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Aktivierung des Immunsystems
Tuberkuloseimpfung schützt auch vor anderen Krankheiten

Impfstoffe gelten als hochspezifisch. Aber einige Vaccine schützen sogar vor Krankheiten, für die sie ursprünglich nicht gedacht waren. Australische Forschende konnten zeigen, dass der Tuberkuloseimpfstoff BCG epigenetische Veränderungen auslöst, die Immunzellen generell wachsamer machen.

Von Volkart Wildermuth | 08.08.2022
Impstoff gegen Tuberkulose und Polio
Impfstoff gegen Poliovirus (dpa-Zentralbild/Tom Schulze)
Der Impfstoff BCG wird schon seit Anfang des 20. Jahrhunderts gegen die Tuberkulose eingesetzt. Bei Erwachsenen ist seine Wirkung gering. Aber Neugeborene schützt er vor der besonders gefährlichen Tuberkulose im Blut. Und nicht nur das, wie Daten aus dem westafrikanischen Guinea-Bissau zeigen.
„Die BCG-Impfung senkt die Sterblichkeit bei Neugeborenen um ein Drittel.“
Ein großer Effekt, der darauf beruht, dass der Tuberkuloseimpfstoff nicht nur wie erwartet das Risiko für die Tuberkulose senkt, sondern zusätzlich auch das vieler viraler Infektionen. Die dänische Epidemiologin Christine Benn untersucht am Bandim Health Project solche unspezifischen Effekte von Impfstoffen und konnte sie mit ihrem Team bei Lebendimpfstoffen, wie denen gegen Masern, Polio und eben bei BCG nachweisen.

Die Mechanismen verstehen, die Impfungen auslösen

Über viele Jahrzehnte fanden die Daten aber keine Beachtung. Schließlich widersprachen sie der Vorstellung von der hochspezifischen Wirkung der Impfungen. Das ändert sich langsam, auch weil die dahinterliegenden Mechanismen verstanden werden. Daran forscht ein Team in Australien. Dort spielen Infektionen in der Kindheit eine geringere Rolle als in Afrika. Aber die BCG-Impfung senkt wohl auch das Risiko einer Neurodermitis. Das zeigt unter anderem die Melbourne Infant Study. Die Blutproben der BCG-geimpften Kinder hat nun die Ärztin Samanta Bannister genau untersucht.
„Wir haben uns epigenetische Veränderungen in Immunzellen angesehen. Das sind sozusagen die Satzzeichen auf der DNA, die regeln, wie sie abgelesen wird. Und das beeinflusst die Produktion der Eiweiße und damit die Immunantwort.“

Aktivierung des angeborenen Immunsystems

Schon kurz nach der Impfung finden sich an vielen Stellen im Erbgut der Immunzellenneue epigenetische Markierungen. Nach und nach bildet sich dann ein Muster heraus, das auch ein Jahr später noch stabil nachweisbar ist. Die epigenetischen Veränderungen passen zur unspezifischen Aktivierung des angeborenen Immunsystems.
 „Wir sehen sie in Genen, die an Interferon Signalen beteiligt sind. Und Interferon ist ein wirklich wichtiges Schlüsselmolekül für die Abwehr von Viren. Die Veränderungen hier legen nahe, dass BCG die Herstellung von Eiweißen der Immunabwehr beeinflusst.“
Die körpereigene Abwehr achtet verstärkt auf Viren und kümmert sich weniger um andere Reize. Deshalb senkt die Impfung mit BCG wohl auch das Neurodermitisrisiko, wie eine Metanalyse nahelegt, die demnächst veröffentlich werden  wird. In Industrienationen könnten in Zukunft Eltern mit schwer Neurodermitis über eine BCG-Impfung ihrer erblich vorbelasteter Kinder nachdenken.

Der Impfstoff ist kostengünstig

Im globalen Süden sollte sie aber wirklich allen Neugeborenen angeboten werden, denn hier geht es um einen zusätzlichen breiten Schutz gegen lebensbedrohliche Infektionen. Die Impfung wird zwar bereits allgemein empfohlen, aber in der Praxis oft vernachlässigt, auch weil die Flaschen 20 Dosen enthalten und nicht für ein einzelnes Kind geöffnet werden. Außerdem gilt BCG als wenig effektiv. Das stimmt zwar im Hinblick auf die Tuberkulose, aber vernachlässigt den entscheidenden Mehrwert gegenüber anderen Infektionen. Christine Benn hofft, dass die Ergebnisse aus Australien helfen, weitere Klinken zu überzeugen, wirklich alle Kinder mit BCG zu impfen.
“Das wäre wirklich einfach umzusetzen. BCG ist so billig, auch wenn nur ein Kind da ist, sollte das Fläschchen geöffnet werden. Die Weltgesundheitsorganisation sollte sagen, dass man keine Gelegenheit vergeuden darf, ein Kind mit BCG zu impfen.“