Donnerstag, 28. März 2024

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Botschafter der Ukraine
Andrij Melnyk: „Wir müssen nach vorne schauen“

Für seine verbalen Angriffe auf Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) möchte sich der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk offenbar nicht entschuldigen. Im Dlf sagte er dazu, es gehe nicht um Entschuldigungen, sondern darum, dass die richtige Politik gemacht werde.

Andrij Melnyk im Gespräch mit Christoph Heinemann | 06.05.2022
Ukraine-Krieg - Andrij Melnyk
Andrij Melnyk, Botschafter der Ukraine in Deutschland, blickt vor dem Wappen der Ukraine im Botschaftsgebäude am Rande eines Gesprächs mit Journalisten der Deutschen Presse-Agentur in die Kamera des Fotografen. (picture alliance/dpa)
Respektvoller Umgang gehört zum Handwerkszeug jeder Diplomatin und jedes Außenpolitikers. Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, setzt hingegen eher auf drastische Ansprache und zuweilen auf Provokation, um seine politischen Ziele durchzusetzen. Wie etwa dann, wenn er Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) öffentlich als „beleidigte Leberwurst“ bezeichnet. Politikwissenschaftler legen ihm das vermehrt als Kalkül und nicht als emotionalen Ausrutscher aus. Die Beziehungen zwischen Deutschland und der Ukraine waren in den letzten Wochen aufgrund dieser Rhetorik und der Ablehnung eines Besuchs von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) in Kiew angespannt.
Einige Irritationen scheinen aus der Welt geräumt zu sein. Nach einem klärenden Telefonat zwischen dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und Steinmeier hat Bundeskanzler Scholz einen Besuch von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) in der Ukraine angekündigt. Der ukrainische Botschafter Melnyk schlägt nun etwas gemäßigtere Töne an, seine scharfe Kritik an der - aus seiner Sicht - mangelnden deutschen Unterstützung für sein Land, wiederholt er jedoch.

Christoph Heinemann: Herr Botschafter, wie kam es zu der Annäherung?
Andrij Melnyk: Jeder Streit wird beigelegt in einem Gespräch und ich bin froh und dankbar, dass mein Präsident Wolodymyr Selenskyj auch in diesem Telefonat mit Herrn Steinmeier gesprochen hat und wirklich alle letzten Irritationen aus dem Weg geräumt hat.
Heinemann: Welche Rolle hat CDU-Chef Friedrich Merz bei der Einladung an den Bundespräsidenten und den Kanzler gespielt?
Melnyk: Ich war leider nicht dabei, obwohl wir diesen Besuch von Anfang an unterstützt haben. Ich habe auch öfters mit Herrn Merz persönlich telefoniert. Wir haben diese Reise vorbereitet. Deswegen kann ich mir schon vorstellen, weil dieses Thema in Kiew besprochen wurde, dass dieser Beitrag durchaus geleistet wurde.

„Ich gebe Wladimir Klitschko auch keine Ratschläge, wie man boxen sollte“

Heinemann: Herr Botschafter, Wladimir Klitschko, der Bruder des Kiewer Bürgermeisters, hat Sie kritisiert und gesagt, Sie hätten Öl ins Feuer gegossen. Warum haben Sie sich so undiplomatisch ausgedrückt?
Melnyk: Wir kennen uns seit Jahren und wir haben auch mit Vitali Klitschko, mit seinem älteren Bruder, gestern gesprochen. Jeder hat seine Sichtweise und ich gebe auch Wladimir Klitschko keine Ratschläge, wie man boxen sollte. Es sind Sichtweisen, die jeder vertritt, und ich glaube, Hauptsache, dass dieser Streit jetzt beigelegt wurde, und wir müssen wirklich nach vorne schauen. Wir müssen jetzt nicht so tun, als ob diese Befindlichkeiten im Raum stehen sollten, damit Deutschland der Ukraine in diesen dramatischen Zeiten unter die Arme greift.

Waffenlieferungen

Melnyk: Ob ich noch tragbar bin, muss mein Präsident entscheiden

Heinemann: Herr Botschafter, das sagen Sie. Aber wir hören, dass das Bundespräsidialamt, dass das Kanzleramt und auch das Auswärtige Amt wegen Ihrer Äußerungen weiterhin sehr verstimmt sind. Sind Sie als Botschafter Ihres Landes in Deutschland in dieser schwierigen Zeit noch tragbar?
Melnyk: Das muss mein Präsident entscheiden und deswegen sollte die Frage nach Kiew gerichtet werden und nicht an mich. Ich versuche, meinen Job so zu tun, wie mein Herz das mir sagt, und ich glaube, dass es hier auch in Berlin sehr, sehr viel Luft nach oben gibt und ein großer Handlungsbedarf entsteht, um uns Ukrainern in diesem Überlebenskampf zu helfen, und ich glaube, dass man darüber lieber diskutieren sollte und nicht über meine bescheidene Persönlichkeit.
Heinemann: Trotzdem müssen wir doch noch mal die Frage stellen. Wie wichtig ist es für die Ukraine, dass der Botschafter in Berlin von der Bundesregierung respektiert und auch geachtet wird?
Melnyk: Ja, ich glaube, das ist nicht unwichtig. Auf jeden Fall! Aber wie gesagt, für mich ist viel wichtiger, was die Bundesregierung tut, und da gibt es etwas, was mich stört: Vor allem das Thema Waffenlieferungen. Man erweckt hier in der Öffentlichkeit den Eindruck, dass die Deutschen alles Mögliche unternommen haben, aber alleine bei den Zusagen, die gemacht wurden, Stichwort Gepard-Flakpanzer, die uns zugesagt wurden vor bereits elf Tagen (in Ramstein wurde das feierlich verkündet), kann ich Ihnen berichten, dass es keinen Millimeter Fortschritt gegeben hat, obwohl die deutsche Öffentlichkeit wahrscheinlich glaubt, dass diese Maschinen schon längst an der Front in Kampfeinsätzen sind.

