
Die Große Koalition sei diese Aufgabe nur halbherzig angegangen. „Die Wirtschaftsfelder der Zukunft werden global gesehen klimaneutrale Felder sein“, betonte der Vize-Kanzler. Die Welt arbeite daran, CO2-neutral zu werden, wenn auch in unterschiedlichen Geschwindigkeiten, Ansätzen und Technologien. Kein Klimaschutz sei daher die teuerste Antwort.
Clubs schließen, Kontakte in Innenräumen reduzieren
Lesen Sie hier das gesamte Interview im Wortlaut:
Habeck: Ich denke, wir haben noch andere Pflichten und andere Möglichkeiten, differenzierter vorzugehen. Aber ich bin mir sicher, dass Clubs und Diskotheken schließen werden, dass wir die Kontakte auch für Geimpfte in Innenräumen reduzieren werden, so dass wir noch nicht alles lahmlegen müssen, aber wir müssen sicherlich nachschärfen in den Maßnahmen.
Schmidt-Mattern: FDP-Fraktionschef Christian Dürr hat gestern Abend im ZDF unter anderem betont, zum jetzigen Zeitpunkt kein Lockdown und möglichst wenig Kontaktbeschränkungen. Das klingt jetzt nach Widerspruch zu dem, was Sie sagen.
Habeck: Ich habe auch gerade gesagt, weniger Kontaktbeschränkungen.
Schmidt-Mattern: Ja! Aber kein Lockdown – so eindeutig habe ich das jetzt von Ihnen nicht gehört.
Nicht leichtfertig umgehen mit einem Lockdown
Damit soll man nicht leichtfertig sein und wenn wir schlau sind, dann machen wir differenzierte Maßnahmen, wie ich es eben gesagt habe, Clubs und Diskos beispielsweise, wo Leute dann ohne Mundschutz Songs mitsingen, die Kontakte in den Innenräumen, noch immer Haupttreiber von Infektionen, die werden reduziert. Wenn wir das früh ansetzen und konsequent ansetzen, wenn wir das Tragen von FFP2-Masken konsequent anwenden, dann bleibt uns anderes hoffentlich erspart.
Habeck: Ich gehe davon aus, dass das, was ich jetzt gesagt habe, morgen Gegenstand der Beratungen von Bund und Ländern ist und dass das dann auch verabredet wird für den Januar.
Wirtschaftsfelder der Zukunft global gesehen klimaneutrale Felder
Schmidt-Mattern: Nun ist ja schon längst bekannt und sie sprechen das auch immer wieder offen aus, dass Klimaschutz eine teure Angelegenheit ist. Heizen, Autofahren, all das wird mehr kosten in Zukunft, von den Ausgaben für die Industrie ganz zu schweigen. Wenn wir mal bei den Verbrauchern und Bürgern im Land bleiben, wie wollen Sie das sozial auffangen in Zukunft?
Habeck: Erst einmal muss man sagen, dass kein Klimaschutz die teuerste Antwort ist, und zwar nicht nur, weil wir auf Katastrophenszenarien blicken wie im Ahrtal. Das hat 30 Milliarden gekostet, von dem menschlichen Leid und den Toten mal ganz zu schweigen. Sondern auch, weil die Wirtschaftsfelder der Zukunft global gesehen klimaneutrale Wirtschaftsfelder sein werden. Die Welt arbeitet ja daran, CO2-neutral zu werden, in unterschiedlichen Geschwindigkeiten und mit unterschiedlichen Techniken und Ansätzen, aber am Ende wird es neue Produktionsfelder, neue industrielle Betätigungen geben, neue Mobilität geben, neue Autos geben, und die Frage ist, wer produziert sie.
Wenn wir das nicht angehen, dann werden wir nicht nur ökologische Katastrophen zu begleichen haben, sondern wir werden auch einen Verlust an Arbeitsplätzen, an Wertschöpfung haben, und die Tendenzen sind ja da. Führer in verschiedenen Märkten sind inzwischen die USA oder China. Wenn Europa und in Europa vor allem Deutschland nicht wach wird und endlich anfängt, wieder um die Spitze zu kämpfen, dann werden wir ein armes Land werden. Das gesagt gerne zu Ihrer Frage.
"Wir werden schneller planen, schneller bauen und mehr ausbauen müssen"
Habeck: Es steht drin im Koalitionsvertrag.
Schmidt-Mattern: So nicht.
