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Spitzenfrauen: Top-Forscherinnen im Portrait
Simone Kühn: Blick ins "urbanisierte" Gehirn

Die Exzellenzforscherin Simone Kühn will herausfinden, wie unsere Umwelt das Gehirn verändert, etwa bei einem Waldspaziergang. Die Erkenntnisse könnten künftig zum Beispiel bei der Planung von Städten oder Schulen helfen.

Von Andrea Hoferichter |
Historische Zeichnung - Visualisierung des Gehirns, Berlin ca 1866
Wie prägt die Umwelt das Gehirn? Die Max-Planck-Forscherin Simone Kühn geht dieser Frage nach. (imago images / serienlicht)
Ein lichtdurchfluteter Besprechungsraum am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin: Auf einem Kunstwerk an der Wand sind Menschen zu sehen, aus deren Köpfen Bäume und Hochhäuser sprießen. Simone Kühn hat es in Auftrag gegeben, um ihr Forschungsfeld zu illustrieren.

„Ich finde es schon erschreckend, wie wenig wir darüber wissen, was es jetzt zum Beispiel ausmacht, dass wir fast alle in urbanen Regionen leben, wo wir nicht herkommen. Also faktisch gesehen, war alle Population früher in ländlichen Regionen vorhanden und mittlerweile urbanisieren wir alles. Und wir haben eigentlich keine Ahnung, was das mit den Grundfesten unseres Selbst, also mit unserem Hirn und mit unserer mentalen Gesundheit macht.“ 

Simone Kühn – 41 Jahre alt, schlichtes, eher dunkles Outfit und eine offene, zugewandte Art – will Wissenslücken dieser Art bald schließen. Die Leiterin der Lise-Meitner-Gruppe Umweltneurowissenschaften untersucht unter anderem, welche Spuren die Umgebung im Gehirn hinterlässt: „Besser zu verstehen, ob vielleicht gerade diese Dinge, die wir sonst so missachten, nämlich die physikalische Umwelt, die uns umgibt, was das für einen Einflussfaktor macht, das finde ich total faszinierend. War aber nicht immer so. Also ich habe es erst lernen müssen, dass die Umwelt einen großen Effekt auf uns hat.“ 

Eines ihrer Ziele: Herausfinden, was die Umwelt Gutes für uns tun kann, und damit etwa bei der Planung von Städten und Schulen helfen. Zum Beispiel gibt es Hinweise, dass eine naturnahe Umgebung und runde Formen unser Wohlbefinden steigern.

Spuren im Gehirn

Die Veränderungen im Gehirn misst das Team um Simone Kühn an Probanden in einem Magnetresonanztomographen, zum Beispiel vor und nach einem Spaziergang im Wald oder auf einer Shoppingmeile. Zusätzlich helfen virtuelle Erlebnisse über eine VR- Brille herauszufinden, welche Faktoren genau etwa zur wohltuenden Wirkung der Natur beitragen. Ist es das Grün der Bäume, das Blau vom Himmel, der Geruch, Geräusche oder vielleicht auch nur die Vorstellung von Natur?

„Wir haben so eine Studie gemacht, wo wir Wortstämme ergänzen lassen. Und dann kann man das halt gut ergänzen durch Naturwörter. Also da steht dann ‚WA‘ und man hat noch zwei Buchstaben frei und dann schreibt man da gerne Wald hin. Und das reicht zum Teil auch aus, um schon manche von diesen positiven Effekten zu sehen. Was ja heißt, die haben keinen Wald gesehen, die haben keinen Wald gerochen, die haben nur das Wort Wald selber generiert. Aber genau auf der Linie würde ich total gerne besser verstehen, was eigentlich die notwendigen Ingredienzen sind, die man braucht, um diese positiven Natureffekt zu erzeugen.“

Das Forschungsfeld von Simone Kühn ist noch jung und weltweit einzigartig, eine Art Zwitter aus Umweltpsychologie und Neurowissenschaften. Das birgt durchaus Herausforderungen: „Die Umweltpsychologen denken sich: Was ist denn das für ein Neurozeugs? Die Neurologen denken sich: Was macht die denn da? Umwelt, kann man doch nicht quantifizieren, alles viel zu komplex. Also man ist irgendwie immer zwischen den Stühlen, weiß nicht so genaut, wen man adressieren soll. Aber ich habe den Eindruck die Umweltpsychologie findet das wahnsinnig interessant und hat jetzt auch, glaube ich, Interesse daran gefunden zu sehen: Man kann die Theorien, die sie so aufgestellt haben, tatsächlich biologisch testen und dann tatsächlich sagen, es ist das eine oder das andere.“

Zuhause am Max-Planck-Institut

Schon bevor Simone Kühn das Gebiet der Umweltneurowissenschaften für sich entdeckte, veröffentlichte sie Aufsehen erregende Studien. Sie fand zum Beispiel heraus, dass manche Videospiele die Gehirnstrukturen fürs räumliche Denken stärken und jene Hirnregion, die für Belohnungen zuständig ist, bei Menschen, die oft Pornos gucken, besonders klein ausfällt.

Ob ihr das neue Forschungsfeld Umweltneurowissenschaften den Zuschlag für die Karriereförderung über eine Lise-Meitner-Stelle beschert hat, weiß die Forscherin nicht. Aber sie ist froh, ihn bekommen zu haben, auch weil das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung eine Art zweites Zuhause für sie ist. Schon während ihres Psychologiestudiums hat sie hier als Hilfswissenschaftlerin gearbeitet und später noch einmal fünf Jahre lang als Forschungsgruppenleiterin. Ihre letzte Zwischenstation war eine von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Heisenberg-Professur am Universitätsklinikum Eppendorf in Hamburg.

Ginge es nach Simone Kühn, würde die Lise-Meitner-Exzellenzinitiative allerdings auch Männern offenstehen: „Ich finde generell Frauenprogramme nicht so schön. Ich wollte mich da auch erstmal nicht bewerben. Weil: Das klingt immer so wie eine Einschränkung, dass man das bekommen hat, weil man eine Frau ist. Das finde ich diskriminierend und eigentlich eine Frechheit.“

Gleichwohl sieht die Forscherin, dass die Wissenschaftswelt männlich geprägt ist, dass viele Frauen und ihre Leistungen unterschätzt werden, weil sie bei Diskussionen zurückhaltender sind und bei Präsentationen faktische Unsicherheiten ehrlicher kommunizieren. Und sie erlebt immer wieder, dass Wissenschaftlerinnen sich aus der Spitzenforschung zurückziehen, um mehr Freizeit zu haben. Für Simone Kühn, die ihre Arbeit praktisch nur für ihre Kinder liegen lässt, wäre das allerdings kein Lebensziel.

„Ich mag das einfach sehr gerne. Ich glaube, ich würde das auch in meiner Freizeit tun. Mache ich auch. Das ist auch nicht so eine Karriereentscheidung, sondern eine Lebensentscheidung. Auch mein Mann macht Forschung und das ist irgendwie unser Ding. Und für mich ist das nicht: Das ist Arbeit, das ist privat und zuhause und meine Freizeit. Die Unterscheidung kenne ich nicht, blank gesprochen. Was vielleicht auch ungesund ist, aber ich finde das super. Also ich würde mich nicht für was anderes entscheiden wollen."