Melnyk: Helfen statt Märchen erzählen

Heinemann: Sind sie nicht und darüber berichtet heute die Tageszeitung „Die Welt“, dass noch Munition gesucht wird. – Gestatten Sie bitte, dass ich noch mal bei dem Atmosphärischen bleibe. Werden Sie sich beim Bundespräsidenten und beim Bundeskanzler entschuldigen?
Melnyk: Ich glaube, wie ich schon sagte: Das Problem, das angeblich auf dem Wege stand, wurde gestern in diesem Telefonat geräumt und es geht nicht darum, ob man sich entschuldigt. Es geht darum, dass eine richtige Politik in diesen Tagen gemacht wird. Das ist, wie gesagt, etwas, was für uns noch nicht klar ist, wieso man den Menschen hier weiterhin Märchen erzählt, anstatt schnell zu helfen, anstatt uns die Marder und Leopard-Panzer und Panzerhaubitzen zu liefern. Vorher hat man gesagt, die Geheimhaltung ist die Devise, aber in der Tat ist es so, dass man Informationen an die Öffentlichkeit gibt, die gar nicht stimmen. Uns wird gar nichts mitgeteilt.
Heinemann: Herr Melnyk, welche anderen Länder haben bisher Panzer in die Ukraine geliefert?
Melnyk: Es sind viele Länder wie Polen, Tschechien hat geliefert, Großbritannien liefert gepanzerte Wagen aus, die USA. Deutschland hat bis heute Waffenlieferungen im Umfang von knapp 190 Millionen Euro geliefert, das kleine Estland über 200 Millionen, und die USA im Umfang von 3,5 Milliarden Euro. Das ist die Antwort auf Ihre Frage. Sogar in diesem Ringtausch mit Slowenien – er wurde ja vor über zwei Wochen feierlich verkündet -, auch da gab es gar keine Bewegung, weil Slowenien, wie Sie wissen, von Deutschland moderneres Gerät braucht im Ersatz, und da gibt es immer noch keine Einigung. Das heißt, auch diese C52-Panzer, die wir wirklich sehr, sehr schnell bräuchten, auch da gibt es bis heute leider keine Einigung, und so können wir diese Liste fortsetzen. Darum geht es mir! Es geht nicht darum, ob man sich beleidigt fühlt oder nicht, sondern es geht darum, ob man uns hilft, in diesem Krieg nicht zu verlieren und Menschenleben zu retten.

Melnyk: Mit Frau Baerbock weder vor noch seit dem Krieg getroffen

Heinemann: Es geht aber auch um Atmosphärisches. Verfügen Sie denn überhaupt noch über einen direkten Zugang zum Beispiel zur Bundesaußenministerin, zu Annalena Baerbock?
Melnyk: Das würde ich mir wünschen.
Heinemann: Die Frage war, ist es so?
Melnyk: Ich habe mich mit Frau Baerbock weder vor dem Krieg, noch seit dem Krieg nicht getroffen, obwohl ich mehrmals diese Treffen angefragt habe, aber das war genauso vor ihrer Ernennung als Außenministerin. Deswegen: Es geht nicht darum, ob sie sich wünscht, sich mit mir zu treffen, sondern es geht darum, dass wir eine Reihe von Fragen haben, wo wir bis heute keine Antworten auf diese Fragen finden können.
Heinemann: Das hat vielleicht auch mit stilistischen Dingen zu tun, oder nicht?
Melnyk: Das müssen Sie Frau Baerbock oder die Regierungsmitglieder fragen. Mir geht es darum: Wenn Deutschland sagt, wir sind eure Partner, dass Deutschland das nicht nur sagt, sondern auch etwas tut. In diesem Sinne ist es so, dass diese Sichtweise, die auch jetzt in der Öffentlichkeit so verbreitet wird, einfach falsch ist. Die stimmt nicht.

„Auch eine Generalmobilmachung würde Putin hoffentlich nicht viel helfen“

Heinemann: Herr Melnyk, schauen wir noch kurz auf die Lage in Ihrem Land. Am 9. Mai veranstaltet Putin seine Jubelfeier in Moskau, am Jahrestag des Sieges der sowjetischen Armee mit amerikanischen Waffen über die deutsche Wehrmacht. Rechnet Ihre Regierung damit, dass Putin dann eine Generalmobilmachung ankündigen wird?
Melnyk: Wir können diesen Schritt von Putin nicht ausschließen. Das wäre auch eine zusätzliche Gefahr in diesem schlimmen Krieg. Aber wir hoffen, dass Putin endlich erkennen wird, dass er diesen Krieg, den er schon seit 70 Tagen angezettelt hat, auch militärisch nicht mehr gewinnen kann. Auch eine Generalmobilmachung würde ihm hier hoffentlich nicht viel helfen, denn das eine ist, diesen politischen Schritt zu machen, der auch für Putin angesichts seiner riesigen Propaganda politisch nicht unsensibel ist, und andererseits diese Menschen, die mobilisiert werden, auch einzusetzen. Wir sehen, dass die besten Truppen Russlands, die im Einsatz waren in der Ukraine, keinen großen Erfolg hatten. Dieser Schritt ist wie gesagt sehr gefährlich. Wir sehen das. Aber ob er tatsächlich kommt und ob er helfen wird, sei dahingestellt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.