik in fremdes Territorium vorgedrungen. „Die Menschheit hat den Weltraum zu ihrem Grammophon erniedrigt. Was soll da werden?“ Für Anton Kuh ist Radio Frevel. Die „Elektrotechniker“ haben sich mit der drahtlosen Übertragung von Stimmen und Geräuschen zu hoch hinausgewagt. „Vom Berge Sinai herab darf nur Gottes Stimme schallen.“
Sicher, das ist Feuilleton. Aber Anton Kuh spielt doch auf ein ganzes Konglomerat gängiger Bedenken gegenüber dem neuen Massenmedium an, die bei denjenigen, die vom „Wunder“, von „Zauberei“, von „Magie“ sprechen, metaphorisch aufgefangen werden, aber bei denen, die im Radio eine alberne „Modetorheit“, eine gefährliche „Geräuschmaschine“ oder gar spiritistische Kräfte am Werk sehen, ein ganzes Arsenal von Abwehrmechanismen freisetzen. Ganz offensichtlich gibt es angesichts der technischen Entdeckung, dass elektromagnetische Wellen akustische Signale übertragen können, bei Menschen, deren Erfahrungshorizont von der mechanischen Physik geprägt ist, schwer überwindbare Widerstände. Wie groß die Herausforderung, die das neue Medium darstellt, gerade für diejenigen ist, in deren Phantasiehaushalt „Dichtungskraft und Blitzesschnelle“ den Ton angeben, wird deutlich, wenn Anton Kuh den „humanistisch gesinnten Menschen“ die „Elektrotechniker“ entgegensetzt. Es ist wie so oft, wenn der Zug des technischen Fortschritts Fahrt aufnimmt. Die Ingenieure sitzen ganz vorne im Führerstand, und die Geistfraktion hockt im letzten Wagen und diskutiert über die Folgen.
In die Sphären einer okkulten Radio-Metaphysik abzugleiten aber droht die Debatte um den Rundfunk, wenn es um jenen Stoff geht, der die verborgenen Wellen trägt.
„Die Existenz des Äthers, auch ‚Weltäther‘ genannt“, stellt der Radiotheoretiker Wolfgang Hagen fest, „ist die Basis des Wissens aller Elektroingenieure. Ein absurder Stoff, wie geschaffen für jede metaphysische Spekulation, phantasmatisch in seiner überbordenden Widersprüchlichkeit und deshalb nur in der Verbrämung eines Wissens haltbar, das sich in seinem Namen autoritär abkapselt: unsichtbar, unzusammendrückbar, so hart wie Diamant, dabei durchlässiger als Luft, aber völlig schwerelos (…)“ Dieser „absurde Stoff“ wird zum Trägermedium jener Wellen, auf denen die Stimmen und Geräusche bis in den letzten Winkel der privaten Radio‑Haushalte vordringen. Obwohl Albert Einstein, wie Hagen betont, zwar 1905 den Äther bereits „physikalisch erledigt“ hatte, hielt sich das „Ätherparadigma“ hartnäckig, weil auch Einsteins Relativitätstheorie nicht zeigen konnte, „wie elektromagnetische Wellen vom Mechanismus her sich fortbewegen“. Wie sollte da das neue Medium Rundfunk mit seinen ungeklärten Fragen zur Herkunft der körperlosen Stimmen und der dislozierten Geräusche nicht auch einen verunsicherten Humanisten wie Anton Kuh oder den in seiner Wahrnehmung irritierten Hörer Günther Anders zu skeptischen Interventionen provozieren?
Man kann das irritierende Moment, das mit dem Phänomen Rundfunk in die Welt kommt, aber auch soziologisch beschreiben wie der Medienwissenschaftler Dominik Schrage: „Die Radiophonie steht für eine neuartige Koppelung individueller Sinneswahrnehmung und sozialer Wirklichkeit und bringt so eine neuartige hochabstrakte Facette artifizieller Wirklichkeit hervor: die Radioöffentlichkeit.“ Solange diese „hochabstrakte Facette“ des neuen Mediums nicht in die soziale Lebenswirklichkeit der Hörerinnen und Hörer integriert ist, solange die individuelle Wahrnehmung auf sich selbst verwiesen bleibt und die künstlich erzeugten Stimmen und Geräusche, die das Inventar der radiospezifischen Öffentlichkeit bilden, sich nicht konkret rückbinden lassen, können sie frei flottieren und die Phantasien wuchern lassen.
Einen aggressiven Vorstoß, das „hochabstrakte“ Potential, das in der Radioöffentlichkeit liegt, propagandistisch scharf zu machen und als manipulatives Instrument einzusetzen, wird das gleichgeschaltete Radio der Nationalsozialisten unternehmen. Da skandieren die Stimmen, die der Apparat versammelt, plötzlich grelle Kommandos, differenzierte Zwischentöne werden in unzweideutige Befehle umgemünzt, und aus Hören wird Gehorchen. Aber ganz so eindimensional funktioniert der gleichgeschaltete Rundfunk dann doch nicht. In einer geschickt austarierten Dramaturgie beschwören die Stimmen im Radio der Nationalsozialisten nicht nur die neue Volksgemeinschaft oder reden den unbedingten Willen zu Kampf und Verteidigungsbereitschaft stark, sondern geben auch Raum für den Wunsch der Hörergemeinde nach Zerstreuung und Abwechslung. Je weiter das unmittelbar erfahrbare Kriegsgeschehen in das konkrete Alltagsleben vorrückt, desto lauter und eindringlicher tönt ein demonstrativ beschwichtigendes Unterhaltungsprogramm aus den Lautsprechern. Das helle Tremolo der Radiowelt soll die dunklen Signale des Fliegeralarms übertönen. Noch die verzweifelten Durchhalte-Parolen der letzten Kriegsmonate werden von einem bunten Musikprogramm gerahmt. Im Volksempfänger senden das „Wunschkonzert“ und der „totale Krieg“ auf derselben Frequenz.