Habeck: Es ist an Voraussetzungen gebunden. Wenn alles so leicht wäre, könnten wir morgen alle Kohlekraftwerke abschalten. Das wäre das schnellste. Wir gehen einfach hin und sagen, kein Kohlestrom mehr. Nur gehen dann die Lichter aus in Deutschland. Deswegen zu sagen, macht mal 2030, ohne die Voraussetzungen zu schaffen, ist eine naive Aussage. Dass 2030 das Ziel ist, das steht im Koalitionsvertrag. Voraussetzung dafür ist, dass wir große Mengen an anderem Strom, vor allem erneuerbaren Energien produzieren, und das ist ja in der Anmoderation deutlich geworden. Diese Energieproduktion ist extrem anstrengend und voraussetzungsreich. Wir haben heute 0,5 Prozent der Bundesfläche mit Windkraftanlagen voll. Es müssen zwei werden, also eine Vervierfachung der Menge an Windkraft in acht Jahren bei Planungszeiten, die im Moment um sechs Jahre dauern. Der Rest ist Mathematik.
Die Rechnung kann nicht aufgehen. Wir werden schneller planen, schneller bauen und mehr ausbauen müssen. Da ich selber exakt in diesem Bereich ja schon operative Verantwortung hatte – ich komme ja aus Schleswig-Holstein, wir haben die zwei Prozent -, kann ich ungefähr beschreiben oder könnte ich ungefähr eine Ahnung davon geben, was das bedeutet an gesellschaftlicher Debatte. Dazu kommt ja auch, dass wir eine Regierung aus Parteien sind, und in bestimmten Bundesländern, sagen wir mal in Bayern, steht erst mal die Frage im Raum, wollen die überhaupt helfen.
"Es ist kein grünes Projek"
Habeck: Erst einmal: Es ist kein grünes Projekt. Die Ziele, die beschlossen wurden, nämlich 2030 die CO2-Emissionen um 65 Prozent zu senken, hat die Große Koalition verabredet. Wir legen jetzt mit den Instrumenten nach. Sie haben nicht verabredet, wie es gehen soll. Das stimmt. Der Aufwuchs in erneuerbaren Energien muss jetzt nachgereicht werden. Aber die Ziele wurden schon davor beschrieben. Insofern ist es kein grünes Projekt. Es ist ein deutsches Projekt. Das was wir jetzt tun müssen ist eine nationale Angelegenheit und keine parteipolitische Angelegenheit.
Und ja, weil ich da schon Minister war und in Schleswig-Holstein das Ganze schon üben und umsetzen durfte, weiß ich auch, wie es gelingen kann. Man muss dafür sorgen, dass die Kommunen und die Menschen beteiligt werden an den ökonomischen Gewinnen, die durch den Ausbau von Windkraft erfolgen können. Man muss Verständnis dafür haben, dass Leute das ablehnen, trotzdem die Alternativen schlechtere sind. Man muss sich selber der Debatte stellen. Man kann das nicht delegieren und sagen, da schicke ich mal eine Medienagentur hin, die soll da Plakate hinkleben und dann wird das schon alles. Und vor allem muss man dafür sorgen, dass Wertschöpfung neu entsteht. Das habe ich in den ersten zwei Minuten gesagt.
Das heißt, die Windkraftanlagen müssen ja auch gebaut werden. Vielleicht schaffen wir es, jedenfalls für Teilkomponenten die Arbeitsplätze wieder nach Deutschland zu bringen. Wenn in Thüringen oder in Sachsen die Windkraftanlagen gebaut werden, die in Thüringen oder in Sachsen stehen, und die Leute damit Geld verdienen, dann löst sich natürlich die Debatte ein Stück weit in Wohlgefallen auf und wir schaffen es gemeinsam.
"Deutschland wird nicht wieder in Atomkraft einsteigen"
Habeck: Deutschland wird nicht wieder in Atomkraft einsteigen.
Schmidt-Mattern: Das war nicht die Frage, sondern ob Sie die Atomkraft auf europäischer Ebene, ob Sie diesen Vorstoß unterstützen, dass das als grüne Investition eingestuft wird.
Habeck: Nein, das unterstütze ich nicht. Ich halte Atomkraft für nicht die richtige Technik und deswegen ist es richtig, dass Deutschland ausgestiegen ist. Wir werden sehen, was die Kommission vorschlägt. Der Rechtsmechanismus ist so: Die Europäische Kommission macht einen Vorschlag und der kann nur aufgehalten werden mit einer qualifizierten Mehrheit. Ob die in die eine oder andere Richtung zustande kommt, ist die Frage. Jetzt hängt alles davon ab, dass die Kommission das Richtige vorschlägt.
Schmidt-Mattern: Kommt da eine Entscheidung noch in dieser Woche, vor Weihnachten?
Habeck: Das ist der Plan. Aber wir haben schon häufig gesehen, dass europäische Pläne manchmal geschoben werden. Aber sie wird sicherlich zeitnah kommen, spätestens im Januar.