Der Begriff Spuk, mit dem Günther Anders die „doppelgängerhaften“ Radiostimmen charakterisiert hatte, erfährt indes schon ein gutes Jahrzehnt vor seinem 1930 erschienenen Aufsatz eine signifikante Konkretisierung. Der Spuk geistert bereits durch die Gründungsurkunde des zivilen Radios. Damals war diese Zuschreibung politisch motiviert, nicht wie bei Anders medienkritisch. „Funkerspuk“ nannte man ein neues Bedrohungsszenario, das sich im Zuge der Novemberrevolution 1918 um jene aus dem Krieg zurückgekehrten Militärfunker und Nachrichtentechniker entspann, die, nun zu Räten zusammengeschlossen, ein Kommunikationsnetz aufbauten, in dem der Zentralsoldatenrat der Funker die Koordination übernahm.
Als am 9. November 1918 in Berlin das Wolffsche Telegraphen-Büro besetzt wurde, brannte die Luft. Dieses Mal entzündete der revolutionäre Funke die Hauptstadt, und für einen Moment stand der gewaltsame Umsturz in eine Rätedemokratie am Horizont. Der Radiohistoriker Chup Friemert beschreibt die brisante Lage, die durch die Besetzung einer der größten Nachrichtenagenturen entstanden war: „Das Nervenzentrum kriegerischer Presseberichterstattung ist für kurze Zeit in der Hand der Revolutionäre, über dieses Kommunikationsnetz wird die Nachricht vom Aufstand verbreitet.“ Gleichzeitig beanspruchten die Arbeiter- und Soldatenräte die Kontrolle über das deutsche Funknetz, das der deutschen Reichspost unterstand. Es ging um nichts weniger als die Funkhoheit im Land. Die Errichtung eines von der Reichspost unabhängigen Funknetzes scheiterte, doch die Angst vor weiteren Übergriffen der aufständischen Räte ließ sich nicht mehr aus der Welt schaffen. „Die Kontrolle über das Funkwesen holen sich das Militär und die Bürokratie zurück, gleichwohl bleibt die Erinnerung an den ‚Funkerspuk‘, an die Möglichkeit, daß bei Aufständen oder schon bei weniger zugespitzten Klassenauseinandersetzungen die Feinde über ein Funknetz zur Kommunikation verfügen.“
Ob die Funker wirklich einen revolutionären Umsturz herbeiführen wollten oder, wie Wolfgang Hagen vermutet, als „ein Haufen eher unpolitischer, funkversessener ehemaliger Angehöriger der Funkertruppen (…) ganz ähnlich wie die kriegsentlassenen Funkamateure in den USA die neue Technologie der Radiotelegrafie und der Radiotelefonie überhaupt erst einmal in Gang bringen“ wollten, im Ergebnis hat ihr „Funkerspuk“ dazu geführt, dass noch vor der offiziellen Einführung des Radios in Deutschland die Reichspost mit einem eigenen Referat für das Funkwesen ausgestattet wurde. Damit sollte zumindest der politisch induzierte Spuk, den die neue Technik heraufbeschworen hatte, administrativ eingebunden und unter staatliche Kontrolle gebracht werden. Der Medientheoretiker Friedrich Kittler bringt diese Entwicklung lapidar auf den Punkt: „Einfach um anarchistischen Mißbrauch von Heeresfunkgerät zu verhindern, erhielt Deutschland seinen Unterhaltungsrundfunk.“
In dem „scheinbar harmlosen“ Namen jener Gesellschaft für drahtlose Belehrung und Unterhaltung, die am 29. Oktober 1923 die erste Radiosendung in den Äther schickte, drückt sich indes, wie die Rundfunkhistoriker Hans Knobloch und Bernt von zur Mühlen betonen, bereits der „Geburtsfehler des Rundfunks in Deutschland“ aus. „Er startete als staatlich gelenktes und nicht als ein von einem breiten Publikum wie in Amerika getragenes Medium. Die Furcht vor unkontrollierten Funken, die in den Nachwehen der Novemberrevolution von 1918 auf die Arbeiterbewegung überspringen konnten, ‚selbstzensierte‘ den Rundfunk auf einen ‚Kulturauftrag‘, im Ton betulich bildungsbürgerlich. An den ‚heißen Eisen‘ der politischen gesellschaftlichen Themen wurde vorbeigefunkt. Die instabile Weimarer Republik wich der Frage aus, was ein Massenmedium mit der Masse anstellen könnte. Die Antwort lieferten, mit furchtbaren Konsequenzen, die Nationalsozialisten.“